Freitag, Dezember 13, 2024

BMI-Chats 6: Der geplatzte ORF-Deal: »Grüne sind umgefallen!«

Im Frühsommer 2016 versuchen ÖVP und Grüne ins Geschäft zu kommen. Es geht um die grüne Stimme im ORF-Stiftungsrat, mit der ÖVP-Kandidat Grasl ORF-Chef werden soll. Protokoll des Tauziehens um die Macht im wichtigsten Medium des Landes:

Wien, 3. Februar 2022 | Am 9. August 2016 sendet ein enttäuschter ORF-Stiftungsrat Thomas Zach um 18:06 Uhr eine Nachricht an Michael Kloibmüller, den formal unzuständigen Kabinettschef von Innenminister Wolfgang Sobotka: Grüne sind umgefallen, sonst hätten wir es geschafft. Wrabetz hat nur 18 Stimmen. Es geht um die Wahl zum ORF-Generaldirektor.

Faksimile ZackZack.

Als Fraktionsführer der schwarzen Stiftungsräte hat Zach alles getan, um eine Mehrheit für den ÖVP-Kandidaten und damaligen ORF-Finanzdirektor Richard Grasl zu schaffen. Noch in der Früh glauben viele in der ÖVP, dass die Grünen an Bord sind. Doch am Nachmittag ist klar: Der Deal mit den Grünen ist geplatzt. Wie kam es dazu?

Die Vorgeschichte zum geplanten schwarz-grünen Deal zeigt der ÖVP, dass man mit der grünen Spitze ins Geschäft kommen kann; aber auch, dass man sich noch nicht völlig auf sie verlassen darf.

Thomas Zach: ORF-Stiftungsrat, er koordiniert den ÖVP-Freundeskreis.

Richard Grasl: damals ORF-Finanzchef und ÖVP-naher Kandidat, jetzt “Kurier”-Chef.

Michael Kloibmüller (links): Damaliger Kabinettschef von Innenminister Sobotka.

Der damals siegreiche, SPÖ-nahe Kandidat Alexander Wrabetz

Sobotka und der „Küberl-Termin“

Bevor mit den Grünen verhandelt wird, kümmert sich der frühere Strasser-Kabinettsmitarbeiter Zach um die von der Regierung nominierten Stiftungsräte. Das „Projekt Grasl“ soll auf Schiene gebracht werden. Am 30. Juni 2016 schreibt Zach an Kloibmüller: Gibt’s ein Feedback zum Küberl Termin? Ex-Caritas-Präsident Franz Küberl gilt als unabhängig. Im entscheidenden Wahlgang am 9. August wird er sich trotz aller Versuche der ÖVP, ihn an Bord zu holen, enthalten.

Küberl wundert sich auf ZackZack-Nachfrage über die Zach-Nachricht an Kloibmüller: „Ich hab‘ nicht gewusst, dass ich so wichtig bin. Ich steck‘ mir das gern als Federl an den Hut.“ An einen Termin kann sich Küberl gut erinnern: „Ich habe Innenminister Sobotka in der Zeit im Wiener Haas-Haus getroffen. Es war ein wunderschöner Frühsommer-Abend.“ Küberl ging es bei dem Gespräch um Flüchtlinge. „Aber es wundert mich nicht, wenn es Sobotka auch um den ORF gegangen ist.“

Die Chat-Nachricht von Zach bezieht sich offensichtlich auf das Gespräch des Innenministers mit dem Stiftungsrat. Küberl erinnert sich: „Ich habe selten so viel Druck erlebt, von beiden Seiten, ÖVP und SPÖ.“ Wolfgang Sobotka, sein ehemaliger Kabinettschef Kloibmüller und Thomas Zach wollten auf Nachfrage keine Stellungnahme abgeben.

Kampf um wenige Stimmen

Ende Juli wird es ernst. Es bleibt, jedenfalls nach Eingang der Bewerbungen, bei Grasl und Wrabetz. Alle anderen Bewerbungen sind nicht ernsthaft oder kommen nicht ernsthaft in Betracht, informiert Zach Kabinettschef Kloibmüller am 29. Juli 2016.

Faksimile ZackZack.

Die Stiftungsräte von SPÖ und Neos stehen hinter Wrabetz, der ÖVP-„Freundeskreis“ hat sich auf Richard Grasl eingeschworen. 35 Stiftungsräte gibt es insgesamt, 18 Stimmen reichen für den Sieg. Das Rennen ist zunächst auch deshalb offen, weil die grüne Stimme noch zu vergeben ist.

Grünes Licht für das ORF-Bündnis mit der ÖVP kommt von Teilen der Grünen-Spitze um Werner Kogler und seinen Vertrauten, Mediensprecher Dieter Brosz. Anfang August scheint alles paktiert.

Grasl dementiert politische Zugeständnisse

Wer hat den Deal eingefädelt? Hat Grasl selbst Gespräche geführt? Der jetzige „Kurier“-Chefredakteur bestätigt das. So habe er im Vorfeld seiner Kandidatur „selbstverständlich mit dem grünen Stiftungsrat Wilfried Embacher gesprochen, der mir wochenlang signalisierte, dass er den Stillstand im ORF unter Wrabetz nicht mehr gut findet und er mich unterstützen würde.“ Wenige Tage vor der Wahl habe ihm Embacher mitgeteilt, dass er sich entschieden habe, doch Wrabetz zu wählen, so Grasl. Zugeständnisse, vor allem nach Parteifarbe, habe Grasl nicht gemacht.

ZackZack liegen allerdings weitere Chat-Nachrichten vor, wonach Grasl an Embacher eine Idee zur Postenfrage zugesandt hat. Dabei ging es um die Aufteilung und Führung in den Direktionen „Technik/Finanzen“ sowie um die Verteilung der „Anzahl der Abteilungsleiter und VZÄ gesamt“. Grasl sagt dazu, er habe selbstverständlich eigene Ideen entwickelt, das sei auch transparent nachlesbar in seinen Bewerbungsunterlagen.

„Ich wollte ja die Technische Direktion in die Kaufmännische Direktion überführen. Damit wären Mitarbeiter (VZÄ) in einen anderen Zuständigkeitsbereich gekommen. Was wiederum bei Betriebsräten für Aufregung sorgte, weil sich deren Bereiche auch stark geändert hätten“. Möglicherweise habe sich Embacher dafür interessiert. „Mit politischen Zugeständnissen hatte das nichts zu tun“, so Grasl.

Grüne uneins

Der damalige grüne Stiftungsrat Embacher erinnert sich an die Gespräche mit Grasl. „Wir haben uns drei Mal getroffen. Bei den ersten beiden Essen im Triest waren Grasl, Thomas Zach und Franz Medwenitsch vom ‚ÖVP-Freundeskreis‘ dabei. Dann habe ich mich am Wochenende vor der Wahl noch einmal mit Grasl allein im Huth getroffen.“

Embacher bestätigt, dass für die Grünen Dieter Brosz die Fäden gezogen habe. „Ja, das stimmt, er hat davon gesprochen, den ‚Stillstand unter Wrabetz‘ zu beenden und er hat auch gesagt, dass Grasl ein ‚Macher‘ sei und der ORF das jetzt brauche.“

Gegenüber ZackZack dementiert der damalige grüne Mediensprecher Brosz Vorabzusagen. Brosz sagt, dass im Vorfeld der ORF-Wahlen sowohl Alexander Wrabetz als auch Richard Grasl um Gesprächstermine bei ihm angesucht hätten. Er, Brosz, habe die Unabhängigkeit der ORF-Berichterstattung betont.

„Richard Grasl hat offenbar intensiv versucht, seine Position zu stärken, indem er von einer angeblichen Unterstützung seiner Wahl durch verschiedene Stiftungsräte berichtet hat – auch jenem der Grünen -, um weitere Stiftungsräte für sich zu gewinnen. Dieses taktische Spiel hat zu keinem Erfolg geführt“, so Brosz.

Die Niederlage

Während der grünen Spitze im Laufe des Wahltages langsam klar wird, dass die Grasl-Wahl am internen Widerstand scheitert, glaubt die ÖVP noch immer an einen erfolgreichen Deal mit den Grünen. Sie hofft, mit der eingeplanten grünen Stimme auch die Stimmen zweier weiterer schwankender Stiftungsräte zu bekommen: neben Franz Küberl aus der Steiermark ist das auch Siggi Neuschitzer aus Kärnten. Damit stünde es 18:17 für Grasl.

Neuschitzer gilt als FPÖ-nah, gibt sich aber betont unabhängig. Von der FPÖ, die sich für Grasl einsetzt, bekommt er die Pistole auf die Brust gesetzt. Neuschitzer erinnert sich: „Strache hat mich angerufen und mir gedroht, ich muss Grasl wählen. Wenn ich nicht Grasl wähle, muss ich die freiheitliche Familie verlassen.“ Neuschitzer habe sich davon nicht beeindrucken lassen. Seine Antwort sei gewesen: „Lieber HC, die FPÖ ist nicht meine Familie, ich habe nur eine Familie. Die besteht aus mir, meiner Frau, meinen vier Kindern und dem Hund.“

Am Nachmittag des 9. August weiß die ÖVP, dass sie den Kampf um die ORF-Spitze verloren hat. Zach schreibt um 15:45 Uhr an Kloibmüller: Richard: 15, w: 18, Enthaltung: Küberl und Stindl, United WE stand.

Faksimile ZackZack.

Ohne Grüne gibt es keine Mehrheit, Neuschitzer entscheidet sich trotz aller Angebote und Drohungen für Wrabetz. Zach hat allerdings noch eine zweite Botschaft an Kloibmüller: Für Gebührenerhöhung hat er nur 14, weil die 4 Betriebsräte nicht mitstimmen können. Wir waren geschlossen, das war ein wichtiges Signal! LG Tom. Damit ist klar, dass die ÖVP ein Druckmittel hat und Wrabetz nur mit einer wackeligen Mehrheit regieren kann.

Jahre später bekommt die ÖVP die absolute Mehrheit im Stiftungsrat. Damit bestimmt sie das Kontroll-und Leitungsgremium des wichtigsten Mediums in Österreich faktisch alleine. 2016 versuchen es die Grünen noch ohne Sideletter und machen einen Rückzieher.

Werner Kogler will heute damit nichts zu tun gehabt haben. Er lässt ZackZack über eine Sprecherin mitteilen: „Werner Kogler war damals Grüner Nationalrat und nicht mit medienpolitischen Fragen befasst.“ Seine Rolle als stellvertretender Bundessprecher erwähnt er in diesem Zusammenhang nicht. Erst 2019 zeigen die Grünen unter seiner Führung, dass sie das „Handwerk“ gelernt haben.

(pp/wb)

Update, 03.02.22, 08:29 Uhr: “Grünes Licht für das ORF-Bündnis mit der ÖVP kommt von Teilen der Grünen-Spitze um Werner Kogler und seinen Vertrauten, Mediensprecher Dieter Brosz.”

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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