Samstag, Juli 27, 2024

BMI-Chats 9: Mission Staatsbürgerschaft – Zwischen Oligarchen und Geheimdiensten

Zwischen Oligarchen und Geheimdiensten

2017 kümmert sich das BMI-Netzwerk um ein Staatsbürgerschaftsansuchen. Ein Mann, den Geheimdienste und Ermittler überall auf der Welt im Visier haben, will Österreicher werden.   

Wien, 10. Februar 2022 | Am 11. Jänner 2017, um 8:53 Uhr, bekommt BMI-Kabinettschef Michael Kloibmüller einen Anruf von Christoph Ulmer. Der ist kein Unbekannter: Ulmers Unternehmen griff während seiner Karenzierung einen umstrittenen Beraterauftrag vom BMI ab. Der Ex-Kabinettschef von Ernst Strasser wurde im Magazin „Profil“ als „Stammgast im U-Ausschuss“ bezeichnet.

Heikles Ansuchen

Stunden nach dem ersten Telefonat am Morgen des 11. Jänner fragt Kloibmüller noch einmal bei Ulmer per Whatsapp-Nachricht nach: Wie heißt der Mann genau? Ulmer antwortet: Grigory Luchanskiy (Schreibweise unterschiedlich, Anm.). Der in der ehemaligen Sowjetunion geborene Luchansky (77) ist ein geheimnisvoller Mann. Er steht unter Verdacht, ein Mittelsmann des einstigen Sowjetgeheimdienstes KGB und der Mafia zu sein. Das vermuten Agenten und Ermittler überall auf der Welt, Luchansky selbst sieht sich als Opfer falscher Anschuldigungen.

Ulmer teilt Kloibmüller auch die Geschäftszahl GZ MA35/IV – xx/2016 der Wiener Magistratsabteilung für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (MA 35) mit. Kloibmüller will sichergehen und fragt noch einmal nach dem Anliegen: Staatsbürgerschaftsansuchen? Ulmer erwidert: Ja. Kloibmüller antwortet daraufhin: Ok. Der BMI-Kabinettschef scheint zu wissen, was zu tun ist. In den darauffolgenden Tagen telefonieren Ulmer und Kloibmüller rund zehn Mal.

(Faksimile ZackZack)

Österreicher zu werden, ist für die meisten Bewerber ein langer Weg. Wenn man Einfluss hat, kann es deutlich schneller gehen. Eigentlich sind Staatsbürgerschaften Ländersache, doch die Bundesregierung kann bei Personen mit besonderen Verdiensten eine Einbürgerung anregen. Wie war das im Fall Luchansky?

Ob der Oligarch die Staatsbürgerschaft bekam, wissen wir nicht. Einbürgerungslisten sind geheim, nur bei Stars und Sternchen werden Ausnahmen gemacht. Die Causa Luchansky entpuppt sich als äußerst rätselhaft. Vor- und Nachname werden in offiziellen Schriftstücken und Registern immer wieder unterschiedlich geschrieben. Erst nach mehrfachen Abfragen stellt sich heraus: Der Mann hat in Wien bis heute einen Hauptwohnsitz. Die Wiener MA 35, die in den Chats genannt wird, will zur Frage der Staatsbürgerschaft nichts Näheres sagen, da es um personenbezogene Daten gehe. Aus dem BMI kommt dieselbe Antwort.

Hinweise deuten aber daraufhin, dass Luchansky mehrfach versucht hat, einen dauerhaften Aufenthaltstitel bzw. die österreichische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Auf einer der Websites, die Luchansky freundlich gesinnt sind, heißt es, dem Oligarchen sei die österreichische Staatsbürgerschaft aufgrund politischer Intervention der USA verwehrt worden. Im Übrigen seien alle Vorwürfe falsch. Um welche Vorwürfe handelt es sich?

Zwischen Geheimdiensten und Mafia

Seit den 90er Jahren hinterlässt der mutmaßliche KGB-Agent seine Spuren in Wien. Von den USA bis in die Schweiz haben ihn Behörden auf dem Radar. Laut einem vertraulichen Analysebericht der Schweizer Bundespolizei (fedpol) aus dem Jahr 2007 sei Luchansky ein Geschäftsmann im Dienste des ehemaligen Sowjetgeheimdienstes KGB. Auf Anfrage bestätigt fedpol die Echtheit des Dokuments. In Catherine Beltons Buch „Putin’s people“ (2020) wird Luchansky unter Berufung auf fedpol als „sowjetischer Auswanderer, der vom KGB rekrutiert wurde, um Staats- und Parteivermögen am Vorabend des Kollapses der Sowjetunion zu transferieren“, beschrieben.

Im Zentrum eines Unternehmensnetzwerks stehe fedpol zufolge das multinationale Unternehmen Nordex in Wien. Offiziell gehe es um Rohstoffhandel, hinter den Kulissen soll der Komplex unter anderem kriminelle Aktivitäten betrieben haben. In einer TV-Dokumentation wird behauptet, Nordex habe über ein „Startkapital“ in Höhe von unglaublichen 2,7 Milliarden US-Dollar verfügt. Der wirtschaftliche Erfolg habe zu „Neid“ und Argwohn“ bei westlichen Diensten geführt, so eine der Luchansky-freundlichen Websites. Dort wird er als Philantrop und zu Unrecht verfolgter Unternehmer dargestellt.

Jedenfalls haben auch die Amerikaner den Mann auf dem Radar. So sieht der US-Geheimdienst CIA laut Rechercheplattform OCCRP in Nordex ein „Beispiel für die Expansion krimineller Organisationen aus Russland“. Für Ermittlungsbehörden ist Nordex eine Tarnfirma des KGB, dessen Gruppierungen sich nach dem Zerfall der Sowjetunion teilweise verselbständigen und mit der Mafia kooperieren sollen. Vorwürfe der Korruption, Geldwäsche und des Waffenhandels bringen das Nordex-Geflecht 1997/98 zu Fall.

(Aus dem historischen Firmenbuch, Faksimile ZackZack)

Dennoch sei Luchansky gerade in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion nie ernsthaft etwas passiert, wird von den Schweizern resümiert. Aus einem Geheimbericht, der 2014 an das BVT übermittelt wurde, geht hervor, dass Luchansky Verbindungen zu Semion Mogilevich unterhalten soll. Für FBI bis Interpol gilt Mogilevich als Kopf der größten Mafiaorganisation Russlands. Dieser soll auch mit dem in Wien lebenden Oligarchen Dmytro Firtasch verbunden sein, wobei letzterer diesen Link vehement bestreitet. Geheimdienstberichte sind traditionell mit Vorsicht zu genießen, allerdings ist die Dichte der jahrelangen, globalen Untersuchungen bemerkenswert.

Das schwarze Netzwerk im BMI muss das alles wissen, denn Luchansky ist nicht nur im BVT bekannt, er kommt auch immer wieder in Akten des österreichischen Bundeskriminalamts vor. Letztlich tappen die Ermittler allerdings auch hierzulande im Dunkeln. In einem der zahlreichen Dokumente, die ZackZack vorliegen, ist von wiederkehrenden Interventionen für das Luchansky-Umfeld die Rede. Das liegt bereits knapp zehn Jahre in der Vergangenheit, als Ulmer seine Nachrichten an Kloibmüller schreibt. Klar ist: Luchansky hat immer noch einflussreiche Kontakte in Wien.

Von SPÖ zu ÖVP

Dazu zählt auch sein Bekannter Gabriel Lansky. Der gilt als erfolgreicher und streitbarer Anwalt mit SPÖ-Nähe. Als Luchansky in den 90ern nach Wien kommt, ist die SPÖ an der Macht, auch im BMI.

Apropos SPÖ: Im Mai 1998 dürfen sich die Roten im Nationalrat anhören, wie eng ihre angeblichen Verbindungen zur „Russenmafia“ seien. Auch die Namen Luchansky und Nordex fallen. Der Freiheitliche Ewald Stadler, der sich später selbst als „unabhängiger Wahlbeobachter“ auf die Krim verirrt, greift die SPÖ frontal an. Später muss sich Stadler öffentlich dafür entschuldigen. Um die Jahrtausendwende herum übernimmt die ÖVP mit Ernst Strasser das BMI.

Lansky will sich zu seiner Bekanntschaft mit Luchansky nicht äußern. Der Oligarch selbst lässt eine Presseanfrage unbeantwortet. Fest steht aber: die Kanzlei Lansky/Ganzger vertritt neben der Russischen Föderation etliche illustre Persönlichkeiten, auch solche mit ÖVP-Verbindungen. Einer davon ist Christoph Ulmer, der das Staatsbürgerschaftsansuchen per Chat-Nachricht bei Kloibmüller deponiert. Ulmer will keine Stellungnahme abgeben, auch nicht zur Frage, in welcher Form er zum Zeitpunkt der Chats für das BMI tätig war.

Dutzende Anrufe, exklusive Infos per SMS an Kloibmüller oder heikle Staatsbürgerschaftsanliegen – Ulmer scheint so etwas wie ein verlängerter Arm des BMI-Kabinetts in die Privatwirtschaft zu sein. Dort haben auch andere Ex-Kabinettsleute ihren Platz gefunden. Einer davon ist Thomas Zach, Ex-Strasser-Kabinettsmitarbeiter und ORF-Stiftungsrat.

Wirecard und das BMI-Netzwerk

Am 14. April 2016 treffen sich Kloibmüller und Zach in den Räumlichkeiten von Gradus Proximus. Das ist jene Beratungsfirma, die Zach zusammen mit Ulmer betreibt.

(Faksimile ZackZack)

Was macht der Kabinettschef des Innenministeriums dort? Die Beteiligten schweigen dazu. Interessant ist: die Themen Staatsbürgerschaft, Asyl und Visa tauchen in der Kloibmüller-Kommunikation mit Ulmer und Zach wiederholt auf.

Als sich Ulmer im Jänner 2017 bei seinem Nachfolger Kloibmüller in der Causa Luchansky erkundigt, sind Ulmer und Zach parallel als Berater für den Skandalkonzern Wirecard tätig. Die beiden erledigen auf Social Media eine Art Feindbeobachtung im Auftrag des Finanzdienstleisters. Damals will das BMI-Netzwerk die Machenschaften von Marsalek & Co. nicht erahnt haben. Sicher ist: das Interesse an Wirecard ist lange groß. So groß, dass Kloibmüller schon 2014 einen Frühstücksempfang geben soll, zu dem auch Jan Marsalek eingeladen wird. Der bedankt sich und sagt ab, weil er gerade auf Reisen ist. Das geht aus internem Wirecard-Mailverkehr hervor, doch Kloibmüller betont, Marsalek gar nicht eingeladen zu haben.

Organisiert wird der Termin ohnehin von der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft (ORFG), die in der Wirecard-Affäre immer wieder auftaucht. Zum Beispiel drei Jahre später, als die ORFG im Mai 2017 zu einem Abendessen mit Wolfgang Sobotka in Moskau lädt. Stargast: Jan Marsalek. Als Marsalek längst der meistgesuchte Österreicher der Welt ist, enthüllt ZackZack das mittlerweile berühmte Foto.

(Wolfgang Sobotka und Jan Marsalek, Mai 2017. Foto ZackZack zVg)

Auch Wolfgang G., ebenfalls ein Ex-Strasser-Mann, dockt bei Wirecard an. Er stellt ein nahezu wortidentes Angebot wie Ulmer und Zach, greift laut Unterlagen aber einen anderen Wirecard-Auftrag ab: G.s Firma soll für Marsalek Kontakte zu russischen Entscheidungsträgern herstellen. G. und Marsalek duzen sich, bereits knapp zwei Jahre davor sind sie zu einem exklusiven ORFG-Sponsorenmeeting geladen. Teile der geschäftlichen Korrespondenz der drei Ex-BMI-Mitarbeiter mit Wirecard liegen ZackZack vor. Alle drei – Ulmer, Zach und G. – vertrauen Anwalt Ganzger.

Und dann ist da noch Bernhard Krumpel. Auch er war einmal im BMI-Ministerkabinett. Nach früheren PR-Tätigkeiten mit Lansky und Ganzger hat Krumpel aktuell im Schütz-Onlinemedium zu tun. Dort kommt der Sobotka-Vertraute zur seltenen Ehre eines Interviews mit dem russischen Botschafter.

All die Verstrickungen beweisen freilich nicht, dass sich Ulmer und Kloibmüller erfolgreich für Luchansky eingesetzt haben. Chats und vertrauliche Dokumente zeigen am Ende aber: das BMI-Netzwerk reicht bis zu einer zweifelhaften Grauzone, in der sich Geheimdienste und umstrittene Oligarchen treffen, und sich letztere auch mal um eine besondere Sicherheit bemühen: die österreichische Staatsbürgerschaft.

(wb)

Titelbild: APA Picturedesk/Pixabay, Grafik: ZackZack.

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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