Samstag, April 20, 2024

Gräber von NS-Opfern unter Kindergarten vermutet

Ein Knochen-Spürhund erschnupperte mehrere Gräber auch unter einem Kindergarten am Areal des ehemaligen NS-Lagers Liebenau in Graz.  

Graz, 12. Februar 2022 |  Das Lager Graz-Liebenau hatte in der Zeit des Nationalsozialismus bis zu 5.000 Insassen. Im Süden von Graz, wo sich damals ein Lagerkomplex mit 190 Baracken für verschleppte Zwangsarbeiter befand, entstanden in der Nachkriegszeit rasch Wohnhäuser und Schrebergärten, später dann auch ein Kindergarten.

Der Grazer Allgemeinmediziner und Psychotherapeut Rainer Possert, der 2011 die Gedenkinitiative Graz Liebenau gründete, versucht seit Jahren Licht in die dunkle Geschichte zu bringen. Er fürchtet, dass auf dem Areal noch viel mehr Menschen ermordet und verscharrt wurden als bisher angenommen. Deshalb ließ man im Jänner einen Knochen-Spürhund nach möglichen Gräbern suchen. Bereits im Sommer 2021 hatte der Hund dort im Auftrag der Gedenkinitiative nach ersten Spuren gesucht. Am Samstag wurden dann die Ergebnisse präsentiert: An sieben Stellen soll der Vierbeiner bereits Geruchsspuren erschnuppert haben, auch unter dem Kindergartenareal.

Schon bei Kindergartenbau Opfer gefunden

Der deutsche “Knochenjäger” Dietmar-H. Kroepel wird mit seinem Rettungshund “Flintstone” im Nachbarland erfolgreich bei archäologischen Grabungen und “Cold Case”-Fällen eingesetzt. Flintstone ist in der Lage, tiefliegende Knochen, die schon seit Jahren verschüttet sind, zu erschnüffeln, weil er die Ausscheidungen der Bakterien an menschlichen Knochen riechen kann, schilderte Kroepel, ein studierter Archäologe, der APA.

Die Stellen würden sich zum Teil mit Luftbildgutachten der Gedenkinitiative decken, schilderte Rainer Possert im Gespräch mit der APA. So wurde etwa auch das Areal des städtischen Kindergartens in der Andersengasse wiederholt vom Hund abgeschnüffelt: Als dort 1991 die Errichtung des Gebäudes anstand, wurden in dem Bereich die sterblichen Überreste zweier Todesopfer gefunden.

Kindergarten statt Ruhestätte

“Eigentlich hätte man den Auffundort schon damals als immerwährende Ruhestätte deklarieren können und nicht eine öffentliche Einrichtung darauf bauen sollen. Wie war das damals möglich?”, fragt sich Possert heute. “Wie man mit den jüngsten Erkenntnissen umgeht, darüber muss sich die Stadt Gedanken machen. Verschweigen halte ich jedenfalls nicht für die beste Lösung”, sagte Possert. Er sprach sich für weitere Begehungen aus, um eine lückenlose Dokumentation der Position menschlicher Knochen zu erhalten: “Das Areal ist noch bei weitem nicht fertig untersucht. Da gibt es noch viel zu tun.” Ende Februar seien Gespräche mit der Stadt vorgesehen.

Zuletzt wurden im Jänner 2021 bei einer Sondierungsgrabung für ein Bauprojekt in der Nähe des Kindergartens menschliche Knochenteile gefunden. Darunter ein menschlicher Schädelknochen, der ein Einschussloch von rund sieben Millimeter Durchmesser aufwies. Die Stadt Graz und ihre Kooperationspartner in Bund und Land Steiermark lassen diesen Knochenfund nun weiter untersuchen.

(sm/apa)

Titelbild: APA/Rainer Possert

Stefanie Marek
Stefanie Marek
Redakteurin für Chronik und Leben. Kulturaffin und geschichtenverliebt. Spricht für ZackZack mit spannenden Menschen und berichtet am liebsten aus Gerichtssälen.
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14 Kommentare

  1. Schwierig, schwierig …
    Eine kleine Gedenktafel anbringen wirkt peinlich und bringt nix.
    Eine große Gedenktafel anbringen vermittelt den dortigen Bewohnern auf einem Friedhof zu leben.
    Wohnungen und Firmen von dieser riesigen Fläche abzusiedeln ist bei unserer Platznot unrealistisch.
    Die sterblichen Überreste (symbolisch) umzubetten verbietet der jüdische Glaube.

    Ganz abgesehen von den Verbrechen die in der NS-Zeit begangen wurden: Im seit Jahrtausenden dicht besiedelten Alpenraum wird es kaum mehr Flecken geben die “unbelastet” sind.

  2. Vor zwei Wochen wurde auf ORF2 die Doku “Das Schweigen der Alten” (in der Kinoversion “Endphase”) über eines der schwersten de facto jahrzehntelang totgeschwiegenen Endphaseverbrechen an 223 ungarischen Juden, gutteils Kinder und Frauen, in der NÖ-Gemeinde Hofamt Priel gezeigt. Mit grauslichen Details wie mutmaßlich zumindest indirekt unterstützenden Einheimischen sowie einem SS- und Waffen-SS-Offizier der nach dem Krieg Arzt in Petzenkirchen war, Ehrenbürger wurde und sogar ein Platz nach ihm benannt wurde.

    Ein Wiener Primar der bei dem Massaker einige Angehörige verlor musste jahrelang gegen Behörden kämpfen um 1993 wenigstens einen vom ihm bezahlten Gedenkstein aufstellen zu können, da die Opfer 1964 exhumiert und auf den jüdischen Friedhof in St.Pölten überführt wurden.

    Die Bürgermeisterin von Petzenkirchen wurde auf die zweifelhafte Vergangenheit dieses Mannes vor einigen Jahren vor laufender Kamera aufmerksam gemacht, nahm dies aber offenbar nicht ernst.

    • Kalter Schauer über den Rücken. Ich hoffe das die Menschheit eventuell noch die versteckten Laichen finden kann. Die Zeit wird knapp.

  3. … vor 35 Jahren hätte man das machen sollen, da haben noch viele Zeitzeugen gelebt.
    Allerdings war man da sehr intensiv damit beschäftigt, Gras über die Vergangenheit wachsen zu lassen…., besonders die “Beteiligten” waren stark interessiert daran, Fragen zu stellen war damals sowas wie ein Sakrileg…

    • besonders die “Beteiligten” waren stark interessiert daran das die Fragen nicht gestellt werden. Ich finde auch das Kreisky daran gescheitert ist “nicht alles aufzudecken/oder zu können”.

      • stimmt schon, er hatte gegen viele der alten “Charaktere” zu kämpfen, etliche hätten normalerweise wo anders sein sollen.
        In dieser Gegen hat man sich da, hinter vorgehaltener Hand, Geschichten erzählt, die konnte ich mir damals beim besten Willen nicht vorstellen….
        Die Vergangenheit wurde tot geschwiegen damals.

      • Mein Vater, auch sehr jung, hatte großes Glück. Er war mit 4 Freunden schon nach Stalingrad abkommandiert, als ihn ein Kommandeur aus unserer Gegend erkannte. In letzter Minute konnte er die 5 noch abziehen und nach Dänemark schicken. Das war eine Geschichte die er immer wieder erzählte. Es gab noch ein paar Geschichten, aber nie eine zum “Feindkontakt”, das konnte er nicht.

      • mein Vater musste mit 15 einrücken, mit 17 war er in Russland (Sibirien) in Gefangenschaft, mit 27 kam er erst wieder zurück und musste erst eine Ausbildung machen.
        Erzählt hat er niemals was genaueres, nur ganz kleine Dinge die auch mal witzig waren….
        Auf Fragen hat er immer bestimmt ablehnend reagiert….

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