Samstag, Juli 27, 2024

Nehammers Oligarchen-Problem – Analyse

Analyse

Österreich und Russland pflegen gute Beziehungen. So gut, dass Österreich 2014 für ein Schlupfloch im EU-Sanktionsregime sorgte und sich Putin-nahe Oligarchen in Wien tummeln. Wie glaubwürdig ist die neue Linie des Kanzlers?

 

Wien, 24. Februar 2022 | Karl Nehammer gibt sich beim Thema Russland derzeit betont konsequent. Auf den ersten Blick ein Kontrast zu seinem Vorgänger Sebastian Kurz, der sich etwa mit seinem Flug im Oligarchenjet oder der gescheiterten Sputnik-Impfdiplomatie blamierte. Seit die EU-Sanktionen aufrecht sind, war Kurz fünf Mal bei Diktator Wladimir Putin zu Gast. Der mit Abstand höchste Wert aller österreichischen Spitzenpolitiker, obwohl Kurz erst drei Jahre nach Beginn der Krim-Krise zum Kanzler gewählt wurde. Wie glaubwürdig ist Nehammers Linie?

Im Zib 2-Interview am Mittwoch sagte Nehammer, die EU zeige neuerdings Einigkeit. Dabei muss sie schon seit 2014 die Sanktionen gegen Russland jedes Halbjahr verlängern – geschlossen. Was Nehammer vermutlich meinte, ist die Fragilität des bisherigen Sanktionspakets. Verantwortlich dafür ist auch Österreich.

Schlupfloch für russische Banken in Wien

Für restriktive Maßnahmen wie Wirtschafts- und Finanzsanktionen, das Einfrieren zahlreicher Konten oder das Verhängen von Einreiseverboten sieht die EU Einstimmigkeit im Rat der Mitgliedstaaten vor. Das konnte 2014 im Zuge des russischen Vorgehens in der Ukraine nicht ohne Zugeständnisse erreicht werden. Hintergrund ist, dass Nationen wie Ungarn oder Österreich bislang als sanktionsskeptisch und russlandfreundlich galten. So polterten Kaliber wie Wolfgang Schüssel (Ex-Kanzler) oder Christoph Leitl (ehem. WKO-Chef) öffentlich gegen die Maßnahmen. In Brüsseler Hinterzimmern wurde massiver „Kuhhandel“ betrieben, um Einigkeit herzustellen. Damit sind Gegendeals für Abstimmungsverhalten gemeint. Österreich tat sich dabei mit einem bemerkenswerten Schlupfloch im Bereich der Finanzsanktionen hervor.

In einem Bericht des US-Think Tanks CSIS heißt es wörtlich, dass „ein Schlupfloch im EU-Finanzsanktionen-Gesetz (Artikel 5) es in Wien registrierten Tochtergesellschaften russischer Banken erlaubt, über Europa hinweg ohne Restriktionen zu operieren, was vonseiten der österreichischen Regierung während der Sanktionsverhandlungen nachdrücklich befördert wurde.“ Der damalige Finanzminister Michael Spindelegger (ÖVP) beendete nur Monate später seine Politkarriere und landete danach in der umstrittenen „Agentur zur Modernisierung der Ukraine“. Dort war auch der frühere ÖVP-Mitarbeiter Johannes K. engagiert, der Spindelegger und Jan Marsalek zu einem Talk über eine merkwürdige Flüchtlingskarte einlud.

Die „Agentur zur Modernisierung der Ukraine“ stand im Zwielicht, weil sich dort auch der Putin-nahe Oligarch Dmytro Firtasch wiederfand. Firtasch wird von der USA der Korruption und Mafiazugehörigkeit bezichtigt, was dieser vehement zurückweist. Er sieht sich als Opfer der US-Politik, die wiederum befürchtet, er könnte die österreichische Justiz bestechen. Seit Jahren bekämpft Firtasch erfolgreich seine Auslieferung in die USA.

Oligarchen mit ÖVP-Verbindungen

Firtasch ist in der ÖVP bestens vernetzt. ÖVP-Finanzier Alexander Schütz vermietet eine luxuriöse Wiener Villa an den ukrainischen Oligarchen, der nicht aus Österreich ausreisen darf. Allein ist er hierzulande nicht, denn Firtasch bekommt der Enthüllungsplattform „Radio Svoboda“ zufolge immer wieder Besuch von Vertrauten und Politikern der russlandnahen, ukrainischen Oppositionspartei „Für das Leben“.

Firtaschs „rechte Hand“, der Moldauer Dmitry T., soll sich zudem regelmäßig in Wien aufhalten. Bei einem von der „Washington Post“ aufgedeckten Treffen von Trump-Anwalt Rudy Giuliani und dem ukrainischen Geschäftsmann Lev Parnas in Paris nahm Dmitry T. teil. Welche Rolle er spielte, wollte er der Zeitung nicht sagen. Es soll aber um die Schmutzkampagne gegen Joe Biden gegangen sein, wie es im Bericht heißt.

Dmitry T.‘s Geschichte ist durchaus bemerkenswert. Der Moldauer mit den vielen Identitäten war in der Ukraine aufgeflogen, weil er laut Medienberichten unter falschem Namen für die Partei „Für das Leben“ kandidieren wollte. T.s Frau, eine ehemalige Misses Universe, ist dem eigenem Social-Media-Auftritt zufolge regelmäßig in ÖVP-nahen Kreisen unterwegs.

Unterdessen sorgt Firtaschs PR-Berater Daniel Kapp (früherer Sprecher von Finanzminister Josef Pröll) dafür, dass der Oligarch in den Medien gut wegkommt. Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter war darüber hinaus die Vertrauensperson von Firtaschs Banker Wolfgang P. im Banken-U-Ausschuss der Nullerjahre. Dass P. für die ÖVP-nahe Raiffeisen unterwegs war, überrascht nicht. Die Cashcow der Raiffeisen Bank International (RBI) ist das Russland- bzw. Osteuropageschäft. Firtasch bzw. sein Firmengeflecht war lange als zweitgrößter Kunde der Bank geführt worden, bis er zur mittlerweile abgewickelten Wirecard-Bank wechselte. Die Raiffeisen Bank International hat aktuell große Probleme: der Aktienkurs ist im Laufe des Donnerstagvormittags um -17% zurückgegangen.

Drehscheibe Wolf

Größter Raiffeisen-Kunde war Insidern zufolge zumindest in jüngerer Vergangenheit Oleg Deripaska bzw. dessen Firmen. Deripaska, der wie Firtasch im Visier des FBI ist, soll beste Kontakte zu Putin-Kreisen unterhalten. Aber indirekt auch zur ÖVP: Deripaska ist mit ÖVP-Unterstützer Siegfried Wolf geschäftlich verbunden. Bei Ex-Kanzler Kurz machte sich Wolf dafür stark, die US-Sanktionen gegen Deripaska zu bekämpfen.

Man kann sagen: der österreichische Investor ist so etwas wie eine Drehscheibe mit delikaten Russlandverbindungen. Er lebt geographisch gesehen günstig, denn ein Büro von Wolf ist dem Vernehmen nach im gleichen Haus wie das City-Büro von Firtasch angesiedelt. Das Haus gehört einer Firma von Wolf selbst, wie auch das Nebenhaus, in dem einige vermögende Russen wohnen sollen.

Wolf ist auch Aufsichtsratschef der Europafiliale der russischen Sberbank – mit Sitz in Wien. Über die Sberbank Europe laufen für Russland wesentliche Transaktionen. Unweit der Bank entsteht am Wiener Schwarzenbergplatz gerade die Europazentrale des Ölkonzerns Lukoil. Dort agiert Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel als Aufsichtsrat. Er wolle sein Mandat trotz Putins Angriffskrieges nicht abgeben, hieß es am Donnerstag. Begründung: Lukoil sei kein staatlicher Konzern. Allerdings ist das Öl-und Gasgeschäft in Putins Russland eine absolute Schlüsselindustrie mit staatlichem Zugriff.

Und dann sind da noch die BMI-Chats. 2017 kümmerte sich das BMI-Netzwerk um ein Staatsbürgerschaftsansuchen. Grigory Luchansky, ein Mann, den Geheimdienste und Ermittler überall auf der Welt im Visier hatten, wollte Österreicher werden. Er versuchte es offensichtlich via Innenministerium.

Wie Nehammer all diese Verbindungen wegwischen will, wenn demnächst die Sanktionsliste erweitern wird, bleibt abzuwarten. Harte Sanktionen der EU hat er am Donnerstag im Vorfeld eines EU-Gipfels bereits angekündigt. In Großbritannien geht es dem ersten Oligarchen bereits dick ein: Roman Abramowitsch soll unter Berufung auf nicht genannte Quellen das Leben auf der Insel künftig untersagt werden, so zumindest die „Daily Mail“.

(wb)

Titelbild: APA Picturedesk

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