Pressestimmen zur Russland-Invasion:
Fünfter Tag der Russland-Invasion in der Ukraine. Ein Überblick der internationalen Pressestimmen.
Wien, 28. Februar 2022 |
“Adevarul” (Bukarest):
“Nur (Wladimir) Putins (russischer Präsident, Anm.) Eliminierung könnte die Gefahr eines generalisierten Krieges abwenden. Sicherlich sind auch seine Generäle und politische Kamarilla zu diesem Schluss gekommen. Wahrscheinlich gibt es gerade in diesen Tagen geheime Gespräche mit den Geheimdiensten der NATO, über eine Beruhigung der Lage in einer Post-Putin-Ära. (…) Auch die Mitglieder der politischen und militärischen russischen Elite haben Familien, Kinder und Enkel. Sie haben keine Neigung zum kollektiven Selbstmord. Es ist nur eine Frage von Tagen, bis diese Elite Putin absetzen wird, friedlich oder gewaltsam.”
“Financial Times” (London):
“Putins Krieg wirkt immer mehr wie eine Fehlkalkulation. Doch das könnte ihn noch gefährlicher machen. Obwohl der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Gesprächen an der belarussischen Grenze zustimmte, versetzte Putin seine strategischen Nuklearstreitkräfte am Sonntag in erhöhte Alarmbereitschaft.
Die Stärke des ukrainischen Widerstands spiegelt zum Teil den Wiederaufbau des ukrainischen Militärs seit 2014 wieder. Es ist nicht mehr die ressourcenarme, zusammengewürfelte Truppe, die von der russischen Aggression auf der Krim und im Donbass überrascht wurde. (…)
Seine Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen, um den Westen einzuschüchtern, ist eine gefährliche Eskalation durch einen Staatschef, der Russlands Nukleardoktrin seit der Sowjetära noch bedrohlicher gemacht hat. Eine rasche Unterwerfung seines Nachbarlandes hätte jedoch auch die Gefahr mit sich gebracht, dass ein ermutigter Putin versuchen könnte, noch weiter zu gehen. Die Welt befindet sich in einer gefährlichen Phase. Die Ukrainer erteilen ihr eine Lektion in Tapferkeit.”
“Wall Street Journal” (Washington):
“Wladimir Putins Ukraine-Invasion verläuft nicht nach seinem Drehbuch, und das verdankt die Welt in einem großen Maße dem heldenhaften Volk dieses belagerten Landes von 41 Millionen Einwohnern. Ihr Widerstand gegen furchterregende Gefahren ist eine Inspiration und hat die Welt wachgerüttelt für die Bedrohung durch den Kreml-Autokraten. Die Ukraine verdient mehr Unterstützung, um den Preis des Krieges für Herrn Putin hochzutreiben, mit Waffen, härtesten Sanktionen und weltweiter Ächtung. (…)
Es steht sehr viel auf dem Spiel in diesem Krieg, auch für die amerikanischen Interessen. Herr Putin versucht, Großrussland wiederherzustellen und es zum dominanten europäischen Staat und einer globalen Macht zu machen. Er will eine neue Weltunordnung. Wenn er in der Ukraine Erfolg hat, wird die NATO sein nächstes Ziel. Das Volk der Ukraine zeigt einem zu selbstgefälligem Westen, was es heißt, für die Freiheit zu kämpfen.”
“De Standaard” (Brüssel):
“Die Wende Deutschlands ist besonders geschichtsträchtig. Nachdem es 30 Jahre lang versucht hat, durch Handel Brücken zwischen Russland und Europa zu bauen, liefert es 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Waffen für den Einsatz gegen russische Soldaten.
Hat Putin den ukrainischen Widerstand und die vereinte Entschlossenheit Europas unterschätzt? So kaltblütig er die Invasion ankündigte, so grimmig versetzte er am Sonntag die Nuklearstreitkräfte in höchste Alarmbereitschaft. Tatsache ist, dass Europa trotz der enormen Spannungen und Verwerfungen bereits mehrfach bewiesen hat, dass seine Einheit in einer tiefen Krise das höchste Ziel ist. (…)
So beängstigend ungewiss die Zukunft auch sein mag, es ist nicht mehr möglich, mit diesem Regime Geschäfte zu machen. Die Kluft ist irreparabel. Putin hat sich selbst zum Feind erklärt.”
“Stuttgarter Allgemeine Zeitung”:
“(Russlands Präsident) Wladimir Putin wirft Europa mit seinem Angriffskrieg und seinen Atomdrohungen in eine Welt zurück, die viele für überwunden hielten. Auch für Deutschland ist es eine Zeitenwende. Wegducken geht nicht mehr. Unter dem ungeheuren Druck der russischen Aggression bricht Kanzler Olaf Scholz mit Kernelementen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. (…) Dass der russische Präsident nicht unbeeindruckt ist von der ungewohnt solidarischen und harten Reaktion des Westens, zeigt seine Ankündigung, die Streitkräfte ‘in ein besonderes Regime der Alarmbereitschaft zu versetzen’ – einschließlich der Atomwaffen. Das ist eine weitere Eskalation des Konflikts. Europa ist endgültig zurück in den düstersten Zeiten des Kalten Krieges.”
“Süddeutsche Zeitung” (München):
“Es ist offensichtlich, dass in den immer schärfer und sarkastischer gewordenen Äußerungen der Moskauer Führung auch zusehends Verzweiflung mitschwang. Der militärische Widerstand der Ukraine, die geschlossene Haltung nicht nur westlicher Staaten setzte ihr sichtlich zu. Denn auch Japan schloss sich an, und Verbündete wie China und Kasachstan ließen zudem ihr Unbehagen an dem Krieg durchblicken. Und auch der Protest in Russland selbst begann sich langsam, aber stetig auszuweiten. Russland ist dabei, sich international zu isolieren. Nun also der Hinweis auf die schärfste aller Waffen. Das lässt niemanden unbeeindruckt.”
“Frankfurter Allgemeine Zeitung”:
“Putins Spiel mit dem nuklearen Feuer ist noch verantwortungsloser als sein Angriffskrieg in der Ukraine. Trotzdem sollte man da im Westen einen kühlen Kopf bewahren. Auch zur Abschreckung der NATO gehören Atomwaffen, deshalb gibt es weiterhin keinen Grund, die russische Aggression in der Ukraine hinzunehmen. Im Sanktionspaket vom Wochenende dürften die Maßnahmen gegen die Zentralbank die größte Bedeutung haben. Wenn damit verhindert werden kann, dass Putin die erheblichen russischen Devisenreserven als Kriegskasse nutzt, dann wäre viel gewonnen. (…) Allerdings wird es am Ende auf den Öl- und Gashandel ankommen. Erst wenn der Westen den spürbar zurückfährt, verliert Putin das Geld für seine Militärmaschinerie. Das geht nicht über Nacht, ist nun aber unabdingbar.
“de Volkskrant” (Amsterdam):
“Die Länder, die am stärksten von russischem Gas abhängig sind, wie Deutschland und Italien, zögerten zunächst am meisten. Vor allem die deutschen Sozialdemokraten waren so sehr daran gewöhnt, Putin entgegenzukommen, dass es einige Zeit dauerte, bis sie sich für eine harte Linie entschieden. Doch nun hat auch die dortige Regierung den Rubikon überschritten, indem sie den Weg für Waffenlieferungen an die ukrainische Armee freigemacht hat. Bundeskanzler (Olaf) Scholz kündigte außerdem an, dass er 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investieren wolle. Ein beispielloser, historischer Schritt für Deutschland. (…)
Freiheit und Sicherheit ganz Europas stehen auf dem Spiel. Da der Westen – aus gutem Grund – nicht direkt militärisch in der Ukraine intervenieren will, ist er verpflichtet, das russische Regime mit anderen Mitteln so hart wie möglich zu treffen. Der Schaden, der uns selbst dadurch entsteht, ist zweitrangig. Wladimir Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen.”
“Neatkariga Rita Avize” (Riga):
“Es ist schwierig, die wahre Situation an der Front zu beurteilen, weil dieser Krieg eine für Kriege äußerst ungewöhnliche Besonderheit aufweist. Denn die eine Seite ist nicht besonders daran interessiert, ihre Erfolge hervorzuheben. Russische Nachrichten beginnen nicht mit den Sätzen: Charkiw oder Cherson erobert (oder ‘befreit’), so und so viel wurde getötet, so und so viel feindlichen Soldaten gefangen genommen. Nichts dergleichen passiert, weil der Krieg in Russland selbst durch das Prisma von Putins ‘Realität’ gezeigt wird.
Es findet nämlich kein Krieg statt. Überhaupt nicht. Umso mehr nicht zwischen Russland und der Ukraine. Was passiert, ist eine nicht so bedeutende ‘Spezialoperation’, bei der heldenhafte Kämpfer der Volksrepubliken Luhansk und Donezk mit etwas Hilfe der russischen Armee eine ‘Entnazifizierung’ und ‘Entmilitarisierung’ durchführen. (…)
Die Mehrheit der Bevölkerung Russlands (und leider auch in Lettland) ist sich des Angriffs auf Kiew und des Ausmaßes der allgemeinen Feindseligkeiten nicht einmal bewusst. Der Krieg ist nicht das Hauptereignis im offiziellen Informationsraum Russlands. Er ist eines von vielen. Und das Wort Krieg kann ohnehin auf keinen Fall verwendet werden, denn es gab bekanntlich nur einen Krieg – und der war 1945.”
“La Vanguardia” (Barcelona):
“Es war ein sozialdemokratischer Bundeskanzler, Olaf Scholz, dem die Geschichte die Aufgabe zuwies, das deutsche Kriegstabu zu brechen, das seit der schmerzhaften Niederlage im Zweiten Weltkrieg herrschte. In einer historischen Sitzung des Bundestages und mit der Zustimmung seiner Regierungspartner, einschließlich der Grünen, begründete der Kanzler diese wichtige Änderung: ‘Die Welt ist in eine neue Ära eingetreten.’ Und Deutschland ist Teil davon. Ein Land mit der Wirtschaftskraft und dem kontinentalen Einfluss Deutschlands konnte nicht länger unbeteiligt und von der westlichen Sicherheit abgekoppelt bleiben. (…) Die Verteidigungsausgaben werden zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen – das von der Atlantischen Allianz (NATO, Anm.) vorgegebene Ziel. Und die Militärhilfe für die Ukraine ist eine Botschaft an Moskau: Deutschland unterstützt bedingungslos die kollektiven Entscheidungen der Europäischen Union, einschließlich der Verteidigung.”
(apa/bf)
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