Samstag, Juli 27, 2024

Ex-Ministerin Karmasin enthaftet

Nach dem Wirbel um die Beinschab-Stellungnahme wurde Ex-Familienministerin Karmasin gestern enthaftet. Die musste allerdings ein umfassendes Gelöbnis zusichern.

Wien, 29. März 2022 | Seit 4. März sitzt Ex-ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin in U-Haft. Am Montag wurde sie enthaftet. Das Wiener Oberlandesgericht (OLG) leistete einer Haftbeschwerde Folge, die Karmasins Anwälte Norbert Wess und Philipp Wolm gegen den U-Haftbeschluss des Landesgerichts für Strafsachen eingebracht hatten.

Dringender Tatverdacht weiterhin gegeben

Der dringende Tatverdacht und die Haftgründe seien zwar nach wie vor gegeben. Nach dreieinhalbwöchiger U-Haft sei aber nach Ansicht des OLG eine Enthaftung gegen gelindere Mittel möglich, sagte Hinger. Karmasin musste unter anderem per Gelöbnis zusichern, bis zur rechtskräftigen Erledigung des Strafverfahrens keinen Fluchtversuch zu unternehmen oder sich verborgen zu halten und jeglichen Kontakt zu den anderen Beschuldigten in der Inseratenaffäre – Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), mehrere Kurz-Vertraute, Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid, Karmasins ehemalige Mitarbeiterin Sabine Beinschab und die Medienmacher Wolfgang und Helmuth Fellner – und Zeugen zu unterlassen. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.

Ihr wurden außerdem Versuche untersagt, “die Ermittlungen zu erschweren”, wie Hinger wenig später in einer Pressemitteilung ergänzend erläuterte. Weiters wurde ihr mittels Weisung aufgetragen, an ihrer Adresse wohnen zu bleiben und jeden Wechsel des Aufenthalts anzuzeigen. Sie muss auch ihre Ausbildung zur Psychotherapeutin fortsetzen.

„Negative Konsequenzen auf beruflicher und sozialer Ebene“

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt gegen Karmasin in der ÖVP-Inseratenaffäre wegen Untreue, Bestechlichkeit, Geldwäsche, Vergehen gegen wettbewerbsbeschränkende Absprachen und schweren Betrugs. Zu sämtlichen Delikten sei der dringende Tatverdacht weiterhin gegeben und der vom Landesgericht angenommene Haftgrund der Tatbegehungsgefahr “im Prinzip” zu bejahen, bekräftigte das OLG.

Da Karmasin aber durch das Strafverfahren und die Inhaftierung “erhebliche negative Konsequenzen auf beruflicher und sozialer Ebene” zu tragen habe, bestehe kein Risiko, dass ihr in nächster Zeit Geschäfte möglich seien, mit denen strafbare Handlungen verwirklicht würden, begründete das OLG die Enthaftung: “Das Oberlandesgericht geht davon aus, dass der Eindruck der bisherigen Haft bei der unbescholtenen Beschuldigten zu einem Wohlverhalten führen wird.”

“Die Entscheidung des Drei-Richter-Senats des OLG folgt unserer von Beginn an vorgebrachten Argumentation, wonach der von der WKStA und vom Erstgericht herangezogene Haftgrund der Tatbegehungsgefahr im konkreten Fall jedenfalls durch gelindere Mittel substituiert werden kann und letztendlich auch substituiert werden muss”, kommentierten Karmasins Rechtsvertreter Norbert Wess und Philipp Wolm am Montagabend die jüngsten Entwicklungen. In einer Stellungnahme verwiesen sie darauf, Karmasin habe die dafür erforderlichen Zusicherungen “bereits von Anfang an gegenüber der WKStA und auch gegenüber dem Erstgericht” abgegeben. Die Enthaftung stelle “für die Mandantin daher eine große Erleichterung” dar. Gegenüber ZackZack sprach Wess von einer “medialen Kampagne” gegen Karmasin.

Die WKStA verdächtigt Karmasin, “Urheberin und maßgebliche Ideengeberin” eines PR-Tools gewesen zu sein, von dem der damalige Außenminister und spätere Bundeskanzler Sebastian Kurz und die ÖVP mittels vom Steuerzahler finanzierten Umfragen profitiert haben sollen. Karmasin stellt das in Abrede. Sie habe “an keinem gemeinsamen ‘Tatplan’ mitgewirkt”, sei zu keinem solchen – von wem auch immer – überredet worden. Sie habe lediglich den Kontakt zwischen dem späteren ÖBAG-Chef und damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, und der Meinungsforscherin Sabine Beinschab vermittelt.

Stellungnahme von Beinschab sorgte für Wirbel

Bevor die Enthaftungsentscheidung bekannt wurde, hatte ZackZack über eine brisante Stellungnahme berichtet. Sie stammt von Beinschab und belastet Karmasin, die ihrer Ex-Geschäftspartnerin zufolge auch nach der Razzia noch im Bereich Markt- und Meinungsforschung tätig gewesen sein soll. So habe Beinschab ihrer eigenen Stellungnahme zufolge ein Mail erhalten, das eigentlich an Karmasin Research & Identity GmbH adressiert gewesen sei. „Es handelt sich um die Verrechnung von Online-Interviews“ zum Thema „Katholisch“, wie es in der Stellungnahme heißt. Beinschab will die Karmasin-Rechnung erhalten haben, weil sie beim Kunden als Ansprechpartnerin bekannt gewesen sei.

Karmasins Anwalt Wess zeigte sich erbost und verwies unter anderem darauf, dass es sich um noch offene Aufträge vor den Ermittlungen gehandelt habe. Überdies enthalte die Stellungnahme Beinschabs keine strafrechtlich relevanten Vorwürfe, so Wess.

(wb/apa)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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