Mit Markus Wallner und Wolfgang Sobotka steht zwei ÖVP-Spitzen das Wasser bis zum Hals. Der Vorarlberger Landeshauptmann scheint zum Abschuss freigegeben. Nur Sobotka wird geschützt. Der Präsident wird noch einmal gebraucht.
Wien, 1. Mai 2022 Der ehemalige Kurier-Herausgeber Peter Rabl stellt auf Twitter eine gute Frage: „Gibt es eine vernünftige Erklärung dafür, dass Kern diesen Skandal nicht sofort veröffentlichte?“ Der „Skandal“ hat ein Datum und einen Hauptdarsteller. Am 26. Juli 2016 besuchte der neue Bundeskanzler Christian Kern seinen ungarischen Nachbarn. Kern wollte Orbán überzeugen, mit der Rücknahme von 5.000 Dublin-Flüchtlingen ein erstes Mal nachbarschaftliche Solidarität zu zeigen. Der österreichische Kanzler erwartete ein schwieriges Gespräch. Aber mit einem rechnete er nicht: dass ihm ein eigener Minister mit einer verdeckten Aktion in den Rücken falle würde. Genau das, berichten Kern und sein Kanzleramtsminister Thomas Drozda, ist passiert. Kern beschuldigt den damaligen Innenminister Sobotka, in Budapest angerufen und ihn sabotiert zu haben.
Die Antwort auf Rabls Frage kommt von Christian Kern selbst: „Wir haben schon im Juli 2016 gewusst, dass Sobotka den Auftrag hatte, die Regierung zu sprengen und den Weg für Kurz und Strache freizumachen. Für Reinhold Mitterlehner und mich war klar: Wenn Thomas Drozda und ich Sobotkas Orbán-Foul öffentlich machen, zerreißt es die ÖVP und mit ihr die Regierung.“ Kern glaubt nicht, dass der ungarische Regierungschef seine Linie geändert hätte. „Orbán hätte sich unseren Plänen auch ohne österreichische Ermunterung widersetzt.“ Aber es geht nicht um Kerns Erfolgsaussichten. Es geht um einen hinterhältigen Akt der Sabotage beim Kurz-Versuch, selbst Kanzler zu werden.
Sobotka isolieren
Kern und Mitterlehner hatten einen Plan: Sie wollten weiter regieren, weil sie 2016 wussten: Auf absehbare Zeit gibt es nur eine Alternative, und die heißt „Kurz/Strache“. Kern erinnert sich: „Die Alternative war, Sobotka zu isolieren. Das ist Anfang 2017 mit dem neuen Bundespräsidenten gelungen. Wir haben Sobotka gemeinsam gezwungen den erneuerten Regierungspakt zu unterschreiben. Was er widerwillig auch tat. Kurz hat dann die ÖVP nicht gesprengt, sondern mit Hilfe der Landeshauptleute übernommen.“
Wahlsieger wurde Sebastian Kurz dann mit gekauften Umfragen und gekauften Zeitungen. Der Rest der Geschichte aus Oligarchenwirtschaft, Postenschacher und Medienkorruption ist weit über die WKStA hinaus bekannt.
Wallner und Sobotka
Während sich Markus Wallner als Vorarlberger Landeshauptmann mit letzten Kräften gegen den Sturz wehrt, scheint Wolfgang Sobotka fest im Sattel zu sitzen. Die WKStA verfolgt Sobotka wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs. Der Beschuldigte Sobotka leitet weiter den Untersuchungsausschuss, der ihn und seine politischen Komplizen befragen soll. Von den verschwundenen niederösterreichischen Wohnbaumilliarden bis in den Parteibuchsumpf in Innenministerium und Polizei taucht überall verlässlich der Name „Sobotka“ auf. Jetzt beschuldigt ihn sein ehemaliger Kanzler, eine Nachbarregierung gegen die eigene aufgehetzt zu haben. Aber fast alle machen um Sobotka einen Bogen und nehmen sich Wallner vor. Warum?
Aus ÖVP-Sicht ist die Antwort einfach: Wallner ist entbehrlich, Sobotka nicht. Wenn der Vorarlberger Landeshauptmann stürzt, wird er ersetzt, und in St. Pölten ist man eine Sorge, dass es in der ÖVP eine Alternative zur Herrschaft des niederösterreichischen ÖAAB gibt, los. Sobotka ist ÖAAB – und er ist Kurz. Nicht nur Johanna Mikl-Leitner weiß: St. Pöltner Leichtgewichte wie Nehammer, Karner und Tanner können wursteln, aber nicht führen.
Im großen ÖVP-Orchester sitzt Markus Wallner mit seinem Triangel eher am Rand. Sobotka steht am Pult und dirigiert. Er ist der letzte Kopf der Partei. Wenn er fällt, wird die ÖVP kopflos. Darum wird Wallner fallen gelassen und Sobotka gestützt. So funktioniert Österreich, auch nach und vielleicht schon wieder vor Kurz.
Ballhausplatz Zwei
Damit kann Sobotka weiter Regie führen. Mit dem Kurz-Jubel bei der Präsentation des politischen Jahrbuchs hat der Nationalratspräsident den Takt vorgegeben. Der nächste Höhepunkt wird mit dem ÖVP-Parteitag programmiert. Kurz wird die Hauptrede halten, Sobotka wird Scheinwerfer und Mikrofone auf ihn richten. Karl Nehammer wird wieder an seinen Platz gestellt.
Der Plan geht weiter. Im Sommer geht es der Justizministerin an den Kragen. Dann werden die Inseratentöpfe gefüllt, die ORF-Weichen gestellt und die Vorgespräche mit der FPÖ abgeschlossen. Im gut vorbereiteten Herbst nützt die ÖVP mit Sebastian Kurz dann ihre letzte Chance. Wenn Kurz gewinnt, bestimmt er den nächsten Justizminister. Der hat nur eine Aufgabe: die WKStA daschlogn.
Im Gegensatz zum langsamen Absaufen mit Nehammer ist das eine letzte Karte, auf die die niederösterreichische ÖVP setzen kann. „Alles oder nichts mit Sobotka und Kurz“ ist immer noch besser als „Nichts mit Nehammer“.
Darum geht es bei „Orbán-Sobotage“: ob Sobotka jetzt stürzt oder Sobotka und Kurz ihr zweites Projekt „Ballhausplatz“ beginnen dürfen. Deshalb ist Wallner der Skandal – und nicht Sobotka. Im Gegensatz zum Landeshauptmann wird der Präsident noch gebraucht.
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