Rund um die Regenbogenparade am Samstag ging die Wiener Polizei mit Pfefferspray gegen linke Demonstranten vor. Auf Twitter kursieren Videos, die die Beamten in Erklärungsnot bringen. Kritik am Einsatz kommt von den Wiener Grünen und Amnesty Österreich.
Wien, 13. Juni 2022 | Zum 26. Mal fand am Samstag die Regenbogenparade in der Wiener Innenstadt statt. Nach Veranstalterangaben marschierte eine Viertel Million Menschen über den Ring, um für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender-Personen zu demonstrieren. Nach zwei Pandemie-Jahren erstrahlte die Pride wieder in voller Größe und buntem Glanz. Die Organisatorin der Vienna Pride, Katharina Kacerovsky-Strobl, nannte die Regenbogenparade ein “wunderschönes Lebenszeichen der LGBTIQ-Community”.
Schatten über Veranstaltungen am Rande
Der eigentliche Umzug verlief größtenteils friedlich. Laut Polizei wurden dabei alles in allem 30 Anzeigen aufgenommen. Wirbel gab es vor allem drumherum. Anlässlich des ebenso traditionellen, homo- und transfeindlichen „Marschs für die Familie“, dem sich unter anderem auch Rechtsextreme und Identitäre anschlossen, fanden auch linke Gegendemonstrationen am Wiener Stephansplatz statt.
Dabei kam es zu Ausschreitungen zwischen Polizei und Gegendemonstranten. Dabei geriet die Behörde selbst in der Kritik. Auf Twitter kursierten noch während des laufenden Einsatzes Videos, die die Polizei in Bedrängnis bringen. Zu sehen sind Beamte, die mit Pfefferspray in die Menge aus linken Gegendemonstranten sprühen. Twitter-User monierten, es habe keinen „erkennbaren Grund“ für den Pfefferspray-Einsatz gegeben.
Etwa 20 Sekunden lang hielt ein Polizist seinen Pfefferspray im Anschlag und zielte seelenruhig von nächster Nähe auf Gesichter und Köpfe von Antifaschist*innen. Ohne erkennbaren Grund drückt er dann plötzlich ab und mit ihm drei weitere Polizisten. 10 Sekunden lang. #w1105 pic.twitter.com/aGCKidUXTI
— Samuel Winter (@allesmittelgrau) June 11, 2022
Völlig überdrehte Cops sind Teil des Problems #w1106 pic.twitter.com/A8iz98yHqb
— Kollektiv Communique (@KollektivC) June 12, 2022
Der Einsatz lässt Fragen offen. Die Polizei rechtfertigt den Reizgas-Einsatz und spricht gegenüber der APA vom „gelinderen Mittel gegenüber anderen, invasiveren Maßnahmen“, die nötig gewesen seien, um die Schutzzone zwischen Demo und Gegendemo auszuweiten. Die Mission habe für die Beamten „Zurückdrängen“ geheißen. Eine Polizistin sei zudem von einer fliegenden Glasflasche verletzt worden.
Sorry ich kann’s nicht anders sagen. Wie Polizei heute beim #marschfuernarsch agiert, ist 1 Wahnsinn. Sie räumt den Weg für Abtreibungsgegner:innen & Rechtsextreme mit Pfefferspray gegen Gegendemonstrant:innen frei. #nofundis #w1106 pic.twitter.com/OByFKm85oI
— Vicky Spielfrau (@VickySpielfrau) June 11, 2022
Grüne und Amnesty tadeln den Einsatz
Kritik gibt es nun unter anderem auch von den Wiener Grünen. Viktoria Spielmann, grüne Landtagsabgeordnete und Frauenrechtssprecherin, nennt den Polizeieinsatz „unverhältnismäßig“. Sie war gemeinsam mit Parteikollege Georg Bürstmayr, Nationalratsabgeordneter und Grünen-Justizsprecher, beobachtend vor Ort. Spielmann forderte am Montag eine „unabhängige Polizeibeschwerdestelle“. Sie bezog sich dabei auch auf den türkis-grünen Koalitionsvertrag, der ähnliches vorsehe, aber noch nicht umgesetzt habe.
Deeskalation sieht anders aus. Diese Art von Polizeieinsatz ist leider kein Einzelfall – ich erinnere an die MayDay 2021. Wir brauchen deshalb endlich (!) – wie im türkis- grünen Koalitionsvertrag festgehalten – eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle! #w1106 #nofundis
— Vicky Spielfrau (@VickySpielfrau) June 13, 2022
Auch Amnesty Österreich äußerte sich am Montagmittag zu dem Vorfall. Die Polizei müsse beim Einsatz von Pfefferspray „Grundsätze der Rechtmäßigkeit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit“ einhalten. Laut Twitter-Usern sei eine Person im Zuge des Einsatzes am Stephansplatz zusammengebrochen, die Polizei selbst sei daraufhin zur Hilfe geeilt.
Beim Einsatz von #Pfefferspray muss #Polizei die Grundsätze der Rechtmäßigkeit, Notwendigkeit & Verhältnismäßigkeit beachten!
Es darf nicht gegen Personen eingesetzt werden, die sich friedlich verhalten oder sich Anordnungen nur passiv widersetzen. #w1106 #Polizeigewalt 2/2
— Amnesty Austria (@AmnestyAustria) June 13, 2022
Pöbeleien gegen Journalisten
Wie bereits regelmäßig in der Vergangenheit, beispielsweise anlässlich zahlreicher Querdenker-Aufläufe, wurden auch am Samstag wieder Journalisten von Demo-Teilnehmern bei der Arbeit behindert. Ein Vorfall, der sich gegen den freien Journalisten Michael Bonvalot richtete, wurde nicht nur von ihm selbst, sondern auch von Dritten auf Video festgehalten. In der Szene wird er vom bekannten Rechten und früheren Pegida-Sprecher Georg Nagel bedrängt:
So sieht heute Berichterstattung von extrem rechten Aufmärschen aus. Hier der Fundi-Aufmarsch gegen die #viennapride, der rechtsextreme Georg Nagel und andere attackieren mich. Polizisten sehen zu, lachen. Schließlich schreiten Polizisten drei Mal ein – immer gegen mich. #w1106 pic.twitter.com/GZ6YZR9nVl
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) June 12, 2022
In einer anderen via Social Media veröffentlichten Sequenz wird dem Journalisten Samuel Winter von einem Demonstranten damit gedroht, „den Hund auf ihn loszulassen“:
Die Organisatoren der rechtsextremen Demonstration gegen die Pride bedrohten Kolleg*innen & mich – stießen & rempelten uns. Ein fanatisierter Demonstrant drohte mir mit wirren Klagen, verfolgte mich über Minuten & wollte sogar seinen Hund auf mich lassen. #pressefreiheit #w1106 pic.twitter.com/XXTDy7Nzvl
— Samuel Winter (@allesmittelgrau) June 11, 2022
Festnahme
Am Abend kam es zu einer Festnahme rund um eine Party des Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ), der auch FPÖ-Funktionäre beiwohnten. Einer der Partygäste zerriss, wie mehrere Videos auf Twitter zeigen, vor den Augen linker Demonstranten und einem bereitstehenden Polizeiaufgebot demonstrativ eine Regenbogenfahne. Daraufhin soll die Lage unübersichtlich geworden sein, eine Person wurde festgenommen. Kurz darauf riefen linke Organisationen zu einer antifaschistischen Soli-Kundgebung vor dem Anhaltezentrum Rossauer Lände (PAZ) auf. Laut der Wiener Antifa wurde die Person inzwischen wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen.
Die Person, die gestern bei den Protesten gegen die queerfeindliche Veranstaltung des rechtsextremen Rfj von der Polizei verhaftet wurde, konnte heute morgen das PAZ verlassen und befindet sich nicht mehr in Gefangenschaft. #w1106 #ViennaPride #nofundis #MarschFuernArsch pic.twitter.com/eqVWsLBP9I
— autonome antifa [w] (@antifa_w) June 12, 2022
Die Wiener Polizei kündigte gegenüber dem ORF an, den Pfefferspray-Einsatz hinsichtlich seiner “Rechtmäßigkeit” zu überprüfen.
(am)
Titelbild: APA Picturedesk