Sonntag, Mai 5, 2024

»Game over«: Was die internationale Presse zur Johnson-Krise sagt

Nach mehreren Rücktritten wackelt Boris Johnson. Die Zeitungen zeigen wenig Erbarmen mit dem britischen Premierminister. Ein Blick über die internationalen Pressestimmen.

London, 6. Juli 2022 | Der britische Premierminister Boris Johnson kämpft nach dem Rücktritt von zwei wichtigen Ministern so stark wie nie zuvor um sein politisches Überleben. Begleitet von scharfer Kritik am Regierungschef legten am Dienstag zunächst Gesundheitsminister Sajid Javid und nur Minuten später auch Finanzminister Rishi Sunak ihre Ämter nieder. Beide nahmen dabei vor allem den Führungsstil des 58-jährigen Johnson ins Visier. Damit ist das Land in eine schwere Regierungskrise gestürzt.

Die Rücktrittsforderungen gegen den britischen Premierminister werden immer lauter. Mehrere Abgeordnete seiner Konservativen Partei sowie konservative Medien, darunter die Zeitung “Times”, forderten den Regierungschef auf, sein Amt aufzugeben. Es gilt als wahrscheinlich, dass Johnsons parteiinterne Kritiker ansonsten die Parteiregeln ändern werden, um den Premier mit einem weiteren Misstrauensvotum abzuwählen.

“Um Himmels willen, hau ab”

“Meine Botschaft an Boris wäre: Um Himmels willen, hau ab”, sagte der Tory-Parlamentarier Andrew Murrison, der zuvor als Staatsminister für Nordirland zurückgetreten war, am Mittwoch der BBC. Der bisherige Vize-Generalsekretär der Partei, Bim Afolami, kritisierte Johnsons Vorgehen im jüngsten Skandal um Belästigungsvorwürfe gegen einen ranghohen Tory als “wirklich erschreckend”. Er könne dieses Verhalten nicht länger verteidigen, sagte Afolami, der ebenfalls zurücktrat, der BBC.

Am Dienstagabend waren sowohl Finanzminister Rishi Sunak als auch Gesundheitsminister Sajid Javid zurückgetreten. Beide verbanden dies mit Vorwürfen gegen den Partei- und Regierungschef, er beschädige den Ruf der Konservativen. Am Mittwochvormittag trat Bildungsstaatssekretär Will Quince, der Johnson oft verteidigt hatte, ebenso zurück wie die Abgeordnete Laura Trott, die einen Posten im Verkehrsministerium innehatte. Die meisten Kabinettsmitglieder bekannten sich allerdings zu Johnson. Der 58-Jährige ist seit Juli 2019 im Amt und hat schon mehrere Skandale hinter sich.

Ein Minister-Rücktritt nach dem anderen

Auch der Staatssekretär im Familienministerium, Will Quince, kehrte Johnson am Mittwoch den Rücken. “Mit großem Bedauern muss ich feststellen, dass ich keine andere Wahl habe”, schrieb Quince in seinem an Johnson gerichteten und auf Twitter veröffentlichten Rücktrittsgesuch. Er fühle sich von Johnsons Büro falsch informiert über den Umgang des Premiers mit dem jüngsten Fall um Belästigungsvorwürfe. Quince bedankte sich bei Johnson für ein Treffen am Dienstagabend, bei dem sich der Premier entschuldigt habe. Dann nahm auch der für Standards an Schulen zuständige Robin Walker seinen Hut.

Gleich mehrere Blätter titelten am Mittwoch, Johnson stehe nach knapp drei Jahren Amtszeit am Abgrund. Selbst für den krisenerprobten Johnson werde es schwierig, aus dieser Situation heil herauszukommen, schrieb die “Daily Mail”. Die konservative “Times” forderte in ihrem Leitartikel den Premierminister auf, zum Wohle des Landes zurückzutreten – “Game over”, das Spiel sei aus. “Jeder Tag, den er im Amt bleibt, verstärkt das Chaos”, so die “Times”. Johnson habe keine Autorität mehr.

Die Ursprünge des Skandals

Auslöser des Politbebens war, dass Johnson den konservativen Abgeordneten Chris Pincher in ein wichtiges Fraktionsamt hievte, obwohl ihm Vorwürfe der sexuellen Belästigung bekannt waren. Vorige Woche trat Pincher zurück, weil er betrunken zwei Männer begrapschte. Die Tories sind nun in offenem Aufruhr. Der Regierungschef will jedoch weitermachen. Nur Stunden nach den Rücktritten berief er zwei Getreue als Minister. Johnson hat trotz der langen Reihe von Skandalen und Fehltritten in den Reihen seiner Regierung einen Rücktritt stets abgelehnt.

Mit Spannung wird am Mittwoch der Auftritt Johnsons im Parlament erwartet, wo er in einer wöchentlichen Anhörung den Abgeordneten Rede und Antwort stehen muss. Er muss sich zudem der Befragung von Vorsitzenden einiger Ausschüsse stellen.

Internationale Pressestimmen

Die Zeitungen kommentieren die Ministerrücktritte in London und den neu aufgeflammten Kampf des britischen Premiers Boris Johnson um sein politisches Überleben am Mittwoch folgendermaßen:

“The Times” (London):

“Trotz der Rücktritte von Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid klammert sich Boris Johnson weiterhin an sein Amt in der Downing Street. Das ist ein Fehler. Er hat das Vertrauen seiner Partei und des Landes verloren.

“Telegraph” (London):

“Plötzlich wird das Ausmaß der Krise, die die Regierung von Boris Johnson belastet, in überwältigender Weise deutlich. Der gemeinsame Rücktritt von Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid hat ein Loch in das Herz des Kabinetts gerissen, das unmöglich zu reparieren sein wird, selbst wenn der Premierminister es versuchen sollte. Angesichts der Vorwürfe (…) kann er die Kritik nicht länger als oppositionelles Gejammer oder die Ansichten bekannter Gegner abtun.”

“The Guardian” (London):

“Die anscheinend koordinierten Rücktritte von Schatzkanzlers Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid sind sicherlich ein Zeichen dafür, dass Boris Johnsons als Premierminister vor dem Aus steht. Es war bereits klar, dass eine Reihe von Skandalen – vor allem die durch ‘Partygate’ demonstrierte Verachtung des Premierministers für die Öffentlichkeit – Johnsons Ansehen irreparablen Schaden zugefügt haben.”

“Sydney Morning Herald” (Sydney):

“Boris Johnsons Amtszeit befindet sich im freien Fall und es ist eher eine Frage wann genau er die Downing Street mit Koffer, Frau Carrie, zwei kleinen Kindern und Hund Dilyn verlässt. Seine Autorität hat sich in Luft aufgelöst und nicht einmal seine loyalsten Unterstützer können Johnsons fehlende Werte.”

“Süddeutsche Zeitung” (München):

“Der britische Gesundheitsminister Sajid Javid und Finanzminister Rishi Sunak treten am Dienstagabend zurück. Boris Johnson benennt umgehend deren Nachfolger, dennoch ist das für ihn ein heftiger Rückschlag – seine Zukunft ist nun fraglicher denn je.”

“El País” (Madrid):

“Die interne Rebellion gegen die Regierung könnte den Anfang des Endes von Boris Johnson bedeuten. Nach harscher Kritik, die aus den Reihen der Parlamentarier gekommen waren, wäre das einzige Anzeichen verlorener Kontrolle der Downing Street sein, wenn ein Wasserfall an Ministerrücktritten erfolgt. Am Ende haben sich die beiden losgesagt, welche Aspiranten für Johnsons Nachfolge gewesen sind.”

“The New York Times” (New York):

“Zwei Top-Regierungsmitglieder sind von der skandalversehrten Regierung des britischen Premierministers zurückgetreten. Manche fragen sich, ob der Meister des politischen Überlebens eine weitere Rettung schaffen könnte.”

“La Stampa” (Turin):

“Jetzt riskiert es Boris Johnson wirklich: Der britische Premierminister ist zunehmend allein, überwältigt von einem weiteren Skandal mit Sex-Hintergrund eines sehr loyalen konservativen Abgeordneten, und nun von zwei sehr mächtigen Ministern verlassen, die am Abend mit unbarmherzigen Worten zurückgetreten sind. Mit in einer in Stücken liegenden Regierung und dem Risiko, dass eine Kettenreaktion andere Mitglieder der Exekutive zum Verlassen bringt, könnte dies drei Jahre nach seinem Einzug in die Downing Street der Anfang vom Ende für Johnson sein.”

(apa/red)

Titelbild: APA Picturedesk

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5 Kommentare

  1. Wertes ZackZack Team, wie wäre es auch mit einer Reaktion aus Irland?
    Jenes EU Land, das wie auch Österreich neutral ist, und am heftigsten von den Eskapaden aus Westminster betroffen ist.

    Zwecks Zollgrenze warat’s. Das Nordirlandprotokoll wurde einseitig aufgelöst von der DUP, weil die die Panik kriegen, weil die Sinn Fein die Wahlen demokratisch gewonnen haben. Also ist Demokratie nur dann gut wenn die “Richtigen” gewinnen, ha?

    Der Nehammer hat gesagt, dass “Großbritannien unser wichtiger Verbündeter ist”. WIESO? England ist kein EU Land mehr. Englisch ist in keinem EU Land die Erstsprache. WO ist Großbritannien unser Verbündeter? Und warum nicht Irland?

    Irland hat eine ähnliche Geschichte wie wir. Bobby Sands und Andreas Hofer. Nordirland und Südtirol. Sogar Kreisky als “Linker” wusste das. Doch die “rechte” ÖVP schert sich einen Dreck um nationale Interessen, von Bozen bis Belfast, eine Schande.

    Hier, eine Reaktion aus Irland. Ich zitiere:

  2. Wir wussten doch alle, dass es der Boris nicht kann. Er hat sich seinen Wahlsieg erschlichen indem er die Briten einfach belogen hat und jetzt fliegt der Betrug halt auf. Das kennen wir Österreicher doch.

  3. Der Boris nimmt sich wohl ein Beispiel an der grün-schwürkisen Gurkentruppe.
    Wenn, dann wird hinunter getreten, aber sicher nicht zurückgetreten.

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