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Auf den Spuren eines Generalkonsuls – Spionage-Verdacht gegen Putin-Diplomat

Spionage-Verdacht gegen Putin-Diplomat

Ein russischer Top-Diplomat, der in Österreich und Deutschland diente, soll laut Verfassungsschutz in Wahrheit Spion gewesen sein. Das lässt die Marsalek-Bekanntschaft von Generalkonsul Ganzha in neuem Licht erscheinen. Was wussten die Behörden? Recherche von „Die Welt“ und ZackZack.

Benjamin Weiser

Wien, 19. Juli 2022 | Moskau, Berlin, Wien, Hamburg, München – eine Karriere, von der man als Diplomat nur träumen kann. Das sind die überlieferten Stationen des 62-jährigen Sergey Ganzha, der als Generalkonsul Russlands in München für Gesprächsstoff sorgt, weil er unweit seiner Dienststelle mit Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek verkehrte.

Bereits in der Vergangenheit stand er im Visier der Staatspolizei, der Vorläuferin des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BVT), die Ganzha laut einem Bericht schon im Jahre 2001 als Spion enttarnt haben will. Der Generalkonsul habe damals Unterstützung von Bediensteten des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR in Wien erhalten.

Ein Rechercheteam von ZackZack und der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ haben sich die Vorwürfe gegen Ganzha und seine Beziehung zu Marsalek genauer angesehen. Dabei zeigt sich auch: Das Interesse der Sicherheitsbehörden scheint bei mutmaßlicher Spionage nicht immer gleich groß zu sein. So standen deutsche und österreichische Verfassungsschützer in anderen Verdachtsfällen intensiv in Kontakt, doch bei Informationen über Ganzha herrscht nun auffällige Zurückhaltung.

“Keine Information, die Sie interessiert”

Sergey Ganzha ist ein interessanter Mann. Auf eine Presseanfrage bezüglich seiner Marsalek-Kontakte antwortete er einst, er „verfüge über keine Information, die Sie interessiert“. Diese Sichtweise hat er wohl exklusiv.

Im Februar 2001 berichtete das mittlerweile fusionierte Magazin „Format“, ein Geheimdossier des Innenministeriums habe 100 russische Spione enttarnt, darunter auch Ganzha. Der war damals Botschaftsrat und Generalkonsul der Russischen Föderation in Österreich. Danach hat er in Hamburg und München in gleicher Funktion gedient.

Ganzhas Zeit in München ab 2014 fällt in die Hochphase von Wirecard. Alle sind zu diesem Zeitpunkt gierig nach Kontakten zum Vorstand des DAX-Konzerns, manche aus wirtschaftlichen, andere wiederum aus sicherheitspolitischen Interessen. Ganzha gehört wohl vor allem zu letzteren. Und zu jenen, die besonders guten Zugang haben.

Intensive Bekanntschaften

Die Münchener „Wirecard“-Villa von Marsalek, der dort unter dem Deckmantel eines Start-Ups Geld aus dem eigenen Konzern abgesaugt haben soll, liegt direkt gegenüber dem russischen Generalkonsulat. Der Kontakt zu Marsalek ist zeitweise so eng, dass einer von Ganzhas Söhnen eines Tages beim Wirecard-Vorstand um Hilfe bei der Bachelorarbeit ansucht. Entsprechender Mailverkehr liegt ZackZack und der „Welt“ vor.

Ganzha junior ist wie sein jüngerer Bruder in Wien geboren. Dort dürfte er heute noch unweit einer der zahlreichen Wohnsiedlungen russischer Botschaftsangehöriger leben. Zumindest hält die Diplomatenfamilie Ermittlungsakten zufolge eine Wohnung in einer der betreffenden Gegenden.

Die Spuren der Ganzhas führen immer wieder von München nach Wien und zurück. In der bayerischen Landeshauptstadt steht die Familie mit dem flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek und dessen Umfeld ab 2015 in regem Kontakt. Ganz reibungslos verlaufen die illustren Bekanntschaften aber nicht, denn eines Tages soll ein hochrangiger russischer Diplomat dem ehemaligen BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss – seinerzeit mit einem Büro in Marsaleks Villa ausgestattet – schwere Vorwürfe gemacht haben.

Die Szene von einer Grillparty während des Corona-Lockdowns wird im Buch des „Financial Times“-Aufdeckers Dan McCrum geschildert, wobei Sergey Ganzha dort namentlich nicht erwähnt wird. Es kommt demnach zum Wortgefecht zwischen dem österreichischen Verfassungsschützer und dem russischen Beamten.

So habe Weiss laut dem Putin-Diplomaten verhindert, dass letzterer Botschafter in Deutschland werden könne. Grund: Der Russe wurde wegen angeblicher Spionage ins Wiener Innenministerium einbestellt – für die Karriereleiter offenkundig ein Hemmschuh. Er sei aber gar kein Spion, so der Diplomat, bei dem es sich wohl um Ganzha handelt. Weiss habe daraufhin entgegnet: „Sie waren zu jenem Zeitpunkt sehr wohl ein Spion.“

Lückenhafter Lebenslauf und lautes Schweigen

War er ein Spion oder nicht? Ganzha ließ eine neuerliche Anfrage von „Die Welt“ unbeantwortet. Fragezeichen bleiben auch bei seinem Lebenslauf. Laut der Website des russischen Generalkonsulats in München wird er für den Zeitraum von 1982 bis 2005 „im Zentralapparat des Außenministeriums und in den Auslandsvertretungen der UdSSR/Russlands in Westberlin und Österreich“ verortet.

Eine inoffizielle Website, die sich auf Lebensläufe russischer Amtsträger spezialisiert haben will, grenzt den Zeitraum indes genauer ein. Hier wird Ganzhas Wien-Aufenthalt von 1999 bis 2003 beziffert, wohingegen in einem Interview eines Hamburger Wirtschaftsmagazins die Rede von einer Stelle Ganzhas in Wien von 1991 bis 1995 ist.

Was wussten die deutschen Behörden? Waren die Spionage-Vorwürfe bekannt? Aus Berliner Polit-Kreisen heißt es hinter vorgehaltener Hand, dass bei Ganzhas Dienstantritt in Deutschland im Jahr 2005 keine Sicherheitsbedenken vorgelegen seien. Das österreichische Außenministerium macht hingegen den bemerkenswerten Vorschlag, sich „für Fragen zu ehemaligen Botschaftsmitarbeitern“ direkt an die russischen Behörden zu wenden.

Umfassende Ermittlungshandlungen in der Vergangenheit

Verwunderlich ist das nicht, das Thema Russlandspionage ist ein heißes Eisen – spätestens, seitdem Österreich bei seinen westlichen Partnerländern in Ungnade fiel, weil einige Beamte etwas zu viel mit russischen Pendants geschunkelt haben sollen. Ob freundschaftlich oder in feindlicher Mission, ob von oben abgesegnet oder auf eigene Faust, ist dabei nicht immer klar.

Im Angesicht des russischen Krieges in der Ukraine ist die Frage nach derartigen Umtrieben heute umso brisanter. Erstaunlich ist freilich, wie weitreichend die Kenntnisse österreichischer Sicherheitskreise über Agenten-Aktivitäten im eigenen Land sein müssen.

So finden sich in einem vertraulichen BVT-Dokument, das ZackZack und der „Welt“ vorliegt, bereits im Dezember 2009 Aufzeichnungen über umfassende Observationen gegen das russische Diplomatenkorps. Darunter sollen sich, so die Annahme des BVT, mutmaßliche Wirtschafts-Spione im Auftrag des Auslandsgeheimdienstes SWR oder solche vom Stab der russischen Handelsvertretung befunden haben. Einer davon ist bis heute an der Botschaft der Russischen Föderation in Wien akkreditiert – immerhin auf der unteren Führungsebene.

Über entsprechend im Verdacht stehende Personalien tauschte sich das BVT im Jahr 2010 übrigens mit der deutschen Verfassungsschutz-Schwester BfV per „Neptun/Poseidon Message“ aus. Ein als Geheimdienst-Offizier ausgemachter Mann habe Österreich im Februar 2010 verlassen, hieß es damals.

Der blinde Fleck?

Trotz all den bereits Jahre zurückreichenden Observationen und Aktivitäten soll ausgerechnet der untergetauchte Russland-Fan Jan Marsalek ein blinder Fleck gewesen sein. Zumindest ist das bislang die Darstellung der deutschen Dienste. Diese muss laut dem deutschen Ex-Linken-Politiker Fabio De Masi angezweifelt werden.

Der Wirecard-Aufdecker hat sich im U-Ausschuss des Deutschen Bundestages einen Namen gemacht. Er geht mittlerweile davon aus, dass der Finanz-Skandal in Wahrheit ein Geheimdienst-Skandal ist.

Ganzha sei in der Marsalek-Villa ein- und ausgegangen. „Selbstverständlich wussten deutsche Behörden daher auch, wer Marsalek war und haben ihn entwischen lassen. Mich interessiert nur noch das ‚Warum‘?“, so De Masi, der immer wieder darauf hinweist, sei es in Interviews oder auf seinem Twitter-Kanal mit knapp 67.000 Followern.

Es sei laut ihm übrigens undenkbar, dass frühere Spionage-Vorwürfe aus Österreich gegen Sergey Ganzha in Deutschland nicht bekannt gewesen seien.

Auch NEOS-Aufdeckerin Stephanie Krisper übt Kritik. Sie sieht wiederum die österreichischen Behörden im Schlafwagen-Modus: „Seit der Wirecard-Skandal aufgedeckt wurde, haben wir Zweifel, dass gegen Jan Marsalek, der enge Kontakte in die Politik und den Nachrichtendienst unterhielt, effizient ermittelt wird.“

Die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), die Krisper in die Pflicht nehmen will, teilte auf ZackZack-Anfrage mit, man könne in der Angelegenheit Ganzha aus datenschutzrechtlichen Gründen keine konkreten Auskünfte geben. Interne Vorgänge sowie Kommunikation mit Partnerdiensten kommentiere man nicht.

Titelbild: APA Picturedesk

Ben Weiser
Ben Weiser
Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4
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16 Kommentare

  1. In dieser Spionageszene wird wahrscheinlich mit viel Geld gezieltes Schweigen und besondere “Rücksichtnahme” der Behörden “erbeten”.

  2. “War er ein Spion oder nicht? Ganzha ließ eine neuerliche Anfrage von „Die Welt“ unbeantwortet.”- Nicht böse sein, aber wie infantil geht es noch? Lieber Herr Spion, sind sie jetzt ein Spion, welche Antwort erwartet man sich ?
    Dass der BND nicht nur in die Wirecard Affäre tief verwickelt ist, sondern auch gerne auf Ibiza urlaubt, ist unter österreichischen Nachrichtendienstlern ein offenes Geheimnis…
    Ich meine jetzt die einzig wirklichen Nachrichtendienste in Österreich, selbige sind dem BH eingegliedert. Das vormalige BVT und die aktuelle DSN waren und sind keine Nachrichtendienste, sondern zu Vorfeldorganisationen der schwarzen Borgata, mit parteipolitisch besetzte Dorfgendarmen verkommene Anstalten.
    Herr Weiser, hören Sie sich mal beim HNA um…
    In diesen Bereichen wird die Finsternis bevorzugt!

  3. Stehen nicht (fast) alle Diplomaten im Ausland unter Spionageverdacht?
    Oder dürfen, die nur Krone und Kurier lesen und ORF schauen?
    Spion im engeren Sinn hieße, er habe sich illegal Informationen besorgt, unter Verletzung von Patentrechten, oder Staatsgeheimnisse, uÄ.
    Marsalek ist dann doch der Spion?

    • …Die Welt atmet auf, denn Frieden liegt in der Luft. Was soll schon schiefgehen? Psychopathischer Massenmörder und ehemaliger KGB-Agent bietet Friedensgespräche an!

        • I woas net. Aber der putler und da Kom eini machen jetzt eine Kreislaufwirtschaft.
          Ma ich bin so sauer. Die damalige Sowjetunion mit ihren Staaten im Kalten Krieg hat alle landwirtschaftlichen Böden misshandelt.

  4. Vor Monaten hat ZZ die mutmaßliche Infiltrierung des BVT und des IM durch Marsalek zum Thema gemacht. Es ging um die finanzielle Dienstleistungen des Wirecard (Kreditkarten), in Auftrag gegeben durch die beiden Behörden. Auf die Fährte sind natürlich die detuschen Behörden gekommen, die österreichschen konnten nicht mal einen Terroranschlag mit Ansage verhindern.
    In welchem Ausmaß Wirecard die Daten dieser Behörden dadurch abgeknöpft wurden, das steht noch im Raum.

  5. Mit Fokus auf Ö hab ich folgendes Brainstorming angestellt:
    Ganzha | Marsalek | M flieht mit österreichischer Hilfe wohin? | Sobotka weiß von nichts, wird mit einem Beweisfoto überführt | Undurchsichtiges BVT: wer für wen, wer gegen wen, wer ist selbst Spion | Innenministerium bestellte G ein – gibt es einen Akt dazu? Wer hat den Diplomaten empfangen? | Außenministerium stellt sich dumm | Salzburger Oberst spionierte 25 Jahre für RU und wurde vor 2 Jahren verurteilt | Thiel benötigt einen Global Strategist | Kurz verfügt als ExBK logischerweise über Infos, seine Bemühungen um Weltveränderung in eine gewisse Richtung hat er mehrfach kundgetan | Firma mit Schütz | dessen Frau gehört das kurz-weilige Medium Exxpress | dessen Chefredakteur seit kurz-em auf RU-Propaganda…
    Unschuldsvermutung für alle und alles, aber es stimmt nachdenklich.

    • Ja, diese Zusammenhänge werden immer deutlicher. Es ist seltsam, wie diese vielen kleinen Puzzlesteine langsam ein komplettes Bild ergeben. Es ist kein schönes Bild. Aber es wird komplett.

  6. Was ist in Österreich so geheim, ausser den Beschaffungsverträgen der Eurofighter und anderen Korruptionsfällen, dass es niemand wissen darf? Ist ein Spioin bei uns nicht arbeitslos, weil es nichts zu finden gibt, das ausser uns nicht eh schon die ganze Welt weiss? Oder hat er vielleicht gar das Amtsgeheimnis aufgedeckt?

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