Freitag, November 8, 2024

Eine Rede, die man gehört haben muss – Kommentar

Kommentar

Die Siesta des Bundespräsidenten ist vorbei. Bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele hielt Van der Bellen endlich die Rede über Teuerung, Krieg und Unabhängigkeit von Russland, die es längst hätte geben müssen.

Benjamin Weiser

Wien, 21. Juli 2022 | „Meine Damen und Herren, das wird jetzt vielleicht ein wenig ungewohnt für eine Festspiel-Eröffnungsrede.“ So begann Bundespräsident Van der Bellen seine Rede bei den Bregenzer Festspielen am Mittwoch. Und es war tatsächlich ungewohnt. So hat man ihn selten gesehen. Das Motto: Nichts wird mehr so wie früher.

In den vergangenen Jahren bekam man den Eindruck, dass der Hüter der Hofburg jeden FPÖ-Rülpser schlimmer findet als mutmaßlich korrupte bis kriminelle Umtriebe im Umfeld der ÖVP. Der bürgerliche Grüne braucht die Stimmen der ÖVP, um sicher wiedergewählt zu werden, womöglich schon im ersten Wahlgang. Umso wichtiger ist es, dass er die Regierung endlich in die Pflicht nimmt.

Ein massives Energieproblem

Österreich fährt im Schlafwagen-Modus auf den Eisberg zu: „Spätestens, wenn der Winter kommt, laufen wir in ein massives Energieproblem.“ Das ist deutlich für jemanden, der seine Worte qua Amt mit Bedacht wählt.

Millionen Menschen haben Angst. Angst vor der Pleite, vor einem kalten Winter ohne Energie, vor gesellschaftlichen Unruhen. Die Regierung ist derweil mit sich selbst beschäftigt, niemand weiß, wann der nächste ÖVP-Skandal aufpoppt. Kanzler Nehammer versucht sich verzweifelt zu stabilisieren, wird aber von den schwarzen Landes-Häuptlingen, die nur an ihre eigenen Landtagswahlen denken, hintergangen.

Da will selbst der Bundespräsident nicht mehr zuschauen und fordert Türkis-Grün auf, endlich zu arbeiten. Das sitzt, auch bei Van der Bellens Grünen. Doch Zweifel bleiben, ob die Signale gehört werden. Wirtschaftliche Katastrophen – und auf eine solche steuern wir zu – werden oft von jenen genutzt, die hinter der Fassade von Fachbegriffen das Unwissen der Bevölkerung nutzen, um ihre Ideologie zu verwirklichen.

Wer sich an die Finanz- und Eurokrise erinnert, wird sich erinnern: Zwischen Komplett-Verstaatlichung und neoliberalen Sparfantasien, die ganze Länder in die Arbeitslosigkeit jagten, war nicht viel Platz. Der „faule Grieche“ zieht im Trash-TV schließlich mehr als der „faule Kredit“. Wer versteht schon, was letzterer wirklich bedeutet?

Wahlkampf? Bitte mehr davon

Ein ähnliches Schicksal könnte uns angesichts der Planlosigkeit der Regierung und der weitverbreiteten Populismus-Anfälligkeit erneut blühen. Umso dringender braucht es starke Stimmen, die die Richtung für vernünftiges Regierungshandeln vorgeben.

In Moskau wiederum sitzt ein Diktator, der uns in Geiselhaft nimmt. Denn die Energiekrise ist in Wahrheit ein Energiekrieg. Van der Bellen hat dafür endlich die richtigen Worte gefunden. Es sei unerträglich, „auch nur mit Gedanken zu spielen, sich zum unterwürfigen Verbündeten eines Diktators zu machen“. Das ist vor allem eine Ansage an das beschwichtigende Dreigespann ÖVP, SPÖ und FPÖ, aber auch an gierige Großindustrielle und Investoren, die ihren Hals mit Putin-Geld nicht voll bekommen können.

Wenn das der Beginn des Hofburg-Wahlkampfes war, dann bitte mehr davon. Denn eines ist klar: Was da auf uns zurollt, ist eine weitaus größere Herausforderung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, als es die Pandemie jemals war und immer noch ist.

Titelbild: APA Picturedesk

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