Samstag, Juli 27, 2024

Staatsverschulden

Im Fall „Lisa-Maria Kellermayr“ gibt es kein Fremdverschulden. Es war Staatsverschulden, und es war ein Zeichen der Schwäche. Die Kraft der Regierung reicht nicht mehr, um gefährdete Menschen zu schützen. Sie schützt nur noch sich selbst.

 

Wien, 7. August 2022  Polizei, Ärztekammer und Regierungspolitik hatten offensichtlich ein gemeinsames Ziel: Lisa-Maria Kellermayr zum Schweigen zu bringen. Das ist ihnen gelungen. Jetzt drücken sie dem Opfer das Beileid aus.

In den letzten Jahren hat Lisa-Maria Kellermayr für andere gekämpft: für eine gute COVID-Versorgung am Land und für eine bessere COVID-Politik in Wien. In die Debatte der Expertinnen in Wien hat sie die Sicht der praktischen Ärztin in Seewalchen eingebracht.

Von Polizei und Ärztekammer denunziert galt Kellermayrs Kampf in den letzten Wochen ihrem eigenen Überleben. In den Nächten saß sie allein in ihrer Praxis am Attersee, weil sie sich vor dem Weg nach Hause fürchtete. Kellermayrs ständige Begleiter waren nicht Personenschützer, sondern Netz-Terroristen mit ihren Drohungen und die wachsende Angst. Eine Freundin, die ihr ein Wochenende lang in der Praxis beistand, schildert, wie sich die Ärztin nur mit einer Gaspistole in der Tasche in der Nacht zu kleinen Spaziergängen aus dem Haus traute.

Die Hausdurchsuchungen, die jetzt bei Hass-Terroristen durchgeführt werden, kommen zu spät. Lisa-Maria Kellermayr hätte geschützt werden können. Jetzt schützen die Ermittler vom Welser Staatsanwalt bis zum oberösterreichischen Polizeichef nur noch sich selbst.

Selbstschutz statt Menschenschutz

Noch nie war „Schutz“ in Österreich so ungleich verteilt. Seit Infizierte ihre Virenlast ganz legal unter die Menschen tragen dürfen, wird Zehntausenden „vulnerablen“ Menschen wie der Patientin mit Immunschwäche der Schutz verweigert. Seit klar ist, dass der Gesundheitsminister auch bei Affenpocken zu spät und zu wenig Impfstoff besorgt, warten wir alle wie zu Beginn der COVID-Seuche auf Schutz. Seit die Mitglieder des Nationalen Impfgremiums NIG vom Gesundheitsminister eingeschüchtert werden, fehlt den Fachleuten der Schutz ihrer unabhängigen Expertise. Seit der Verfassungsschutz für CIA und Mossad Muslimbrüder statt anschlagbereiter IS-Terroristen verfolgt, fehlt uns allen der Schutz vor Anschlägen. Und seit Aufdecker statt der Täter vom Staatsanwalt verfolgt werden und der Kampf gegen die WKStA nur zurückgefahren, aber nicht aufgegeben wurde, fehlt auch dem Rechtsstaat der Schutz.

Andere werden gut geschützt: die Kanzlergattin, die dem Wort „Machtrausch“ eine neue Bedeutung gegeben hat; der Nationalratspräsident, der wegen des Verdachts des kriminellen Postenschachers Beschuldigter ist und weiter den Untersuchungsausschuss über sich selbst leitet; die Millionenspender im Hintergrund, deren Spuren einfach nicht aufgenommen werden; und natürlich die ÖVP selbst, an der von SOKO Ibiza bis AG Fama das verlässliche Bundeskriminalamt vorbeiermittelt.

Gleich nach dem vermeidbaren Tod der COVID-Ärztin hat es Johannes Rauch auf den türkisen Punkt gebracht: „Für mich ist das ein Moment, innezuhalten, und nicht, um Schuldige zu suchen.“  Der Appell des Gesundheitsministers zum Tod von Lisa-Maria Kellermayr war kein Ausrutscher, sondern eine Botschaft. Polizei und Ärztekammer haben eine mutige, isolierte Ärztin im Stich gelassen. Alle sind betroffen, niemand tritt zurück. Und Johannes Rauch hält inne.

Verschulden aus Schwäche

Das türkise Regieren hat nur noch ein Ziel: im Amt zu bleiben. Dazu werden Gräben zu Hass-Schwurblern „zugeschüttet“ und Gräben zu denen, die um Gesundheit und Rechtsstaat kämpfen, aufgerissen. Für die Balkanrouten-Partei ÖVP ist das nichts Neues. Aber erstmals fürchten auch Grüne den Stimmenverlust in der Schwurbelwelt mehr als den Verlust von engagierten Menschen.

An diesem System ist Lisa-Maria Kellermayr zerbrochen. Der Welser Staatsanwalt hat Recht: Auch bei ihr liegt kein „Fremdverschulden“ vor. Es war Staatsverschulden, das die Ärztin in den Tod getrieben hat.

Staatsverschulden ist ein Zeichen der Schwäche. In normalen Zeiten leuchten die Ministerien im Wiener Regierungsviertel in der Nacht besonders hell, einige, weil Wichtiges vorbereitet wird, stärker, andere immer noch so, dass sie sich deutlich von ihrer Umgebung abheben. In der Zeit der türkis-grünen Regierung ist ein Licht nach dem anderen verlöscht, zuerst im Verteidigungsministerium, dann im Ressort für Landwirtschaft und in dem für EU und Verfassung, dann im Ministerium für Frauen und im Bildungsministerium. Sie sind einfach abgeschaltet worden, weil sie derzeit in der Regierung niemand braucht. Das Licht im Justizministerium flackert noch. Der Vizekanzler hat sich in Randsportarten verloren. Im Gesundheitsministerium und im Umweltministerium kämpfen die Grünen ums Überleben der Partei und ihrer Berater. Im Bundeskanzleramt sitzt Karl Nehammer und wartet auf sein Ende. Nur Finanzminister und Wirtschafts-Arbeitsminister stehen noch für die Klientel der ÖVP im vollen Einsatz.

Der Staat versagt, weil die Regierungsparteien nicht mehr können. ÖVP und Grüne haben das Regieren mit dem Reagieren getauscht. Wer im Abrutschen Halt sucht, kann keinen neuen Wege aus den Krisen gehen. Als Ex-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein kürzlich berichtete, wie ihn die ständige Bedrohung durch Hass-Schwurbler zermürbte und schließlich aus dem Amt trieb, ist niemandem bei ÖVP und Grünen aufgefallen, dass der groß angekündigte Kampf gegen den Hass im Netz still und heimlich aus Angst, letzte Stimmen zu verlieren, aufgegeben worden war. Und wem es aufgefallen ist, scheint es offensichtlich bereits egal zu sein.

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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