Dienstag, Oktober 8, 2024

Erste Funde bei Grabungen auf NS-Arbeitslager-Areal

Auf dem Areal des ehemaligen Zwangsarbeitslagers der Nazis in Graz-Liebenau finden erstmals gezielte archäologische Grabungen statt. Man rechnet damit, auch menschliche Überreste zu finden.

Graz, 08. August 2022 | Wo während des Nationalsozialismus das Zwangsarbeitslager Graz-Liebenau war, finden nun gezielt archäologische Grabungen statt. Bisher wurden Schuhe, Porzellan, Kämme und Medizinfläschchen gefunden. Man vermutet aber auch weitere sterbliche Überreste. 1947 waren bereits mehr als 50 Personen, die im Lager gestorben waren, exhumiert worden.

In den Jahrzehnten nach dem Krieg wurde der sogenannte Grünanger zum Teil als Grünfläche, zum Teil als Barackensiedlung genutzt, umfassende archäologische Untersuchungen blieben jedoch aus. Die Grazer Gedenkinitiative (GI) Graz Liebenau und der Allgemeinmediziner und Psychotherapeut Rainer Possert versuchen seit Jahren mehr Licht in die dunkle Geschichte zu bringen.

Größtes Zwangsarbeitslager in Graz

In der Zeit des Nationalsozialismus zählte das Zwangsarbeitslager bis zu 5.000 Insassen, die in insgesamt 190 Baracken untergebracht waren. Es war damit das größte derartige Lager in Graz. Auf dem Areal befinden sich heute Wohnbauten, Grünflächen, Schrebergärten und ein Kindergarten.

Im April 1945 war der Lagerkomplex im Süden von Graz auch eine Station der ungarischen Juden auf dem Todesmarsch vom “Südostwallbau” in Richtung KZ Mauthausen gewesen. Dutzende überlebten den Aufenthalt in Graz nicht: 34 der im Mai 1947 unter Leitung der britischen Besatzungsmacht exhumierten 53 Leichen wiesen tödliche Schusswunden auf. Wie viele Menschen im Zwangslager insgesamt zu Tode kamen und verscharrt wurden, lässt sich bis heute nicht mit Sicherheit sagen.

Immer wieder sterbliche Überreste gefunden

Als 1991 die Errichtung eines Kindergartens anstand, wurden im Erdreich die sterblichen Überreste zweier Todesopfer gefunden. Vom Plan einer Unterkellerung des Kindergartens wurde daraufhin abgerückt. “Menschen werden in der Regel in mindestens 160 Zentimeter Tiefe verscharrt. Da war es unwahrscheinlich, dass bei den kellerlosen Neubauten Knochenfunde gemacht wurden, da nur bis zur Fundamenttiefe von etwa 60 Zentimeter archäologisch untersucht werden durfte”, erklärte Rainer Possert gegenüber der APA. 2017 – im Zuge der Bauarbeiten zum Kraftwerk Puntigam – kamen jedoch weitere Funde aus der NS-Zeit ans Licht.

Zuletzt wurden im Jänner 2021 bei einer Sondierungsgrabung für ein Bauprojekt in der Nähe des Kindergartens menschliche Knochenteile gefunden. Nun lässt die Gedenkinitiative weiter nach Überresten suchen. Finanzielle Unterstützung gibt es sowohl von Bürgermeisterin Elke Kahr als auch vom Finanzressort der Stadt (beide KPÖ). “Jetzt wird mit Unterstützung der Stadt erstmals proaktiv gegraben, es ist erstmals eine Forschungsgrabung”, freute sich Possert am Montag an Ort und Stelle im Pressegespräch.

Grabungen in bisher ungestörten Schichten

Grabungsort ist eine Stelle in der Nähe der Tafel, die im September 2020 zum Gedenken an die in Liebenau verübten NS-Gräuel aufgestellt wurde. “Bereits 2020 sind bei der Errichtung der Tafel bedeutsame Gegenstände gefunden worden, die den Opfern des Todesmarsches im Frühjahr 1945 beziehungsweise den Insassen des Zwangsarbeiterlagers in Liebenau zuzuordnen sind”, berichtete Possert.

Nun wird ein rund 60 Quadratmeter großes Areal neben der Erinnerungstafel bis in die Tiefe von 180 Zentimetern untersucht. Genagelte und genähte Schuhsohlen, Gummischuhwerk, Porzellanfragmente und Besteck, Medizinfläschchen, Glasflaschen, Knöpfe, Glasperlen, Kämme bis hin zur Zahnbürste wurden bereits gefunden, berichtete Possert. “Ich bin erstaunt über die Fülle”, so der Initiator der Grabung. Er zeigte sich unter anderem über die gefundenen Kämme berührt: “Die sind zum Teil selbst geschnitzt.” Die Funde wurden ab einer Tiefe von 50 bis 150 Zentimetern gemacht und liegen in einer ungestörten Schicht. “Sie sind sowohl den Lagerinsassen als auch dem Bewachungspersonal zuzuordnen”, erklärte Grabungsleiterin Sandra Schweinzer von der ARGIS Archäologie Service GmbH.

Funde gehen an das GrazMuseum

Die Gedenkinitiative verpflichtete sich als Subventionsempfängerin der Stadt Graz, alle Funde dem GrazMuseum auszuhändigen. “Wobei wir keinen Einfluss darauf haben, dass die Funde entsprechend forensisch-archäologisch aufgearbeitet und auch künftig ausgestellt werden, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen”, wie Possert sagte. “Die Funde werden von uns genau aufgenommen, fotografiert und dann übergeben”, schilderte die Archäologin Schweinzer. Eine erste Auswertung werde es in einigen Wochen geben.

Weitere Verdachtsstellen am Grünanger, die archäologische Knochenspürhunde jüngst markiert haben, können laut Possert nun doch nicht archäologisch untersucht werden. “Diese Stellen wurden zum Teil bereits baulich verändert, beziehungsweise sind sie nicht ohne erheblichen Aufwand freizulegen.”

(apa/red)

Titelbild: ANNEMARIE HAPPE / APA / picturedesk.com

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