Samstag, Juli 27, 2024

Die armen Nazis

Die FPÖ war eine Gründung von Nazis und SS-Leuten, die sich als „Entrechtete und Opfer“ fühlten. Frappierend, wie prägend dieses Geheule bis heute ist.

Rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien erleben in vielen Teilen der Welt einen Aufschwung. Mancherorts, wie etwa in den Niederlanden, sind sie zuletzt sogar stärkste Partei geworden. In den USA droht mit Donald Trump ein Mann als Präsident zurückzukommen, der ungeniert die Sprache von Diktatoren spricht, politische Gegner als „Ungeziefer“ verunglimpft und am Ende seiner Präsidenten-Amtsperiode sogar einen Putschversuch unternahm.

Aber eines unterscheidet Herbert Kickls FPÖ von den allermeisten dieser Parteien: Es gibt sie schon lange. Sie ist keine Neugründung, und auch keine konservative Partei, die sich radikalisiert hat.

Die FPÖ war von Beginn an ein Sammelbecken alter Nazis. Sie ist nicht nur eine Altpartei, sondern eine Uraltpartei. Politikprofessor Anton Pelinka formulierte, die FPÖ „war eine Gründung von ehemaligen Nationalsozialisten für ehemalige Nationalsozialisten“.

Neuerdings macht die FPÖ wieder besonders gegen das „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands“ mobil, das seinerzeit von Widerstandskämpfern und Exilierten gegründet wurde. Die Vergangenheit sitzt ihr in den Knochen, ist ihre Gegenwart. Es ist natürlich gut verständlich, dass eine Partei, die von früheren SS-Leuten und NSdAP-Funktionären gegründet wurde, eine Institution nicht schätzt, die von früheren antifaschistischen Widerstandskämpfern gegründet wurde.

Das ist in etwa so überraschend wie die Nachricht, dass ein Räuber die Polizei nicht mag.

Die FPÖ mit der Nazikeule

Manchmal lohnt es sich, an die Gründungsgeschichte der FPÖ zu erinnern. Das Eigentümliche ist ja: Sie ist so bekannt, dass sie schon wieder in Vergessenheit gerät. Man kann durch aktives, rituelles Erinnern vergessen, so wie umgekehrt die Verdrängung zur permanenten Heimsuchung führen kann, zur Rückkehr des Verdrängten. Eine paradoxe, aber nicht unbekannte Tatsache.

Vergessen durch Erinnern: Weil es irgendwann langweilig erschien, an sowieso Bekanntes zu erinnern, sodass es niemand mehr tut, sodass es viele auch nicht mehr wissen. Das hat es der FPÖ erleichtert, sich aus dieser Geschichte davonzustehlen. Lenkt man die Aufmerksamkeit auf die Vergangenheit, die so übel ist wie die Gegenwart der FPÖ, so ist fix damit zu rechnen, dass die FPÖ mit einer ihrer beliebtesten Phrasen kommt, nämlich der „Nazikeule“.

Auch Goebbels, hätte er überlebt, würde wahrscheinlich Hinweise auf seine Vergangenheit mit dem Begriff „Nazikeule“ wegwischen wollen und ansonsten alles auf Hitler schieben.   

Die FPÖ wurde 1956 gegründet und ging aus dem „Verband der Unabhängigen“ hervor, der 1949 als Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten formiert worden war. Die Verwandlung des VdU zur FPÖ markierte dann vollends die Machtübernahme alter, ehemals strammer Nazis.

Der SS-Brigadeführer als Parteigründer

Mit dabei war übrigens schon der Vater von Ex-FPÖ-Chef Jörg Haider, Robert Haider, der bereits als 16-Jähriger der SA beigetreten war. Im Jahr 1934 hatte er am gescheiterten Nazi-Putsch teilgenommen. Dann flüchtete er „ins Reich“ und nach dem Anschluss machte er eine kleine Karriere, etwa als „Gaujugendwalter“.

Haiders Mutter hatte in einem Buch daran erinnert, dass der Entschluss zur Gründung der FPÖ von ehemaligen NSdAP- und SS-Leuten bei ihnen daheim gefasst worden war: „Und da haben sie dann in dieser Ecke an unserem Küchentisch beschlossen, die FPÖ zu gründen. Das ist hier in meiner Küche sozusagen eine historische Ecke.“

Schlüsselfigur in der neugegründeten FPÖ war Anton Reinthaller. Er wurde auch der erste Parteichef. Er war schon in den Zwanzigerjahren Nazi gewesen, wurde dann SS-Oberführer und SS-Brigadeführer, war Mitglied in der hitlertreuen Anschlussregierung in Österreich, später Unterstaatssekretär in Hitlers Berliner Reichsregierung.

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Der erste FPÖ-Chef war Regierungsmitglied in der Berliner Nazi-Regierung! Aber besonders lange musste er dafür nicht hinter schwedische Gardinen.

Reinthallers rechte Hand als FPÖ-Chef war von Beginn an Friedrich Peter, einstiger SS-Obersturmbannführer, der Dienst in einer Mordbrigade versah, die an Kriegsverbrechen mit zehntausenden Toten beteiligt war. Peter, später selbst FPÖ-Chef, hat immer abgestritten, persönlich an Erschießungen beteiligt gewesen zu sein.

„Machenschaften des zugewanderten Judentums“

Reinthaller, der erste FPÖ-Anführer, hat sich in nachgelassenen Schriften als enttäuschter Idealist kostümiert, beklagt, von Hitler betrogen worden zu sein, den Holocaust verurteilt, aber zugleich auch relativiert – als überschießende Reaktion quasi auf die „üblen wirtschaftlichen Machenschaften“ des „zugewanderten Judentums“. Reinthaller war eine Art Galionsfigur im Milieu der ehemaligen Nationalsozialisten. In den Dreißigerjahren war übrigens Ernst Kaltenbrunner der Sekretär Reinthallers – er stieg 1943 zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes auf, das die Vernichtungsaktion gegen die Juden leitete. Er wurde 1946 in Nürnberg als Kriegsverbrecher hingerichtet. Auch viele andere hohe NSdAP-Funktionäre, SA- und SS-Leute dominierten die Führungsgruppe der FPÖ.

Christa Zöchling beschrieb im „profil“ einmal, dass sich die Führungstruppe im US-Kriegsgefangenenlager Glasenbach zusammengefunden hatte, darunter neben Haiders Vater: „Stefan Schachermeyer, ehemals NS-Gauinspektor in Oberösterreich; Anton Reinthaller, illegaler Nazi, SS-Oberführer, der 1938 in Ministerämter aufstieg; Hermann Foppa, ein enger Freund der Familie Haider, NS-Reichsratsmitglied, NS-Schulinspektor in Oberösterreich; Foppa war 1950 Jörg Haiders Taufpate; Friedrich Peter, SS-Obersturmbannführer, Kriegsdienst in einer Mordbrigade. Sie alle hatten in der NS-Zeit in Oberösterreich miteinander zu tun gehabt oder sich in Glasenbach kennengelernt.“

Ihrer Gesinnung waren sie treu geblieben, und sie hatten sich eine gewisse Larmoyanz antrainiert, so als wären sie die eigentlichen Opfer – und nicht die Millionen Toten, die die NS-Barbarei gefordert hatte.

Larmoyanz und Jammerton im „Gauleiter-Klub“

All das wären aber tatsächlich nur Geschichten aus einer verwehten Vergangenheit, wäre daran nicht eines frappierend: Mit diesem Jammerton hatten die Altnazis ein argumentatives Muster entwickelt, das bis heute in der FPÖ dominant ist. Dieses „Wir sind die eigentlichen Verfolgten“ wurde zur Gemüts-DNA der österreichischen Nachkriegs-Rechtsextremisten. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

„Die ‚Ehemaligen‘ bewegten sich nach dem Kriegsende oft in einem gemeinsamen, männlich dominierten, sozialen und politischen Milieu“, formuliert die Historikerin Margit Reiter, die die Frühgeschichte der FPÖ und Biografie Reinthallers penibel aufgearbeitet hat. Eigen war diesem Milieu, dass es „ein Gegengedächtnis zum offiziellen österreichischen Geschichtsverständnis herausbildete“. Die Altnazis beklagten „Deklassierung“ und „stilisierten sich als ‚Opfer‘ der Entnazifizierung.“ Reiter spricht von „Selbstviktimisierung“. In den Dokumenten von VdU und frühen FPÖ-Anführern wurde routinemäßig von „Entrechteten“ gesprochen und über „Rachegesetze“ gejammert.

Damit war gemeint: Nazis wurden registriert und in „Belastete“ und „Minderbelastete“ unterschieden. Die „Minderbelasteten“ hatten schon 1947 beispielsweise das Wahlrecht zurückerhalten, die „Belasteten“ – also die hohen Nazi-Tiere – dann 1950.  

Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb nach der FPÖ-Gründung sarkastisch vom „Gauleiterklub“. Der Gründungsparteitag stand unter dem Motto „Glaube, Treue, Opferbereitschaft“.

Ob Nazi oder FPÖler: Immer Opfer vom System

Die Grundmuster heutiger Rechtsextremer hat die FPÖ quasi in ihrer DNA. Von ihren Gründungstagen an hat die FPÖ es ihren Anhängern gleichsam „eingeimpft“. Wenn die FPÖ heute also „Ausgrenzung“ bejammert oder Korruptionsermittlungen durch „das System“, ist das ein intuitives Altnazi-Gejammere. Unschuldsvermutungslämmer, wohin man schaut.

Man fühlt sich als Opfer, verfolgt von einem „System“, von den „Woken“, die einen „umerziehen“ wollen. Früher eben von den Alliierten und der Entnazifizierung, heute von Tugendterroristen, dem Soros-Regime oder gar der WHO, die immer neue Krankheiten erfindet, mit dem Ziel, arglose Menschen einzusperren. Von den „Entrechteten“ zu den „Ungeimpften“ ist es nur ein kleiner Wimpernschlag, kleine rhetorische Anpassungen der eingeübten Sprechweisen reichen. 1945 ist von 2024 vielleicht weniger weit entfernt, als man gemeinhin denkt.

Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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