Studie:
In den meisten Ländern, in denen weibliche Genitalverstümmelung Tradition hat, geht die grausame Praxis zurück. Das geht aus einer aktuellen Studie hervor.
Beirut, 2. September 2022 | Die grausame Tradition der Genitalverstümmelung an Mädchen und Frauen (auch “FGM”, von “female genital mutilation”) geht einer neuen Studie zufolge zurück. Bildung und Verbote dürften damit ihre Wirkung zeigen. In 26 von 30 betroffenen Staaten in Afrika, im Nahen Osten sowie in Südostasien hat die Verbreitung der Praxis in den vergangenen Jahren abgenommen, wie aus einer im Fachblatt “PLOS Medicine” veröffentlichten Erhebung hervorgeht.
Laut der Studie sind in den untersuchten Ländern insgesamt 37 Prozent der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren betroffen, bei Mädchen im Alter bis 14 Jahren sind es 8 Prozent. Als Grundlage für die Erhebung dienten die Daten von mehr als 400.000 Frauen und knapp 300.000 Mädchen aus den betroffenen Staaten.
Verbote, Bildung und neue soziale Normen
In Äthiopien ist die Zahl der betroffenen Kinder in den vergangenen 20 Jahren stark gesunken. Waren im Jahr 2000 noch knapp 52 Prozent der Mädchen zwischen null und 14 Jahren der Praktik unterworfen, waren es im Jahr 2016 noch 15,7 Prozent. Die Studienautoren führen die Entwicklung neben gesetzlichen Verboten auch auf zunehmende Bildung zurück. Frauen hätten heute mehr Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt, sagt die UNICEF-Expertin Claudia Cappa. “Das verändert auch die gesellschaftlichen Normen.”
In der Zentralafrikanische Republik hat sich die Lage ebenfalls verbessert: In den Jahren 1994 und 1995 waren 43,4 Prozent der Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren betroffen, 2018 und 2019 waren es 21,6 Prozent. “Die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung ist in den letzten drei Jahrzehnten zurückgegangen, mit einer Beschleunigung in den letzten zehn Jahren”, so Cappa. Dennoch werde sie in den nächsten Jahren aber nicht gänzlich aufgegeben.
Mancherorts auch Zunahme oder Stagnation
Eine Zunahme dieses Eingriffs bei Frauen verzeichnete die Studie dagegen für Burkina Faso, Somalia und Guinea-Bissau. In Guinea-Bissau wurden etwa 2006 bei 44,5 Prozent der Frauen die Genitalien verstümmelt. In den Jahren 2018 und 2019 galt dies bereits für 52,1 Prozent. Unter Mädchen nahm die Zahl in dem westafrikanischen Land hingegen leicht ab. Knapp 30 Prozent von ihnen waren 2018 betroffen.
Schlusslicht bei der auch als weibliche Beschneidung bekannten Prozedur ist der Erhebung zufolge Somalia. Dort waren im Jahr 2020 99,2 Prozent der Frauen verstümmelt. Im Jahr 2006 galt dies für knapp 98 Prozent. Bei Kindern ist es Mali: knapp 73 Prozent der Mädchen waren dort 2018 von dem grausamen Eingriff betroffen. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl dort kaum verändert.
Forscher gehen von Dunkelziffer aus
Die Autoren um Stephen McCall von der Amerikanischen Universität Beirut sehen die weibliche Genitalverstümmelung als extreme Form der Ungleichbehandlung der Geschlechter. Sie habe “lebenslange gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen für Frauen und Mädchen”, warnen die Forscher aus dem Libanon.
Die Wissenschaftler schätzen, dass weltweit mindestens 100 Millionen Frauen betroffen sind. Sie räumen aber ein, dass die reale Verbreitung wohl etwas höher liegen dürfte. Die Vereinten Nationen gehen von 200 Millionen Fällen aus.
Schwere gesundheitliche Folgen
Zu den gesundheitlichen Folgen gehören neben psychischen Problemen auch starke Schmerzen, Infektionen, Blutvergiftungen, Unfruchtbarkeit und Komplikationen bei der Schwangerschaft. Mitunter sterben Mädchen und Frauen auch in Folge der Prozedur. Nach Angaben der Autoren wird sie meistens bei Kleinkindern im Alter zwischen null und fünf Jahren durchgeführt. Bei der Genitalverstümmelung werden je nach Methode Klitoris und Schamlippen teilweise oder vollständig herausgeschnitten. Bei der schwersten Form wird anschließend auch die Scheide bis auf ein kleines Loch zugenäht.
Die Verstümmelungen werden den Studienautoren zufolge etwa aus religiösen, sozialen oder kulturellen Gründen vorgenommen. Viele Menschen in den betroffenen Ländern glauben demnach, dass dies die Heiratsaussichten der Mädchen und Frauen verbessere und ihre sexuellen Triebe eindämme. Normen zu verschieben brauche Zeit, so UNICEF-Expertin Cappa. Letztlich müsse die Stellung der Frau in den betroffenen Ländern gestärkt werden.
(apa/red)
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