Samstag, April 20, 2024

Internationale Pressestimmen zur Wahl in Italien

Internationale Tageszeitungen kommentieren den Wahlsieg der postfaschistischen Fratelli d”Italia unter Giorgia Meloni am Dienstag wie folgt:

Rom, 27. September 2022 |

“Neue Zürcher Zeitung”

“Unter der Regierung Meloni werden sich die Beziehungen zu Brüssel abkühlen. Weil das hochverschuldete Italien aber auf die Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds der EU angewiesen ist, gibt es wenig Spielraum für ernsthafte antieuropäische Provokationen oder budgetäre Abenteuer. Das wird Melonis Hauptproblem werden. Im Wahlkampf hat die Chefin der Fratelli d”Italia viele unrealistische Versprechungen gemacht und sehr widersprüchliche Signale ausgesendet. Der harte Kern ihrer radikalen Anhänger erwartet von ihr etwas ganz anderes als ihre gemäßigteren Erstwähler. Nun wird sie in einem rauen wirtschaftlichen Umfeld regieren und unpopuläre Entscheide treffen müssen. Wegen des Ukraine-Kriegs droht Italien bereits die nächste Rezession. Ihre Anhänger, die mehrheitlich aus der Unter- und der Mittelschicht kommen, werden am schwersten unter den steigenden Energiepreisen leiden. Auch Giorgia Meloni droht deshalb bald die Entzauberung.”

“Tages-Anzeiger” (Zürich)

“Ähnlich wie Polens Regierung hat die Postfaschistin auch schon die Priorität des EU-Rechts über nationale Regeln infrage gestellt. Man will zwar das Geld aus Brüssel, sich aber nicht dreinreden lassen, wenn es um gemeinsame Werte oder Regeln geht. Ähnlich wie Orban sieht auch Meloni Migration und LGBTI-Rechte als Gefahr für ein “weißes Europa”, das auf der Nation, traditionellen Familienwerten und Christentum basiert. Doch die Gemeinsamkeiten erschöpfen sich schnell, wenn es zum Beispiel um Russland und Wladimir Putins Krieg in der Ukraine geht. (…) Selbst beim Thema Migration hat Italien andere Interessen als Polen oder Ungarn, sobald es um mögliche Lösungen geht.

Die Machtbalance muss sich in der EU also nicht dramatisch verändern. Etwas mehr Sand im Getriebe der EU ja, aber Giorgia Meloni kann es sich als Regierungschefin nicht leisten, es mit den europäischen Partnern zu verscherzen. Sie braucht die 191 Milliarden Euro, die Italien aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zufließen sollen. Und ohne die Unterstützung der Europäischen Zentralbank und deren Aufkaufprogramm könnte Italiens Schuldenlast von 150 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung rasch untragbar werden”

“Times” (London):

“Das Problem, das sich durch den Aufstieg von Giorgia Meloni ergibt, ist nicht so sehr die simple Frage, ob sie neofaschistische Tendenzen hat, sondern vielmehr, ob sie die Herausforderungen bewältigen kann, mit denen sie infolge des italienischen Schuldenbergs (fast 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts), des starken demografischen Rückgangs, der langen Jahre wirtschaftlicher Stagnation und jetzt natürlich der hohen Lebenshaltungskosten konfrontiert ist.

Melonis Partei gibt es erst seit einem Jahrzehnt. 2018 kam sie kaum auf vier Prozent. Bisher war sie nicht in der Lage, eine solide Basis von Beratern aufzubauen, die für die Bewältigung der großen wirtschaftlichen Probleme erforderlich ist. (…) Meloni hat versprochen, sich weitgehend an den mit der Europäischen Kommission vereinbarten Reformplan zu halten, der Italien im Rahmen des Corona-Wiederaufbauprogramms rund 200 Milliarden Euro einbringen wird. Sie wird jeden einzelnen Cent davon brauchen.”

“NRC Handelsblad” (Amsterdam):

“Es ist fraglich, ob sie und ihre Koalitionspartner begreifen, vor welch immensen Herausforderungen sie auf wirtschaftlichem Gebiet stehen. Meloni hat zwar das milliardenschwere Corona-Wiederaufbauprogramm der EU begrüßt, das der Technokrat Mario Draghi ausgehandelt hat. Aber sie sagt auch, dass sie einige Punkte erneut mit Brüssel besprechen will. Potenziell führt das zu einer monatelangen Verzögerung, was sich Europas drittgrößte Volkswirtschaft angesichts steigender Zinsen nicht erlauben kann.

Während die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Italiens derzeit von essenzieller Bedeutung ist, hat Meloni in den zurückliegenden Monaten keine Chance ungenutzt gelassen, um einen Lobgesang auf Verstaatlichungen und Protektionismus anzustimmen. (…) Noch vor wenigen Monaten unterstützte eine deutliche Mehrheit der italienischen Bevölkerung Mario Draghi, doch nun hat sie für eine Reise in die Ungewissheit gestimmt. Die EU muss diese Entscheidung respektieren und alles tun, um Italien an Bord zu halten.”

“El Mundo” (Madrid):

“Der Sieg Melonis hat Alarm in Europa ausgelöst angesichts der Gefahr eines illiberalen Kurses in einem der wichtigsten EU-Länder ähnlich wie in Ungarn und Polen. Ihre ultrakonservative und euroskeptische Plattform, die EU-Werten zuwiderläuft, ist eine klare Warnung an Brüssel – zusätzlich zum Aufstieg der extremen Rechten in Schweden – aber ein radikaler Bruch erscheint dennoch unwahrscheinlich.

Denn Meloni wird in einem engen Korsett regieren müssen. Da ist der institutionelle Rahmen mit starken Gegengewichten wie dem Verfassungsgericht, der Zentralbank und Präsident Sergio Matarella. Hinzu kommt die wirtschaftliche Lage, die ihr kaum Luft für riskante Sprünge lässt. Und die EU macht die Gewährung von Geldern von der Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln abhängig. Schließlich gibt es noch eine vierte Fessel, die kommende Koalition, sicher mit vielen Querschüssen Salvinis und Berlusconis.

Meloni wird sich vermutlich auf Themen wie Einwanderung, Abtreibung und die traditionelle Familie konzentrieren, aber keine Rebellion gegen die EU vom Zaun brechen, die Hilfsgelder gefährden könnte. Die EU muss dennoch wachsam bleiben, damit Italien nicht zu einem weiteren Trojanischen Pferd im Herzen Europas wird.”

“Magyar Nemzet” (Budapest):

“Mit der von den italienischen Wählern erteilten Lektion muss die EU nun erst einmal fertig werden. In Brüssel und im angeschlossenen politischen Einflusskreis panikt man auch schon ordentlich. Dort zieht man nämlich Deals, die in rauchgeschwängerten Hinterzimmern ausgehandelt werden, dem Votum der Massen vor oder, wie es im Brüsseler Wörterbuch heißt, dem “Populismus”. (…) Als besonders alarmierend empfindet man in der Hauptstadt der Union, dass (Ungarns Ministerpräsident) Viktor Orban und die Regierung der Rechten in Polen in der Person von Meloni eine starke Verbündete in der EU erhält, noch dazu eine, die einen der Gründerstaaten der Union repräsentiert. (…) In Rom wird nun eine schlagfertige, charakterstarke Vollblut-Politikerin an der Spitze einer migrationsfeindlichen, nationalen Regierung die politische Bühne betreten. Die europäische Rechte kann damit rechnen, eine gewichtige Verbündete zu erhalten. Wie Brüssel mit der italienischen Lektion fertig wird, wird wiederum die Zeit zeigen.”

“Politiken” (Kopenhagen):

“Die italienischen Wähler haben gesprochen, und ihre Botschaft ist sowohl traurig als auch unmissverständlich deutlich. Sie haben die Weichen für die am weitesten rechtsstehende Regierung der modernen Geschichte des Landes gestellt. Die Wahl in Italien unterstreicht noch einmal, dass Populismus und die Gefahr von Rechtsextremisten und Nationalisten im Westen eine Realität sind. Die Bedrohung ist nicht verschwunden. In den USA ist Donald Trump weiterhin der alles dominierende Herrscher in der Republikanischen Partei, und auf der anderen Seite des Öresunds (in Schweden) sind die Schwedendemokraten mit ihren neonazistischen Wurzeln zweitstärkste Partei geworden. Aber die Wahl in Italien ist eine klare Warnung. Auch ohne Italien aus der EU austreten zu lassen, kann Meloni zu einem echten Problem für die Union werden. Sie bringt die Machtverhältnisse durcheinander und stärkt illiberale Kräfte wie Orbán.”

“Corriere della Sera” (Rom):

“Wir alle hoffen, dass Meloni Erfolg hat, wo Mitte-Rechts, Mitte-Links und die Grillini (die Fünf-Sterne-Bewegung) versagt haben. Eines muss ein Land wie dieses jedoch unbedingt vermeiden: den Bruch mit Europa. (…) Andererseits würde auch Europa einen schweren Fehler begehen, wenn es Italien von oben herab behandeln würde. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Einmischung nicht hilft, sondern im Gegenteil die antieuropäische Stimmung verstärkt.”

“Dnevnik” (Ljubljana):

“Die Europäische Union hat bereits Erfahrung mit der Beteiligung der extremen Rechten an einer europäischen Regierung. Als die Freiheitliche Partei von Jörg Haider im Jahr 2000 eine Koalition mit der Österreichischen Volkspartei einging, sah sich die Union mit einer Herausforderung konfrontiert, die sie in der europäischen politischen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg nicht erwartet hatte. Die damaligen EU-Mitgliedstaaten verhängten politische Sanktionen gegen die neue Regierung, die allerdings auf breite Kritik stießen. Mehr als zwanzig Jahre später gibt es Druckmittel, um Verstöße gegen die Grundwerte der EU zu sanktionieren. (…)

Als die Europäische Kommission gestern mitteilte, dass sie beabsichtigt, konstruktiv mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten, dürfte dies nicht überraschen. Eine ähnliche Reaktion gab es auch vor mehr als zwei Jahrzehnten bezüglich der österreichischen Regierung. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass der Sieg der extremen Rechten in Italien den Block der Länder bzw. politischen Kräfte gestärkt hat, die die Zukunft des europäischen Projekts nicht in seiner Vertiefung, sondern in einer Lockerung der institutionellen Bindungen an Brüssel sehen.”

“Libération” (Paris):

“Es ist ein politisches Erdbeben, da Italien zum ersten Mal seit 100 Jahren (…) wieder von einer von der extremen Rechten dominierten Regierung regiert werden wird, in einer Koalition, die einen schaudern lässt (…). Ein Erdbeben auf der europäischen Ebene, da Italien eines der Gründungsländer des europäischen Projekts ist, das in der unmittelbaren Nachkriegszeit als Antwort auf den nationalsozialistischen und faschistischen Totalitarismus ins Leben gerufen wurde.

(…) Die Union ist bereits durch den Rechtspopulismus in Polen und Ungarn sowie durch den jüngsten Sieg der extremen Rechten in Schweden geschwächt. (…)

Diese dramatische Situation verpflichtet Frankreich, sein ganzes Gewicht zusammen mit Deutschland in diesem Kampf für die europäischen Werte in den Instanzen der Union in die Waagschale zu werfen. Aber sie verpflichtet Emmanuel Macron auch innenpolitisch. Sollte es ihm in seiner zweiten fünfjährigen Amtszeit nicht gelingen, der französischen extremen Rechten (…) den Wind aus den Segeln zu nehmen, dann stünde die Union mehr denn je auf dem Spiel.”

“Rzeczpospolita” (Warschau):

“Italien unter Giorgia Meloni wird die EU nicht verändern. Es wird an ihren Rand abdriften. Obwohl Italien eines der größten Länder der EU ist, verfügt es nur über eine begrenzte Souveränität in seiner Wirtschafts- und Außenpolitik, was Meloni schon bald herausfinden wird. Wie jeder italienische Regierungschef würde sie natürlich gerne mehr ausgeben, besonders in Zeiten der Energiekrise. Aber hier sind ihr enge Grenzen gesetzt. Sie darf es mit der Erhöhung der Schulden nicht übertreiben, nicht nur, weil sie dafür mit Sanktionen aus Brüssel rechnen muss, sondern vor allem, weil die italienische Verschuldung bereits 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt und eine weitere Erhöhung eine Panik auf dem Markt auslösen könnte.

Der einzige Bereich, in dem Meloni sich in der Praxis profilieren kann, sind soziale und familiäre Themen. Ihre Ablehnung von Abtreibungsrechten oder LGBT-Rechten ist bekannt. Auf EU-Ebene wird dies jedoch nichts ändern, da Brüssel in dieser Angelegenheit nicht zuständig ist. Das kann man übrigens sehr gut an den Beispielen Polen und Ungarn sehen. In Anbetracht all dessen scheint es, dass Meloni die EU nicht verändern wird, auch wenn sie Jaroslaw Kaczynski und Viktor Orban als Verbündete hat.”

(apa/bf)

Titelbild: VINCENZO PINTO / AFP / picturedesk.com

Benedikt Faast
Benedikt Faast
Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.
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3 Kommentare

  1. Mal schaun wie Salvini weitermacht….Er und die Mumie werden sich kaum der Fascho Dame unterordnen.

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