Samstag, Juli 27, 2024

Figl statt Reformen

In Rom und Wien zeigen Rechtsregierungen, dass sie es nicht können. Während sich Karl Nehammer als Leopold Figl verkleidet, nimmt Giorgia Meloni ihre Schwierigkeiten wenigstens ernst.

Hier, ein paar Kilometer südlich von Ancona, gehen für uns ein paar schöne Tage zu Ende. Ein Stück weiter im Norden geht es nicht um Urlaub, sondern etwas ganz anderes.

Die rechtsextreme Regierung von Giorgia Meloni wird Lager bauen. Aus den riesigen Immobilienbeständen des italienischen Militärs werden gerade 13 Standorte für die „Centri di permanenza per i rimpatri (Cpr)“ mit Dekret bestimmt. Einer davon ist Falconara Marittima, gleich neben dem Flughafen von Ancona.

Kleinere Lager dieser Art gibt es in Italien seit Jahren. Bis zu 90 Tagen konnten dort Einwanderer angehalten werden. Aber jetzt geht es um 18 Monate. In dieser Zeit  kann sich der Flüchtling entscheiden: Kehre ich freiwillig in mein Heimatland zurück – oder sitze ich die 18 Monate im Lager ab.

An der Zeit

Alles beginnt in Lampedusa. Vor einer Woche sind am Dienstag 5.000 Flüchtlinge auf der kleinen italienischen Insel gelandet. Bürgermeister Filippo Mannino ist verzweifelt: “Jeder hat in irgendeiner Weise den Migranten geholfen, die Hilfe brauchten. Aber jetzt ist es wirklich an der Zeit, nach einer strukturellen Lösung zu suchen.”

Doch die wird es nicht geben. Staaten wie Österreich und Ungarn haben früh zu einer gemeinsamen europäischen Lösung „Nein“ gesagt. Die Hilfe für die Heimatländer hat sich wie die Einwanderungszentren vor Ort in Afrika und Asien auf Konferenzreden beschränkt. Zehntausende Flüchtlinge sitzen in Libyen fest. Ihnen bleibt nur der Weg nach vorne, durch das lebensgefährliche Meer, ins Meloni-Lager.

Die italienische Rechtsregierung sitzt jetzt in der Flüchtlingsfalle. Weil der Weg in den Norden am Brenner blockiert wird, zeigt Italien jetzt Österreich wegen der Sperren am Brenner beim Europäischen Gerichtshof an.

Der Bruch

Keine Lösung. Das gilt nicht nur für Hunderttausende Flüchtlinge. Das gilt für absaufende Regionen, für winterlose Schigebiete und sterbende Fichtenwälder. Das gilt für explodierende Armut und eine Generation von Kindern, die weniger Chancen haben werden als eine Kindergeneration vor ihnen. Das gilt für Krebskranke, die ohne Operation nach Hause geschickt werden und nicht verstehen, dass das Versprechen, das sie für jahrzehntelange Einzahlungen ins System bekommen haben, einfach gebrochen wird.

Wenn die Politik ihre Versprechen bricht, brechen die Menschen mit ihr. Die Warnungen vor der Machtübernahme autoritärer Rechtsparteien nützen dann nicht mehr, weil es den Menschen längst egal ist.

Kanada oder Österreich

Hätte es anders kommen können? Ich erinnere mich an das riesige jordanische Flüchtlingslager nahe der syrischen Grenze. Dort zeigten uns kanadische Beamte, wie es geht: Flüchtlinge bewerben sich vor Ort um eine Einwanderungskarte. Damit haben sie einen Grund, das Verfahren abzuwarten.

Kanadische Beamte sorgen dafür, dass die „Richtigen“ kommen – Menschen, die gut integrierbar sind und vielleicht bald in Spitälern und Tourismus zeigen, wie sehr sie gebraucht werden. Österreichische Beamte haben einen anderen Auftrag.

Kanada hatte nicht viel zu befürchten, weil keine Flüchtlingsroute über Land oder Meer nach Nordamerika führt. Doch von Wien bis Rom wurde alles ignoriert. Die Chance, sich vor Ort die Geeignetsten für Einwanderung auszusuchen, sie in Deutsch oder Italienisch zu unterrichten und für Mangelberufe auszubilden, wurde ebenso einfach wie schlampig vertan. Dafür wurden Routenschließungen inszeniert.

Jetzt liegen die Rechnungen für den billigen Flüchtlingspopulismus der Rechtsparteien auf den Regierungstischen in Rom und Wien. Gleichzeitig flüchten italienische Krankenschwestern aus ihren Spitälern in die besser zahlende Schweiz. In Österreich übersiedeln ihre Kolleginnen ins besser zahlende Burgenland – oder sie geben einfach auf.

Lösbar, unlösbar

Ich könnte die gleiche Geschichte rund um Gasimporte, Wohnungen und Mieten, Schulen und Unis erzählen. Es ist immer dasselbe: Aus lösbaren Problemen werden kaum lösbare und dann unlösbare Probleme. Es ist wie beim Pflug, der irgendwann nicht mehr die Kraft hat, alles, was er vor sich aufschiebt, weiterzubewegen. Irgendwann bleibt er einfach stecken. An diesem Punkt scheint die Regierung in Wien jetzt angelangt.

Gleichzeitig steigen Reichtum und politische Macht einer kleinen Schicht, die sich von Yachten bis Delikten alles leisten kann. Wer sie angreift, setzt sich der ganzen Wut des käuflichen Boulevards aus. Der setzt auf „rechts“.

Die Hoffnung

Ich weiß nicht, wie viele der Menschen, die gerade mit dem „System“ brechen, mit der Hoffnung auf große, radikale Reformen in unsere Welt aus Demokratie und Rechtsstaat zurückgeholt werden können. Ich weiß nur, dass nicht mehr viel Zeit bleibt.

In Rom dämmert es Giorgia Meloni, dass sie das Problem nicht in den Griff bekommt: „Ich hatte mir bei der Einwanderungspolitik mehr erhofft. Wir haben viel gearbeitet, aber die Ergebnisse sind nicht das, was wir uns erhofft hatten“. In Wien versucht sich derweil Karl Nehammer als Figl-Wiedergänger: „Ich glaube an Österreich“. Aber wer glaubt noch an Nehammer? Wer glaubt, dass er auch nur ein Problem löst? Und wer in der ÖVP regt sich noch auf, wenn Karl Nehammer demnächst am Heldenplatz verkündet: “Ick bin Börliner!”

Morgen in der Früh fahren wir zurück nach Österreich. In ein reiches Land, das alles hätte, um der Welt zu zeigen, wie man es besser und nicht noch schlechter macht. Ich habe gehört, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Aber es ist ihr auch schon besser gegangen.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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