Samstag, Juli 27, 2024

Sabotage-Verdacht: Gas-Lecks in Nord Stream-Pipelines

Sabotage-Verdacht:

Seit Montag strömen aus drei Lecks in den Nord Stream-Pipelines große Mengen Gas in die Ostsee. Die EU geht von Sabotage aus, Russland will es nicht gewesen sein. Das Ausmaß des Schadens spricht allerdings dafür, dass ein staatlicher Akteur dahintersteckt.

Moskau/Kiew, 28. September 2022 | Aus Lecks in den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 tritt seit Montag an drei Stellen Gas aus, es strömt direkt in die Ostsee. An einer Stelle soll das Gasleck an der Meeresoberfläche einen Blasenteppich von einem Kilometer Durchmesser erzeugen, berichtet das dänische Verteidigungsministerium.

Es hat eine Videoaufnahme von einem der Gaslecks veröffentlicht. Die Europäische Union (EU) und die NATO gehen davon aus, dass die Pipelines vorsätzlich beschädigt worden sind. “Alle verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass diese Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung sind”, sagte EU-Außenbeauftragter Josep Borrell am Mittwoch und kündigte “robuste Reaktionen” an.

Auch aus Sicht deutscher Sicherheitskreise spricht vieles für Sabotage. Sollten die Lecks das Ergebnis von Anschlägen sein, würde angesichts des Aufwands nur ein staatlicher Akteur infragekommen, hieß es.

Der Kreml weist jede Verantwortung für die Schäden von sich. Man wisse auch nicht, was passiert sei und habe kein Interesse daran, dass die Pipelines ausfielen, sagte Kreml-Sprecher Dmitry Peskow in seinem täglichen Telefonat mit einem Journalisten.

Er könne nicht sagen, wann die Schäden behoben würden. In der Nacht auf Montag war der Druck in den Pipelines merklich abgefallen und daraufhin die Lecks entdeckt worden.

Lettischer Außenminister: „Schwerwiegender Sicherheits- und Umweltvorfall“

Die drei Lecks befinden sich in den ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens, also in jenen Gewässern, in denen die beiden Staaten jeweils ausschließliche Fischereirechte und Rechte an den Bodenschätzen haben. Der dänische Verteidigungsminister Morten Bødskov betonte in Brüssel, es könne ein bis zwei Wochen dauern, bis man die Lecks in etwa 80 Metern Tiefe untersuchen könne, weil so viel Gas austrete. Die kritische Infrastruktur seines Landes sei nicht betroffen.

Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics forderte in der Nacht auf Mittwoch auf Twitter, dass die “Sabotage an den Pipelines Nordstream I und II” als “schwerwiegendster Sicherheits- und Umweltvorfall in der Ostsee eingestuft” wird. Er sprach auch von einer neuen Phase des hybriden Kriegs.

Russen lehnen sich auf

Indes spitzt sich die Lage in Russland immer weiter zu. Wladimir Putin hat Berichten zufolge Mühe, seine “Teilmobilisierung” umzusetzen. Seit sie angekündigt wurde, protestieren russische Männer und Frauen dagegen – auch in Wien, ZackZack berichtete.

Besonders ethnische Minderheiten sollen überproportional von den Einberufungen betroffen sein, Aktivisten sprechen sogar von ethnischer Säuberung. Außerdem haben Aktivisten laut den “Moscow Times” mindestens zwanzig Anschläge auf Einberufungs-Büros und administrative Einrichtungen verübt – mit Molotow-Cocktails, indem sie Feuer eröffneten und mehr.

Bereits unmittelbar nach Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar hatte es eine Reihe solcher Widerstands-Aktionen gegeben. Wie die “Moscow Times” berichten, sollen die jüngsten Angriffe allerdings besser organisiert sein. Die Aktivisten organisieren sich laut Bericht über den Nachrichten-Dienst Telegram und haben angekündigt, mit allen ihnen zur Verfügung Mitteln staatliche Infrastruktur anzugreifen. Bisher ist es besonders im Westen Russlands zu solchen Vorfällen gekommen.

Beitrittsgesuche nach Scheinreferenden

Ein weiteres Zeichen dafür, dass der Krieg nicht nach den Vorstellungen Wladimir Putins läuft, sind die Scheinreferenden in vier russisch besetzten ukrainischen Gebieten. Bevor diese von der militärisch derzeit sehr erfolgreichen Ukraine zurückerobert werden können, möchte Putin offenbar Fakten schaffen.

Mittlerweile liegen die Ergebnisse der Scheinreferenden in den Gebieten Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja vor. Diese sind wenig überraschend für einen Beitritt zu Russland ausgefallen. Schon Montag und Dienstag wollen die russischen Parlamentskammern über die Annexionen der Gebiete entscheiden.

Die Ergebnisse der Scheinreferenden werden international und auch von der Ukraine nicht anerkannt. Sie sind nicht geheim, mit Stimmen russischer Truppen, im aktiven Kriegsgebiet und unter Druck der Besatzer abgehalten worden. “Nach westlichen Maßstäben lächerlich”, urteilte ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz am Mittwoch im “Ö1”-Morgenjournal. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nannte die Abstimmungen eine “Farce”.

Kiew betonte am Mittwoch: “Wie auch im Falle der ukrainischen Krim bleiben die Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson souveräne Territorien der Ukraine.” EU-Ratspräsident Charles Michel schrieb auf Twitter: “Gefälschte Referenden. Gefälschte Ergebnisse. Wir erkennen weder das eine noch das andere an.”

Auch das österreichische Außenministerium meldete sich am Mittwoch in einer Stellungnahme zu Wort: Die Scheinreferenden “sind ein weiterer, schwerwiegender Angriff auf die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine”, man verurteile sie “aufs Schärfste”.

UPDATE: Am 29. September wurde bekannt, dass die schwedische Küstenwache ein viertes Leck entdeckt hat.

(pma)

Titelbild: HANDOUT DANISH DEFENCE COMMAND / AFP / picturedesk.com

Autor

  • Pia Miller-Aichholz

    Hat sich daran gewöhnt, unangenehme Fragen zu stellen, und bemüht sich, es zumindest höflich zu tun. Diskutiert gerne – off- und online. Optimistische Realistin, Feministin und Fan der Redaktions-Naschlade. @PiaMillerAich

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