Die Meinungsforscherin und Statistikerin Sabrina Dorn erklärt den Mitläufer-Effekt bei „Sonntagsfragen“. Nicht nur deshalb muss man genau schauen, was man serviert bekommt. Ein Gastbeitrag.
Sabrina Dorn
Wien, 08. Oktober 2022 | Die Bundespräsidentenwahl steht an und auch sonst wird man von politischen Meinungsumfragen regelrecht überschwemmt. Allerdings sind diese mit Bedacht, wenn nicht gar mit Vorsicht, zu genießen. Denn nicht immer ist es für den Endkonsumenten einfach, manipulative Werbung und schlechtes Handwerk von seriöser Meinungsforschung zu unterscheiden.
Die Sache mit dem Mitläufer-Effekt
In der Produktwerbung wird mittels angeblich durch Meinungsumfragen gewonnener Beliebtheitswerte gerne der Eindruck erzeugt, ein Produkt könne wahre Wunder bewirken. Und tatsächlich: Die Kaufentscheidung kann dadurch positiv beeinflusst werden. Man bezeichnet die dabei erzeugte, kognitive Verzerrung als Bandwagon- oder Mitläufer-Effekt. Laut psychologischer Handlungstheorie denken sich Menschen dabei: „Was für so viele andere gut ist, muss auch für mich gut sein.“
Dieser sogenannte Mitläufer-Effekt wurde in den 1940er-Jahren erstmalig vom Soziologen Paul Felix Lazarsfeld im Zusammenhang mit der US-amerikanischen Wahlforschung beschrieben. Er stellte fest, dass Wähler bei ihrer Wahlentscheidung eine „Tendenz zum Sieger“ zeigen und bei politischen Wahlentscheidungen dazu neigen, sich entgegen ihrer eigentlichen eigenen Meinung zu entscheiden.
Dass das tatsächlich funktioniert, war damit auch schon vor der Causa Beinschab evident – über fingierte Beliebtheitswerte wurde die Machtübernahme in der ÖVP durch Sebastian Kurz zumindest stark begünstig – und ein gut verstandenes Phänomen, mit dem gezielt politisch Stimmung gemacht werden kann.
Erstaunlich ungeregelt
In gewisser Weise beachtlich sind auch die gewerberechtlichen Voraussetzungen, um auf dem Gebiet der Markt- und Meinungsforschung eine selbständige Tätigkeit auszuüben. Es handelt sich dabei nämlich um ein freies Gewerbe, sodass man dafür keinerlei Befähigungsnachweis erbringen muss. Einzig: Man muss mindestens 18 Jahre alt sein, einen EU- beziehungsweise EWR-Aufenthaltstitel besitzen und es dürfen keine anderen Ausschlussgründe vorliegen, etwa bestimmte Vorstrafen.
Neben einer Vielzahl weiterer Tätigkeiten befinden sich auf der bundeseinheitlichen Liste der freien Gewerbe übrigens ebenfalls Wahrsagerei und die Erzeugung von Wünschelruten. Im Gegensatz dazu muss etwa ein Unternehmensberater oder Buchhalter einen Befähigungsnachweis erbringen und dies, obwohl wahrscheinlich viele sofort der Aussage zustimmen würden, dass ihnen das Erstellen einer Buchhaltung leichter fallen würde, als ohne Vorkenntnisse Inferenzstatistik und andere wissenschaftliche Methoden korrekt anwenden zu können.
Laut Definition der Wirtschaftskammer Österreich umfasst die Tätigkeit als Markt- und Meinungsforscher nämlich die Ermittlung von Entscheidungshilfen mittels entsprechender wissenschaftlicher Methodologie. Man könnte hier regelrecht gewerberechtlich statuierte Wissenschaftsfeindlichkeit unterstellen oder einen Schildbürgerstreich vermuten.
Transparenz ist A und O
Eine wichtige Frage, um seriöse politische Meinungsforschung zu erkennen, ist, ob das durchführende Institut Mitglied des Verbands der Markt- und Meinungsforschungsinstitute Österreichs (VdMI) ist oder sich jedenfalls in seiner Arbeit an die vom VdMI vorgegebenen Richtlinien zur Durchführung von Sonntagsfragen hält. Diese Richtlinien sind vor allem auch an die Medien gerichtet. Darüber hinaus müssen VdMI-Mitglieder allgemein sicherstellen, dass Projekte und Tätigkeiten genau, transparent und objektiv konzipiert, ausgeführt, berichtet und dokumentiert werden.
Um Aussagekraft über die wahlfähige Bevölkerung zu besitzen, muss eine Sonntagsfrage auf einer ausreichend großen und vor allem repräsentativen Stichprobe für die wahlfähige Bevölkerung beruhen. In diesem Zusammenhang ist auch der Anteil jener anzugeben, die im Rahmen der Befragung keiner politischen Partei ihre Stimme geben würden – potentielle Nichtwähler, Weißwähler, Un- oder Spätentschlossene.
All diese Informationen müssen – wenn auch in der medialen Berichterstattung häufig nur verkürzt dargestellt – öffentlich verfügbar sein, damit jederzeit ersichtlich ist, dass die Kriterien auch eingehalten wurden. Als allgemeiner Grundsatz gilt damit auch bei Sonntagsfragen: je transparenter, desto besser.
Sabrina Dorn ist Ökonomin und Statistikerin und seit kurzem im Bereich der Meinungsforschung tätig. Sie hat vor ihrer Rückkehr nach Österreich 2021 Jahr an der ETH in Zürich gelehrt und geforscht.
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