Samstag, Juli 27, 2024

Besonnen, vernünftig, links – Der Drahtseilakt

Vor dem SPÖ-Parteitag: Gelingt es der Partei, Gerechtigkeit und Besonnenheit zu transportieren? Babler steht vor einem kniffligen Balanceakt.

Am kommenden Wochenende kommt die SPÖ schon wieder zu einem Bundesparteitag zusammen, und unter normalen Umständen würde das keine großen Berichte wert sein. Wenn eine Ortspartei aus irgendwelchen peripheren Regionen einen „Antrag“ stellt – also eine inhaltliche Beschlussfassung zu einem beliebigen Thema wünscht –, dessen Aussicht auf Zustimmung eher begrenzt ist, es wäre nicht einmal eine Kurznotiz wert.

Ganz ehrlich: Journalisten und Journalistinnen, die viel zu tun und gelegentlich auch einen Hang zur Faulheit haben, würden die Anträge noch nicht einmal lesen, denn die emsige Papierproduktion aus den Ortsgruppen summiert sich schnell auf 300 oder 400 Seiten. Diesmal ist das anders. Bis zur letzten Fußnote sucht man nach Passagen, mit denen man die „verrückte Babler-SPÖ“ verleumden kann. Der Chefredakteur von Eva Dichands Gratisblatt „Heute“ sieht in vollendeter Schrulligkeit schon „eine Staatswirtschaft der Marke DDR und ein Gesellschaftsbild ganz im Sinne Erich Honeckers“ herandämmern. Und das nur, weil der Parteitag möglicherweise solch Schrecklichkeiten wie „leistbares Wohnen“ durch Begrenzung von Mieterhöhungen und mehr gemeinnützigen Wohnbau, eine Kindergrundsicherung zur Ausrottung der Kinderarmut, eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes und ein gesundes Mittagessen für Schulkinder fordern dürfte.

Schrullige Kommentatoren

Beobachter sind sich uneins, ob die schrullige Kommentierung eher auf Eva Dichands Angst vor höheren Steuern für Milliardäre und Privilegienritter zurückgeht oder mehr auf die anhaltende Beleidigtheit des Kommentators, der so begeistert, aber erfolglos für die Burgenland-Option beim Führungswettkampf Propaganda gemacht hat.

Die türkis-blaue Meinungsmacht schießt aus vollen Rohren. Sie wünscht sich, dass sich die vereinigte Rechte doch noch mit einer Mehrheit über die Ziellinie schleppt – und sei es eine Koalition zwischen einem Fanatiker wie Herbert Kickl und der Person, die dann ÖVP-Chef sein wird (aus Sicht dieser Leute ziemlich egal, wer das dann ist). Die liberale Mitte ist maßvoller, stimmt aber wie immer in den Ton der Rechten ein, weil sie in ihrer milden Wendehalsigkeit unfähig ist, langfristig eine akzentuierte Gegenposition durchzuhalten.

Die Wahl eines Vorsitzenden, der wieder „Politik von unten“ machen will, hat vom ersten Tage an eine wüste Hetzkampagne gegen den „Marxisten“ Babler ausgelöst. Von den Konservativen, die Österreich nach Bablers Wahl auf einem Wege schnurstracks in Richtung „Nordkorea“ sahen, über die rechtsextreme FPÖ, von den Lobbys der Reichen und Superreichen über die Boulevardmedien bis hin zum gepflegteren konservativen Qualitätsmediensegment – vom ersten Tag an ist eine geradezu bizarre Jagd auf Babler gestartet worden. Das ganze System der herrschenden Zirkel, die Geschäftemacher, die Schlaucherln, Strippenzieher und Champagnisierer, diese Kamarilla aus Geldleuten und liebedienerischer Politik, die Strauchdiebe und Hintenherumdreher, sie haben sich wie eine Meute auf ihn gestürzt. Unmöglich, da nicht an die berühmten Zeilen aus dem „kommunistischen Manifest“ zu denken, in denen vom Gespenst die Rede ist, das umgehe: „Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.

„Ich begrüße ihren Hass“

Nur gut, dass Babler wenigstens den Papst eher auf seiner Seite hat, möchte man da ironisch anmerken. Doch das Paradoxe an der Sache hat Isolde Charim schön beschrieben: „Je mehr man ihn hetzt, desto überzeugender wirkt er. Gerade die Angriffe lassen ihn als das erscheinen, was er sein möchte.

Nämlich als einer, der die Stimme derer ist, die keine Stimme haben. Als der geerdete Typ, einer von Euch, der die Leute mag. Und der deshalb von den Eliten und Strauchdieben gehetzt wird, weil er ihre Privilegien bedroht.

Man fühlt sich an den großen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt erinnert, der Amerika mit seinem New Deal gerechter gemacht hat, und ähnlichen Anfeindungen ausgesetzt war. Noch vor seiner Wiederwahl sagte er 1936 in einer legendären Ansprache: „Niemals zuvor in unserer langen Geschichte waren sich diese Kräfte so einig in ihrer Ablehnung eines Kandidaten. In ihrem Hass auf mich sind sie einmütig vereint. Ich begrüße ihren Hass!

Diese Charakterattribute – „integer“, „glaubwürdig“, „volksnah“ – sind, gemeinsam mit seiner Kämpfernatur, Bablers große Stärke. Die Hamburger „Zeit“ nannte ihn vergangene Woche schon den „besseren Sozi“, was auch eine kleine Gemeinheit gegenüber Olaf Scholz war. Diese Positionierung, dieses Image, sagen wir als „endlich wieder ein ehrlicher Sozi der ganz nah an den normalen Leuten ist“, hat Babler schon. Man kann es noch verstärken, die Botschaft in den letzten Winkel das Landes tragen. Unterstreichen, dass es nicht nur Show ist, sondern auch ernst, zur Not auch in Konflikten mit eigenen Leuten und dem Verein der Freunde der Schrebergärten.

Politik von unten

Sozialdemokraten müssen aber auch ein großes Zelt bauen. Sie sind seit jeher Anwalt der Schwächsten, Fürstreiter der einfachen Leute und Bollwerk für Liberalität, Demokratie und Modernität, weshalb sie seit ihren frühesten Tagen auch eine Allianz aus Nichtprivilegierten und den liberalen, bürgerlichen Mittelschichten waren.

Auf heute umgelegt: Diese liberalen Mittelschichten verstehen zwar sehr gut, wenn man es ihnen ausgiebig erklärt, dass es in der Auseinandersetzung mit der FPÖ unumgänglich ist, bei jenen (post-)proletarischen Wählern wieder Vertrauen zurück zu gewinnen, die sich von der Sozialdemokratie verlassen fühlten; dass davon wahrscheinlich die Verteidigung unserer Demokratie abhängt. Aber es gibt auch eine große Sehnsucht nach Vernunft und Kompetenz. Mit simplen Slogans schreckt man die breite Mehrheit der vernünftigen Mitte auch ab. Ein Wettkampf mit der FPÖ mit den simplen Slogans kann hier Gift sein.

Entschiedenheit und Besonnenheit

Die Wähler und Wählerinnen müssen auch das Vertrauen haben, dass die Sozialdemokraten echte, praktikable Pläne für eine Wohlstandsproduktion verfolgen, die alle Boote hebt, nicht nur die Luxusjachten. Das ist eine komplexe Balance von Steuerpolitik, Industrieumbau, Klima-Investitionen, Energiepolitik, Wohnbauförderung, Bildungs-, Einwanderungspolitik und so weiter. Dafür braucht es die besten Köpfe aus Wissenschaft, Arbeiterkammer, Nationalbank, Gewerkschaften, Unternehmen und Verwaltung. In einer Welt, die an allen Ecken in Flammen steht, ist auch eine Außenpolitik wieder gefragt, die demokratische Werte, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, aber auch eine „realistische“ Friedens- und Stabilitätspolitik mit Fingerspitzengefühl hochhält. Seit Jahrzehnten liegt Österreichs Außenpolitik in Trümmern. Seit 1986 stellt die ÖVP beinahe ununterbrochen den oder die Außenminister*in (und die eine Ausnahme, Karin Kneissl, war sowieso der Gipfel der Katastrophe). Vergangene Woche hat sich eine „Initiative demokratische Außenpolitik“ gegründet, eine Pressure-Gruppe progressiver Diplomaten und Experten, mit dem Ex-Botschafter Helfried Carl als Sprecher. Einzelne Protagonisten der Gruppe beraten Babler seit dem Frühjahr. Eine wirklich wichtige Sache. Helfried Carl, klug, weltläufig, progressiv, ist ein hervorragender Herausforderer der Sumper-Außenpolitik der ÖVP.

Bablers neue Sozialdemokratie muss also beides hinbekommen: Eine „linkere“ Wirtschafts- und Sozialpolitik, die die Verwundbarsten schützt und den normalen Leuten einen fairen Teil des Wohlstandes erkämpft. Aber in einer Zeit des Haders, des Irrsinns und des Geschreis von Fanatikern muss sie am Ende auch als Partei der besonnenen Vernünftigkeit wahrgenommen werden, bei der man das Land in sicheren Händen weiß.

Wenn sie das hinbekommt, wird sie die nächste Wahl deutlich gewinnen.

Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

35 Kommentare

35 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Die Ergebnisse der Pilnacek-Kommission

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!