Samstag, Juli 27, 2024

»Günstlingswirtschaft und Klientelismus« – Internationale Pressestimmen zur ÖVP-Affäre

»Günstlingswirtschaft und Klientelismus«

Die Aussagen von Thomas Schmid schlagen auch im Ausland Wellen. So kommentieren internationale Zeitungen das Polit-Beben in Österreich.

Wien/Berlin/Brüssel, 20. Oktober 2022 | Die jüngst bekannt gewordenen Aussagen des früheren Generalsekretärs im Finanzministerium, Thomas Schmid, zur ÖVP-Affäre um vermutete Korruption und Inseraten-Kauf sind auch im Ausland der Inhalt zahlreicher Kommentare und Berichte.

“Politico” (Brüssel):

“Viele der Chats waren eher komisch als skandalös, darunter einer, in dem Schmid seine ‘Liebe’ zu Kurz bekundete. Doch nach fast vier Jahren voller Enthüllungen, Rücktritten und anderer Konsequenzen, die durch den Inhalt von Schmids Telefon ausgelöst wurden, lachen nur noch wenige. Die Gespräche lüfteten den Schleier über ein System von Günstlingswirtschaft und Klientelismus in Österreichs Regierung, dessen Ausmaß selbst die abgestumpftesten Beobachter der Politik des Landes schockiert hat.”

“Spiegel Online” (Hamburg):

“Schmids Offenbarung beschreibt ein System eilfertiger Karrieristen und skrupelloser Machtmenschen, die sich nicht um Regeln scheren. Sie verlassen sich darauf, dass man es sich wie zu Kaisers Zeiten mit den richtigen Kontakten ‘richten kann’, wie man in Österreich sagt. Ein Land, in dem Steuergeld offenkundig dafür verwendet wurde, um mit frisierten Umfragen Boulevardmedien zu subventionieren und die öffentliche Meinung zu lenken. Wo Großindustrielle laut Aktenlage ihre Steuerverfahren mittels WhatsApp-Nachrichten an den Finanzminister beeinflussten. Und leitende Finanzbeamte wegen ihrer politischen Haltung eingestellt wurden, weil sich das die mächtigen Parteifreunde so wünschten.

Es sind klandestine, aber nicht unbekannte Praktiken des Gebens und Nehmens auf Freunderlbasis, ein Nepotismus-Biotop, in dem sich Schmid als Netzwerker und Auftragserfüller hochdiente. (…) In den glorreichen Zeiten der Ära Kurz betitelte sich Schmid in einem Chat als dessen ‘Prätorianer’. Nun ist er zur Abrissbirne dessen geworden, was vom Nimbus des einstigen Politstars noch übrig ist.”

“Süddeutsche Zeitung” (München):

“Stehen also demnächst die Türkisen, wie Kurz die Volkspartei nach seinem Aufstieg vom Außenminister zum Parteichef und Kanzler umbenannt hatte, vor Gericht? Der Mann im Schatten, von dem es nur zwei, drei Fotos zu geben schien, hat geredet – gerade, als die Ermittlungen zu stocken schienen und die ÖVP hoffte, sich nicht mehr jeden Tag für ihren früheren Kanzler erklären zu müssen. Kurz jedenfalls betont gern und immer wieder, er plane keine Rückkehr in die Politik. Kann er jetzt ohnehin nicht mehr.”

“Frankfurter Allgemeine Zeitung”:

“Nun ist bekannt, seit Schmids beschlagnahmte Chats durch die Öffentlichkeit gereicht wurden, dass er zu pathetischen Floskeln neigt. Als Kurz’ ‘Prätorianer’ hat er sich da früher bezeichnet und an anderer Stelle dem Chef gegenüber beteuert: ‘Ich liebe meinen Kanzler.’ Doch selbst cum grano salis genommen, bleibt es ein ziemlich scharfes Menü, das Schmid seinem früheren Anführer und der ein paar Jahre lang in Wahlen so erfolgreichen ‘türkisen’ Kurz-ÖVP bereitet hat.”

“Taz” (Berlin):

“Thomas Schmid war schon lange eine politische Zeitbombe für die ÖVP. Jetzt ist sie explodiert. Wie am Dienstag bekannt wurde, hat Schmid Kronzeugenstatus beantragt und wohl offenherzig geplaudert. Für Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seine Seilschaft ist das eine schlechte Nachricht. Ein Strafverfahren wirkt unvermeidlich.”

“Dolomiten” (Bozen):

“Es ist in der an Erdbeben nicht armen jüngeren Politik-Landschaft Österreichs einer der heftigsten Erdstöße. Oder eigentlich ist es ja ein gewaltiges Nachbeben: Thomas Schmid, einer der engsten Vertrauten des letztlich über Schmids Chat-Protokolle gestürzten Alt-Bundeskanzlers Sebastian Kurz, dubiose, oft in offenbar vorauseilendem Gehorsam aktive Hauptfigur in der Korruptionsaffäre der Österreichischen Volkspartei, hat ein umfassendes Geständnis abgelegt und Kurz, sein engstes Umfeld, den Nationalratspräsidenten und namhafte Unternehmer schwer belastet. Für sie gilt, wie man in Österreich juristisch sauber immer hinzufügen muss, die Unschuldsvermutung.”

(apa/red)

Titelbild: ERWIN SCHERIAU / APA / picturedesk.com

Autor

  • Markus Steurer

    Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.

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