Dienstag, April 23, 2024

»Günstlingswirtschaft und Klientelismus« – Internationale Pressestimmen zur ÖVP-Affäre

»Günstlingswirtschaft und Klientelismus«

Die Aussagen von Thomas Schmid schlagen auch im Ausland Wellen. So kommentieren internationale Zeitungen das Polit-Beben in Österreich.

Wien/Berlin/Brüssel, 20. Oktober 2022 | Die jüngst bekannt gewordenen Aussagen des früheren Generalsekretärs im Finanzministerium, Thomas Schmid, zur ÖVP-Affäre um vermutete Korruption und Inseraten-Kauf sind auch im Ausland der Inhalt zahlreicher Kommentare und Berichte.

“Politico” (Brüssel):

“Viele der Chats waren eher komisch als skandalös, darunter einer, in dem Schmid seine ‘Liebe’ zu Kurz bekundete. Doch nach fast vier Jahren voller Enthüllungen, Rücktritten und anderer Konsequenzen, die durch den Inhalt von Schmids Telefon ausgelöst wurden, lachen nur noch wenige. Die Gespräche lüfteten den Schleier über ein System von Günstlingswirtschaft und Klientelismus in Österreichs Regierung, dessen Ausmaß selbst die abgestumpftesten Beobachter der Politik des Landes schockiert hat.”

“Spiegel Online” (Hamburg):

“Schmids Offenbarung beschreibt ein System eilfertiger Karrieristen und skrupelloser Machtmenschen, die sich nicht um Regeln scheren. Sie verlassen sich darauf, dass man es sich wie zu Kaisers Zeiten mit den richtigen Kontakten ‘richten kann’, wie man in Österreich sagt. Ein Land, in dem Steuergeld offenkundig dafür verwendet wurde, um mit frisierten Umfragen Boulevardmedien zu subventionieren und die öffentliche Meinung zu lenken. Wo Großindustrielle laut Aktenlage ihre Steuerverfahren mittels WhatsApp-Nachrichten an den Finanzminister beeinflussten. Und leitende Finanzbeamte wegen ihrer politischen Haltung eingestellt wurden, weil sich das die mächtigen Parteifreunde so wünschten.

Es sind klandestine, aber nicht unbekannte Praktiken des Gebens und Nehmens auf Freunderlbasis, ein Nepotismus-Biotop, in dem sich Schmid als Netzwerker und Auftragserfüller hochdiente. (…) In den glorreichen Zeiten der Ära Kurz betitelte sich Schmid in einem Chat als dessen ‘Prätorianer’. Nun ist er zur Abrissbirne dessen geworden, was vom Nimbus des einstigen Politstars noch übrig ist.”

“Süddeutsche Zeitung” (München):

“Stehen also demnächst die Türkisen, wie Kurz die Volkspartei nach seinem Aufstieg vom Außenminister zum Parteichef und Kanzler umbenannt hatte, vor Gericht? Der Mann im Schatten, von dem es nur zwei, drei Fotos zu geben schien, hat geredet – gerade, als die Ermittlungen zu stocken schienen und die ÖVP hoffte, sich nicht mehr jeden Tag für ihren früheren Kanzler erklären zu müssen. Kurz jedenfalls betont gern und immer wieder, er plane keine Rückkehr in die Politik. Kann er jetzt ohnehin nicht mehr.”

“Frankfurter Allgemeine Zeitung”:

“Nun ist bekannt, seit Schmids beschlagnahmte Chats durch die Öffentlichkeit gereicht wurden, dass er zu pathetischen Floskeln neigt. Als Kurz’ ‘Prätorianer’ hat er sich da früher bezeichnet und an anderer Stelle dem Chef gegenüber beteuert: ‘Ich liebe meinen Kanzler.’ Doch selbst cum grano salis genommen, bleibt es ein ziemlich scharfes Menü, das Schmid seinem früheren Anführer und der ein paar Jahre lang in Wahlen so erfolgreichen ‘türkisen’ Kurz-ÖVP bereitet hat.”

“Taz” (Berlin):

“Thomas Schmid war schon lange eine politische Zeitbombe für die ÖVP. Jetzt ist sie explodiert. Wie am Dienstag bekannt wurde, hat Schmid Kronzeugenstatus beantragt und wohl offenherzig geplaudert. Für Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seine Seilschaft ist das eine schlechte Nachricht. Ein Strafverfahren wirkt unvermeidlich.”

“Dolomiten” (Bozen):

“Es ist in der an Erdbeben nicht armen jüngeren Politik-Landschaft Österreichs einer der heftigsten Erdstöße. Oder eigentlich ist es ja ein gewaltiges Nachbeben: Thomas Schmid, einer der engsten Vertrauten des letztlich über Schmids Chat-Protokolle gestürzten Alt-Bundeskanzlers Sebastian Kurz, dubiose, oft in offenbar vorauseilendem Gehorsam aktive Hauptfigur in der Korruptionsaffäre der Österreichischen Volkspartei, hat ein umfassendes Geständnis abgelegt und Kurz, sein engstes Umfeld, den Nationalratspräsidenten und namhafte Unternehmer schwer belastet. Für sie gilt, wie man in Österreich juristisch sauber immer hinzufügen muss, die Unschuldsvermutung.”

(apa/red)

Titelbild: ERWIN SCHERIAU / APA / picturedesk.com

Markus Steurer
Markus Steurer
Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.
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30 Kommentare

  1. Schluss mit dem Laientheater!
    Für fast jeden anderen Job braucht man eine fachliche Voraussetzung – aber für die Regierung nicht.
    Ich stimme für eine Expertenregierung und damit für fachliche Mindestqualifikationen.
    Und natürlich für die totale Transparenz. Denn nur Transparenz schützt vor Korruption.
    Aber das werden zwar die Bürger wollen, aber ganz sicher nicht die Parteien (im Selbstzweck).

  2. Gestern gestand Herrn Görg im Servus TV seine unsaubere Vorgangsweise als Politiker.
    Er sagte, er nahm eben diese Person, welche er als besten geeignet empfand, egal was die Ausschreibungsergebnisse waren…
    Ja gehts denn noch?
    Wenn das Jemand so macht in der Privatwirtschaft, dann muss ich den Hut vor ihm ziehen, geht er doch auch ein Risiko ein.
    Aber wenn das Jemand in der Politik macht, dann ist das eben genau Postenschacher.
    Der Görg meint aber wenn er ein solches Geständnis macht und auch noch so tut, als ob das nicht nur ganz normal wäre, sondern eigentlich noch eine besondere Leistung war, dann hat er das österr Problem mit dem Nagel auf dem Kopf getroffen.

    Der Bundeskanzler hat dann noch auf d Rede von VdB gemeint, dass es aktuell nun Wichtigeres geben würde…?

    Ich hoffe sehr, dass die ausländische Presse das alles mitkriegt, weiterverfolgt und entsprechend darüber wieder berichten wird?
    Vor allem über einem Land das nicht mehr aus eigener Kraft aus seinem..

  3. schön, und was sagen thiel, der pegasus typ und die privaten pflegeapplerinnen dazu?
    und die freunde im kleinen büro in dubai?

  4. Machtmissbrauch ist nicht zu verhindern. Er ist menschlich. Ich finde es gut in einer Demokratie zu leben und nicht unter einem Diktator wo man als Bürger*in bei Widerrede gleich “verschwindet”. Wir können uns selbst helfen. Der “dickste Kopf” der dieser immer nachwachsenden Hydra wächst kann von uns Wähler*innen immer wieder eliminiert werden. Das müssen wir lernen. Große Macht führt zu großem Missbrauch. Die ÖVP muss jetzt einmal weg vom Ruder. Die rechten Ränder gehen zu Zeit auch nicht weil sie nur auf “Ausländerhetze” bauen – dabei ist der größte Teil der Östereicher*innen Ausländer in 2. 3. oder spätestens 4. Generation. In der aktuellen Lage geht für mich nur ein klar sozialer, liberaler, ökologisch orientierter Weg. Die werden dann auch wieder “großkopfert” … aber dann muss dieser dicke Kopf halt wieder weg!! Wir Wähler*innen bestimmen den Weg!!!!

    • Träumer.

      Dass man auch aus so einem Schlamassel rauskommen kann, glaube ich schon. Vielleicht wird der nächste Präsident der USA Donald Trump. Und der hat wohl mehr angestellt als Basti. Aber seine Wähler lieben ihn.

      Und ich habe im Bekanntenkreis auch Basti-Anhänger, die das Alles nicht so eng sehen und immer noch zu ihrem Messias stehen.

      Herwig, ja wir haben eine Pseudodemokratie. Vielleicht noch ein bisschen besser als in Ungarn oder USA. Aber der Weg nach Unten hat auch bei uns schon begonnen. Ich bin nicht überzeugt, dass es sicher wieder bergauf gehen wird. Muss ja nicht Basti sein. Es findet sich vielleicht auch ein Anderer, der für “Recht und Ordnung” sorgt?!

  5. Ich bin froh , nicht mehr beruflich international unterwegs zu sein.
    Es ist einfach zum Schämen.

    • Es war schön zu Zeiten als Österreich noch einen, auf der ganzen Welt, sehr guten Ruf hatte und überall positiv empfangen wurde. Als Österreich noch als verlässlich und integer galt.

      • Uiiii….das is aber, leider, schon sehr lange her. Mit Schüssel hat sich alles geändert.
        Gib der Övp zuviel Macht….dann gute Nacht.

        • eigentlich hats sich mit dem eu-beitritt geändert. ich war damals gegen den eu-beitritt und meine ganzen hochrangigen konzernmänätschaverwandten sind über mich hergezogen wie nur was. ich hab denen gsagt: dass ein militärbündnis IMMER über einem wirtschaftsbündnis steht. IHR seids vereinsmeierer und wollt überall mitglied sein – statt Ö als insel der seligen als hochpreisland mit hartwährungspolitik da zum billigsdorferschmäh zu versenken. das wird atlantis 2.0…. damals waren lazina/staribacher die heros als finanzminister – die da die leiwanden stiftungsgesetze erfanden und zb die vermögenssteuer abschufen. DANN kam blau/schwarz! UND dann kamen instant wirtschaftssanktionen – wegen rechts. daher hat der kurzler als aussenstaatssekrätöse sich im weltumrundungsmodus befunden, um sich da gesellschaftlich zu positionieren und den leiwanden schwiegersohnmodus raushängen lassen, auf den da die 60+ wähler UND parteispender so abfahren… für mich war der kurzler history als der hr. maderthaner sich zurückzog…. just saying

    • Bravo Herr Pilz!
      Genau solche Artikel braucht es nun um die dringend notwendige Aufarbeitung voranzutreiben, oder besser endlich einmal auch sichtbar in Gang zu setzen.
      So müssten die Medien ja schon lang ihre eigene Aufdeckung recherchieren und betreiben und dann auch noch darüber schreiben, was natürlich völlig unmöglich ist. Deshalb läuft aktuell auch gerade wieder eine unfassbar perfide angelegte Zudeckungskampagne…
      Vor allem die ausländischen Medien sind deshalb aktuell sehr sehr wichtig, da Österreich schon lange nicht mehr die Kraft besitzt, sich allein und ohne Hilfe von Aussen von diesem “Dreck” zu befreien…
      Dabnke deshalb auch für die Veröffentlichung dieser ausländischen Artikel, welcher meiner Meinung nach aber auch noch immer viel zu schwach sind…

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