Montag, Oktober 7, 2024

Ausgerechnet: Sparflamme, aber richtig verteilt

Das Gas wird knapp, wir stehen mitten in der Klimakrise. Unseren Energieverbrauch müssen wir drastisch reduzieren. Wo wir sparen, ist eine Verteilungsfrage: Reiche verbrauchen wesentlich mehr Energie – und können auch mehr einsparen.

Joel Tölgyes

Wien, 22. Oktober 2022 | Russland drosselte die Gaslieferungen in den letzten Monaten immer weiter, stellt sie teils ganz ein. Den Füllstand unserer Gasspeicher beobachten wir mit Spannung – und Sorge. Geht uns das Gas aus, hat das bittere Konsequenzen für Gesellschaft und Wirtschaft. Was wir über Jahrzehnte bei der Energiewende versäumt haben, können wir in den nächsten fünf Minuten nicht aufholen.

Verteilungsfrage vergessen

Energiesparen lautet also das Gebot der Stunde. Die EU verkündet gemeinsame Sparziele, Österreich ruft die Energiespar-„Mission 11“ aus und liefert gut gemeinte Spartipps für Haushalte: „Sei ein Warmduscher, aber mach’s kurz“. Mit Gasknappheit und Klimakrise ist es wesentlich, dass wir so wenig Energie wie möglich verbrauchen. Ein Aspekt wird aber völlig vergessen: Die Verteilungsfrage.

Der Energieverbrauch steigt mit dem Einkommen. Das reichste Einkommensfünftel Österreichs verbraucht insgesamt um ein Drittel mehr Gas als die Mittelschicht. Im Vergleich zum ärmsten Einkommensfünftel sind es sogar 80 Prozent mehr. Aber nicht nur Gas, auch insgesamt verbrauchen reiche Haushalte wesentlich mehr Energie: Reiche fahren öfter und schwerere Autos, sie leben in größeren Häusern, sie fliegen öfter in den Urlaub und konsumieren viel mehr. Wer viel Energie verbraucht, belastet die Umwelt überproportional: In Österreich stoßen die reichsten zehn Prozent viermal so viele Treibhausgase aus wie die ärmsten zehn Prozent.

In einer Welt mit schwindenden Ressourcen dürfen wir diese Ungleichheit nicht übersehen, oder die Augen davor verschließen. Denn jeder Kubikmeter Gas, der eine überflüssige Poolheizung im Winter betreibt, fehlt für die notwendige Heizung im Kinderzimmer. Jedes Kilogramm CO2, das ein SUV auf der Wiener Ringstraße hinausbläst, muss mühsam von den Pendler:innen im Waldviertel eingespart werden. Das bedeutet im Umkehrschluss auch: Verzichten die Reichsten auf Energieverschwendung, hätten viele Menschen ein leichteres Leben. Würde das reichste Fünftel seinen Gasverbrauch auf den der Mittelschicht zurückfahren, würde Österreich bereits sieben Prozent weniger Gas benötigen. Das EU-Ziel für diesen Winter hätten wir allein damit zumindest im Haushaltssektor zur Hälfte erreicht.

Frage der Fairness und Effizienz

Energieverschwendung zu reduzieren, ist also nicht nur eine Frage der Fairness, sondern auch eine Frage der Effizienz: Energieverschwendung abzustellen, bedeutet, dass wenige Leute auf Überflüssiges verzichten müssen. Bei den Grundbedürfnissen zu sparen, würde hingegen bedeuten, dass viele Leute auf Notwendiges verzichten müssen.

Freiwilligkeit und Eigenverantwortung reicht jedoch bei weitem nicht aus. Neben Spartipps brauchen wir konkrete Maßnahmen, die Energieverschwendung zuverlässig einschränken. Wirkungsvolle Vorschläge gibt es genug: Von strengeren Tempolimits und Verboten für SUVs oder Kurzstreckenflügen bis hin zu Preisaufschlägen auf besonders hohen Gas- und Stromverbrauch. Ansetzen sollten wir jedenfalls dort, wo von besonders Wenigen besonders viel Energie verschwendet wird.

Joel Tölgyes ist Klima-Ökonom am Momentum Institut. Er hat Public Economics an der Freien Universität Berlin studiert. Er beschäftigt sich mit den Verteilungsaspekten der Klimakrise und mit der Frage, wie wir unser Wirtschaftssystem ökologischer und nachhaltiger gestalten können.

Titelbild: ZackZack / Miriam Mone

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