Samstag, Juli 27, 2024

Das letzte Gefecht der ÖVP

Nach dem Schmid-Geständnis:

Mit allem, was er kann, führt Sebastian Kurz seinen letzten Kampf. Das Theater um Buch und „Transkript“ lenkt noch von der letzten Frage ab: Was von der ÖVP übersteht ihr letztes Gefecht, das mit dem Schmid-Geständnis begonnen hat?

Wien, 23. Oktober 2022   Wie auf ein Kommando nehmen sie die Fährte auf, werden schneller und kommen so dem Altkanzler immer näher. Da fliegt ein Knochen durch die Luft und landet weit neben der Spur. Der erste rennt zum Knochen, fast alle folgen. Mit den wenigen Zähnen, die ihnen der Beruf gelassen hat, beginnt das große Nagen.

Sebastian Kurz kann es noch immer. Zuerst das Buch ohne Inhalt und mit Serieninterviews; dann das Schmid-Geständnis und das Abtauchen in die Unerreichbarkeit; und dann die Rückkehr mit dem „Transkript“ – Kurz weiß, dass von ZiB2 bis „Heute“ jeder Knochen apportiert wird.

Der Wahrheitsgehalt des „Transkript“ scheint dem des Buchs zu gleichen. Aber beim Knochen geht es nicht um die Suche nach Wahrheit, sondern um einen Reflex, der den Schreibenden alles abverlangt. Wahrscheinlich wird er deshalb als „Knochenarbeit“ bezeichnet.

Das Haar im Sumpf

Während die meisten noch am Knochen sind, treten die Deuter auf. Wie Hubert Patterer, der Herausgeber der Kleinen Zeitung, finden sie das Haar im türkisen Sumpf: den Kronzeugenstatus, den Thomas Schmid anstrebt.

Patterer empört sich: Einer wie er schreitet durch das Saulustor und geht nach dem Offenbarungseid durch das Paulustor wieder raus, mit dem Siegel des Rechtsstaates?“ Neben der Welt versteht der Herausgeber offensichtlich auch die Kronzeugenregelung nicht. Schmid muss „reumütig gestehen“ und über alles aussagen, sonst hätte er nicht einmal die Chance auf den Antrag. Im Gegensatz zu Patterer weiß Schmid, dass ihn eine einzige Lüge alles kostet. Dann hätte der Staatsanwalt sein umfassendes Geständnis, und Schmid würde zu allem, was er an Straftaten gestanden hat, auch angeklagt.

Patterer scheint nicht klar, dass das organisierte Schweigen von Palermo bis Wien nur mit der Kronzeugenregelung als schärfster Waffe des Rechtsstaats zu brechen ist. Was Schmid „offenbart“ hat, soll er nicht als Teil eines späten Deals aus unfreien Stücken darlegen (wer ausweglos in den Abgrund blickt, entscheidet nicht aus freiem Willen), sondern gefälligst unter Eid als Beschuldigter vor Gericht.“ Die etwas realistischere Variante, dass Schmid dann den Mund hält, zieht Patterer nicht in Betracht.

„Stimmen kann nur eine“

Erst dann kommt er zu seinem Punkt: Die Strafjustiz habe zu „klären, welche Offenbarung näher an der Wirklichkeit liegt“, denn „stimmen kann nur eine.“ An diesem Punkt bekommt der Unsinn erstmals Sinn. Patterer gibt dem dubiosen „Transkript“ denselben Wert wie der 450-seitigen Niederschrift bei der WKStA. Genau das wollte Kurz.

Warum greift Patterer den Kronzeugen-Status an? Warum stellt er das zweifelhafte „Transkript“ des Lügenkanzlers auf eine Stufe mit dem Schmid-Geständnis? Patterer ist kein Kurz-Mitläufer. Seine Empörung über die Zustände an der Spitze der ÖVP ist größer als die anderer.

Patterers Empörung ist die Empörung des Enttäuschten. Wolfgang Brandstetter hat ihn vor mehr als einem Jahr ebenso persönlich enttäuscht wie Sebastian Kurz wenige Monate später. Persönliche Enttäuschung setzt Nähe voraus. Genau die ist das Dilemma von Herausgebern wie Hubert Patterer. Von SPÖ bis Grünen stehen sie den Parteien mit distanziertem Interesse gegenüber. Nur die ÖVP ist ihre Partei. Geht es ihr gut, berichten sie freudig. Geht es ihr schlecht, leiden sie mit.

Kriminelle Vereinigung „ÖVP“

Ein Österreich ohne bestimmende Rolle der ÖVP ist für sie nicht denkbar. Doch genau an diesem Punkt sind wir jetzt. Seit dem Regime „Kurz“ und unter dem „Regimerl“ Nehammer weist die ÖVP alle Tatbestandsmerkmale der „Kriminellen Vereinigung“ nach § 278 des Strafgesetzbuches auf. Die WKStA verfolgt die Partei „ÖVP“ nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz. Auch Patterer sollte wissen: Das Ziel des Rechtsstaats ist von der Mafia bis zur ÖVP nicht die Besserung, sondern die Zerschlagung krimineller Vereinigungen. Mit dem Schmid-Geständnis hat nicht nur der endgültige Untergang von Sebastian Kurz, sondern auch das letzte Gefecht der ÖVP begonnen.

Bis heute hätte viele in der ÖVP Zeit gehabt, der Strafjustiz politisch zuvorzukommen. Sie hätten sich von Nehammer, Sobotka, Wöginger und den vielen anderen Spezialisten für illegale Parteienfinanzierung und Parteibuchwirtschaft trennen müssen. Aber sie sind dazu nicht in der Lage. Jetzt ist es zu spät.

Ich weiß nicht, ob Patterer bereit ist, das letzte Kapitel der vormaligen christlichsozialen Staatspartei mitzuschreiben. Am Ende seines Kommentars entscheidet er sich jedenfalls für Journalismus: „Das innenpolitische Ressort hat sich nicht mit Königsdramen die Nacht um die Ohren geschlagen, sondern mit dem 450 Seiten langen Geständnis des selbsterklärten Prätorianers. Substanz, Erkenntnisse und Folgen für die Beteiligten, die Koalition und das Land haben wir in einem sechsseitigen Dossier für die Zeitung und ihre Plattformen gebündelt aufbereitet.“ Es geht ja doch.

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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