Samstag, Juli 27, 2024

Mit Böller gegen Polizei: Warum Jugendliche Linz zu »Athena« machen wollten

Mit Böller gegen Polizei

Die Linzer Halloween-Krawallmacher ließen sich von einem Netflix-Film inspirieren, das zeigen TikTok-Videos aus jener Nacht. Warum springen einige Jugendliche so auf die gezeigte Gewalt in “Athena” an? Die Ursachen aus der Sicht eines Streetworkers.

Linz, 04. November 2022 | Als sein 13-jähriger Bruder von vermeintlichen Polizisten getötet wird, startet der vom Hass zerfressene Karim einen Aufstand. Gemeinsam mit anderen jungen, migrantischen Männern stürmt er zu Beginn des Films „Athena“ eine Polizeistation in einer französischen Vorstadt.

Mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen als Folge: Die Jugendlichen verschanzen sich daraufhin mit Molotow-Cocktails und massenhaft Pyrotechnik in ihrer Siedlung, der namensgebenden „Athena“-Siedlung, um sich dort mit der Polizei eine Schlacht zu liefern. Der Film glänzt dabei mit langen, aufwendig gedrehten Sequenzen.

Eine Szene aus dem Film. So fühlten sich wohl einige der Jugendlichen in der Halloween-Nacht in Linz… (Bild: Netflix)

Linz sollte zu “Athena” werden

Die in “Athena” gezeigten Szenen und das heroisch dargestellte Auflehnen gegen die Staatsgewalt rief einige Jugendliche in Linz auf den Plan, ein „Athena 2.0“ zu Halloween zu veranstalten, wie es auf der Plattform TikTok kommuniziert wurde. Das Resultat der flashmobartigen Zusammenkunft von schlussendlich rund 200 Personen war dann doch nur ein „Athena Light“, bei dem glücklicherweise nur zwei Beamte leicht verletzt wurden. Neun Personen wurden wegen aggressiven Verhaltens festgenommen.

…aber nur für kurze Zeit, schnell wurden einige der TikTok-Randalierer von der Polizei aufgehalten. (Bild: FOTOKERSCHI.AT / APA / picturedesk.com)

Der Einsatzleiter der Polizei in Linz sprach am nächsten Tag von einer „aggressiven Stimmung“ gegenüber der Beamten, „die in dieser Form für uns neu war“. Sie wurden beim Einsatz mit Böllern, Glasflaschen und Steinen beworfen. „Linz ist Athena geworden“, sollte es danach in TikTok-Videos, die das Geschehene zeigen, heißen.

Verhalten der Jugendlichen hat “tieferliegende Ursache”

Für den Streetworker und Autor Fabian Reicher ist es gut nachvollziehbar, warum einige Jugendliche leicht Anknüpfung an eine solche Art von Filmen finden. Im Gespräch mit ZackZack meint er, dass viele von ihnen ähnlichen Erfahrungen mit Polizeigewalt gemacht hätten. Vor allem jene, die aus Syrien und Afghanistan über die Balkanroute nach Europa gekommen sind – auch Asylwerber aus diesen Ländern waren unter den Randalierern in Linz –, hätten im Zusammenhang mit Grenzpolizisten Schlimmes erlebt.

Und auch hierzulande würden viele junge Männer negative Bekanntschaften mit der Exekutive machen. „Wir haben hier in Österreich auch ein großes Problem mit Polizeigewalt, darüber redet leider niemand. Und darum ging es ja auch aus meiner Sicht bei diesem Protest, dieser Versammlung oder wie man das auch nennen mag. Da passiert einfach seit Jahren nichts“, so Reicher. Hinzu komme die Perspektivenlosigkeit, die die aktuellen Krisen in den Köpfen der Jungen auslösen.

Fabian Reicher ist Streetworker in Wien und arbeitet seit mehreren Jahren mit Jugendlichen. Gemeinsam mit der stv. ZackZack-Chefredakteurin, Anja Melzer, hat er das Buch “Die Wütenden” geschrieben, das der Frage nachgeht, warum sich Jugendliche radikalisieren. (Bild: ZackZack/Christopher Glanzl)

“Jugendliche kassieren immer noch Watsch’n”

Der Streetworker ist seit vielen Jahren in Wien tätig und arbeitete mit Jugendlichen im 20. Bezirk zusammen. Polizeigewalt und erniedrigendes Verhalten seitens Beamter sei unter ihnen immer ein Thema. Dass man als junger Migrant, der sich nicht angemessen verhält, von Polizisten oftmals „eine Watsch’n“ kassiert, sei heutzutage immer noch normal, erzählt er. „Wenn Jugendliche auffällig werden durch aggressives Verhalten, hat das immer eine tieferliegende Ursache.“ Die erlebte Gewalt müsse schließlich irgendwo hin, egal ob sich diese wie so oft gegen Schwächere richtet, oder wie im Falle der Horror-Nacht in Linz gegen „die da oben“.

Die Politik müsse sich nach der Aktion in Linz um diese Ursachen kümmern, anstatt mit Abschiebung zu drohen und zu skandalisieren, so der Streetworker. Sonst könnten Zustände drohen, wie sie vor mehreren Jahren in Frankreich herrschten, als nach dem Tod zweier Jugendlichen Straßenschlachten über 20 Tage lang stattgefunden haben, wohingegen Linz “nicht’s dagegen war”, sagt Reicher.

“Missgeburt”

Situationen, wie sie etwa ein junger Afghane bei einer Polizeikontrolle in Wien erlebt hat, in der er von Beamten als “Missgeburt” beleidigt wurde, beschreibt Reicher im Buch “Die Wütenden”. Eine Ungleichbehandlung, die Jugendliche zunehmend an Gerechtigkeit zweifeln lässt.

Den Glauben an die Gerechtigkeit haben die handelnden Personen im Film „Athena“ jedenfalls verloren. Sie wollen mit ihrem Aufstand selbst dafür sorgen, was schlussendlich in einer Tragödie endet. Nicht zuletzt, weil sich – Achtung Spoiler! – die wahren Mörder von Karims Bruder am Ende des Films als Rechtsextreme entpuppen, die sich nur als Polizisten verkleidet hatten.

(mst)

Titelbild: Netflix

Autor

  • Markus Steurer

    Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.

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