Über jede dritte Erwachsene in Österreich hat körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Jeden fünfte Frau sogar schon als Kind im Elternhaus. Die erschreckenden Zahlen einer neuen Studie.
Wien, 17. Jänner 2023 | Acht Jahre ist es her, dass zuletzt EU-weit erhoben wurde, wie häufig Frauen in den Mitgliedsstaaten geschlechterspezifische sexuelle und körperliche Gewalt erleben. Nun liegen die Ergebnisse einer repräsentativen Studie vor, die einen aktuellen EU-weiten Vergleich ermöglicht. Demnach hat jede dritte erwachsene Frau (34,51 Prozent) in Österreich in ihrem Erwachsenenleben körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Jede fünfte Erwachsene (21,88 Prozent) war Stalking ausgesetzt. Beinahe jede dritte Frau (26,59 Prozent) hat am Arbeitsplatz sexuelle Belästigung erfahren.
Studien wie diese ergänzen die amtliche Polizeilichen Kriminalstatistik, die ausschließlich polizeilich gemeldete Fälle erfasst, und die Gerichtliche Kriminalstatistik, die wiederum nur verurteilte Fälle abbildet.
Außerhalb von Partnerschaften meist sexuelle Gewalt
Etwas mehr als ein Fünftel der Frauen in Österreich hat Gewalt innerhalb, etwa ein Drittel außerhalb einer Partnerschaft erlebt. Die Art der Gewalt unterscheidet sich dabei: Frauen sind innerhalb einer intimen Partnerschaft eher körperlicher und noch häufiger psychischer Gewalt ausgesetzt als sexueller. Erlebt eine Frau außerhalb einer Partnerschaft Gewalt, dann sind es häufiger körperliche Angriffe sexueller Natur.
Gewalterfahrungen beginnen in Kindheit
Jede fünfte (18,57 Prozent) Frau in Österreich hat in der Kindheit körperliche Gewalt durch die Eltern. Mehr als jede dritte Frau (39,69 Prozent) hat in der Kindheit mindestens einmal psychische Gewalt erlebt. Während körperliche Gewalt beinahe gleich oft von Mutter und Vater ausgeht, üben Mütter etwas häufiger psychische Gewalt aus als Väter. Und: Beinahe die Hälfte der Befragten haben Gewalt zwischen den Eltern beobachtet, meist psychische.
Fast jede zehnte Frau (7,05 Prozent) hat berichtet, in der Kindheit sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. Beinahe die Hälfte von ihnen ist erstmals im Alter von elf und 15 Jahren davon betroffen gewesen. Die Betroffenen wurden in rund 96 Prozent der Fälle von männlichen Tätern angegriffen. Im Großteil der Fälle kannten die Betroffenen die Täter.
Meisten sprechen mit Nahestehenden
Frauen, die von Gewalt betroffen sind, holen sich in der Regel Hilfe. Meist vertrauen sie sich aber nahestehende Personen an. Die wenigsten Frauen wenden sich an die Frauenhelpline gegen Gewalt oder andere Hilfseinrichtungen. Etwas häufiger gehen die Betroffenen zur Polizei oder sprechen mit einer Person aus dem Gesundheitswesen oder einer Beratungseinrichtung. Bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz wendet sich weniger als die Hälfte der Betroffenen an eine formelle Stelle. Auch über sexuelle Gewalterfahrungen in der Kindheit sprechen die Betroffenen meist mit Verwandten oder Freunden.
Auffallend ist, dass Frauen wesentlich seltener Polizei oder Hilfseinrichtungen kontaktieren, wenn sie außerhalb der Partnerschaft Gewalt erleben. An der Bekanntheit der Einrichtungen kann das jedenfalls nicht liegen: Die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) sind etwa über 90 Prozent der Frauen bekannt.
Stalking-Anzeigen wirken
Auch die wenigsten von Stalking betroffenen Frauen wenden sich an eine Hilfseinrichtung, eine Rechtsvertretung oder die Polizei. Dabei sind Meldungen bei der Polizei nicht zu unterschätzen: In einem Dreiviertel der Fälle hat sie dazu geführt, dass das Stalking ganz aufgehört oder zumindest abgenommen hat.
Vergleichbare Daten aus 18 EU-Staaten
An der Erhebung nehmen 18 EU-Staaten teil. Vergleichbare Datenerhebungen waren eine Empfehlung der sogenannten Istanbul Konvention, die Österreich neben 13 weiteren EU-Staaten unterschrieben hat. Das Ziel der Konvention ist, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt vorzubeugen und zu bekämpfen.
Die ersten Teilnehmenden darunter Österreich, haben 2020 begonnen, Daten zu erheben. Spätestens im ersten Quartal 2023 soll die Erhebungsphase EU-weit abgeschlossen sein. Für die Studie sind 6.240 in Österreich lebende Frauen im Alter von 18 bis 74 Jahren via Online-Fragebogen und persönlich befragt worden.
(pma)
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