Samstag, Oktober 5, 2024

Schwarzes Loch von Niederösterreich – Teil 1: (K)ein Ort wie jeder andere

Schwarzes Loch von Niederösterreich

Es sei ein Ort in ÖVP-Geiselhaft, munkelte man schon länger. Also sind wir hingefahren. Und sind auf schier Unglaubliches gestoßen. Startschuss für die mehrteile Saga “Schwarzes Loch von Niederösterreich” – direkt aus Bad Erlach.

Anja Melzer

Bad Erlach, 05. November 2022 | In Wien kursieren viele Gerüchte. Im Sommer machte eines die Runde über einen Ort, dessen Namen zwar irgendwann jeder irgendwie kannte, allerdings ohne zu wissen, wo er genau liegt. Dabei ist es doch in diesem Fall ganz logisch: Hinter den sieben Kreisverkehren vor den nächsten sieben Kreisverkehren, wo der König noch schwarz ist und wo man stolz blau-gelb-gestreifte Fahnen hisst.

Die Rede ist von Bad Erlach – ein Ort, wo vieles möglich ist, das andernorts undenkbar wäre, heißt es. Wo man noch was werden kann, wenn man die richtigen Leute kennt. Wo sich schier unglaubliche Zufälle aneinanderreihen. Wo man sich noch offen „Beidl“ schimpft und Demokratie auch mal zur Auslegungssache mutiert. Frei nach dem Motto: Wo anschafft, wer profitiert.

Eine mystische Enklave sei Bad Erlach, raunen manche, seit Jahrzehnten fest im Griff des Bürgermeisters. Und seiner Partei. Johann Rädler, ÖVP, seit 22 Jahren im Amt. Am Ende dieses Tages werden wir ihm im Rathaus begegnen – aber dazu kommen wir später.

Der Phallus im Kreisverkehr

Die Reise beginnt. Von Wien geht es gen Süden, von Wiener Neustadt dann weiter auf schmalen Landstraßen, hin und wieder ein Kreisverkehr. Es ist ein unscheinbarer Montagmorgen im Herbst. Die Landschaft welkt schon ein bisschen vor sich hin. Doch plötzlich unterbricht ein monströses Gebilde – selbstverständlich, wo sonst, mitten in einem Kreisverkehr – die brave Romantik der Felder.

Der penisartige Blickfang am Rande des Schwarzen Lochs. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Zwei überdimensionale Kugeln liegen da nebeneinander auf der Verkehrsinsel, zwischen ihnen ragt ein dünner Stängel in die Luft. Die kreisrunde Fahrbahn gewährleistet eine exklusive 360-Grad-Aussicht auf das phallusartig anmutende Unikat. Dabei stellt das Werk offiziellen Angaben zufolge eigentlich nur einen harmlosen Golfschläger dar, flankiert eben von nicht nur einem, sondern ausnahmsweise gleich zwei Bällen.

Wie das Bad zu Erlach kam

Die Statue soll, so ist nachzulesen, symbolisieren, dass es sich um eine „Golfgemeinde“ handelt. Nach der Errichtung vor ein paar Jahren gingen die Wogen hoch, viele witterten “Verunstaltung” und “Verschandelung”. Wie auch immer, es ist ein massives Wahrzeichen, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht und zugleich das Tor zum gesuchten Hoheitsgebiet markiert.

Denn wenige Meter weiter, auf der anderen Uferseite der Leitha, liegt die Marktgemeinde Bad Erlach, die das „Bad“ übrigens erst seit 2007 im Namen trägt. Eine „Weichenstellung“ sei die Umbenennung gewesen, erzählte der Bürgermeister stolz einmal in einem Interview. Auf diese Weise hätte man das Industrie-Image verschwinden lassen können.

Vierte Spur

Es ist noch Vormittag, der Ort wirkt an manchen Stellen wie ausgestorben. Zentral in der Buckligen Welt gelegen, gilt die Ortschaft als Pendlergemeinde bzw. – böse ausgedrückt – als Schlafgemeinde, in die man nur noch zur Nachtruhe fährt. Bad Erlach liegt in idealer Reichweite zur Südautobahn Richtung Wien oder Graz. Zwei Jahrzehnte lang kämpfte der Bürgermeister höchstpersönlich und vehement sogar für eine Verbreiterung der Schnellstraße – vierspurig, lautete Rädlers Motto.

Schließlich steigt das Verkehrsaufkommen rund um seine Gemeinde kontinuierlich an. Waren im Bezirk Wiener Neustadt (Land) im Jahr 2000 noch rund 55.000 Kraftfahrzeuge zugelassen, waren für 2021 schon mehr als 75.000 Kfz angeführt. Rechnet man das auf die Bevölkerungszahl (79.500) um, bedeutet das: Auf beinahe jeden Einwohner kommt hier im Bezirk ein Fahrzeug.

XXL-Parkplatz

Das sieht man auch in Bad Erlach, laut eigener Gemeinde-Homepage übrigens „Vorreiter“ in Sachen „Klimaschutz“, sofort. Zum Beispiel daran, dass Autos im Ortszentrum besonders viel Platz bekommen, wie auf der riesigen, neuen Betonfläche vorm Spar-Supermarkt. 120 „Komfort-Parkplätze“ stünden hier für die Kundschaft bereit, pries ein Regionalmedium erst im Mai die pompöse Asphaltwüste. Dabei leitete Bürgermeister Rädler noch 2019 medienwirksam einen „Stopp für Bodenversiegelung“ ein.

“Komfort-Parkplätze” oder Bodenversiegelung? (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Nicht ganz so komfortabel wie der Megaparkplatz dagegen sind die Straßen selbst. Schmal und kurvig ziehen sie sich durch den Ortskern, alle paar Meter verwandeln Absperrungen und kleine Baustellen die Fahrbahn in einen Zickzack-Parcours. Immer wieder ist die Fahrbahn aufgerissen. Die Infrastruktur kann mit dem hohen Verkehrsaufkommen nicht mithalten.

Immer wieder ist die Straße aufgerissen. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

„Todeskandidat“

In diesem Moment schiebt sich ein Auto so eng – millimetergenau – an einer älteren Dame auf dem Fahrrad vorbei, dass es höchster Kunst gleichkommt, sie nicht zu tangieren. Puh, nochmal gut gegangen. Ein einsamer Spaziergänger taucht plötzlich auf, auch er hat die Szene beobachtet. „Als Fahrradfahrer bist du hier ein Todeskandidat“, sagt er und zwickt die Augen zusammen. Dann geht er weiter.

Immerhin: Seit Oktober 2022 gelten laut Gemeinde-Homepage in Bad Erlach neue Verkehrsregeln. Die schreiben – zumindest theoretisch – künftig 1.5 Meter Mindestabstand beim Überholen von Radfahrern vor.

Bad Erlach – ein Baustellenparadies. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Drei omnipräsente Buchstaben

Blickt man sich im Ort um, fallen zwei Dinge besonders auf: An allen Ecken und Enden wird gebaut. Und unglaublich viele dieser neuen Häuser sehen gleich aus. Wie Kopien stehen sie, aufgestapelt als Bungalows, Doppelhaushälften, in langen Reihen und Siedlungen, eines neben dem anderen.

Bad Erlach, ideal an die Autobahn angeschlossen, lockt mit massenhaft Häusern wie diesen Pendler an. (C) Christopher Glanzl

Und sie ähneln sich nicht nur alle, auf den Fassaden und Bauzäunen findet man auch stets dasselbe Schild, und darauf drei Buchstaben: WET. Was sich dahinter verbirgt – demnächst im zweiten Teil unserer Reportage “Schwarzes Loch von Niederösterreich”.

Bleiben Sie dran! In wenigen Tagen erscheint Teil 2 von “Schwarzes Loch von Niederösterreich”. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl

Autor

  • Anja Melzer

    Hält sich für die österreichischste Piefke der Welt, redet gerne, sehr viel und vor allem sehr schnell, hegt eine Vorliebe für Mord(s)themen. Stellvertretende Chefredakteurin. Sie twittert unter @mauerfallkind.

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