Samstag, Juli 27, 2024

Dammbruch im Krähenwinkel

Medienkorruption:

Mit den Nowak- und Schrom-Chats hat die Medienkorruptionsaffäre auch „Die Presse“ und den ORF erreicht. Es geht nicht mehr um korrumpierte Außenseiter, sondern um den Totalbefall einer Branche. Nach der Politik reisst der ÖVP-Dammbruch jetzt auch die Medien mit.

 

Wien, 6. November 2022  Es gibt einen Satz, den niemand in österreichischen Medien über  die Lippen und auf Papier bringt: „Presse-Herausgeber Rainer Nowak ist korrupt“. Mit neuen Schmid-Chats kommt ein weiterer Satz dazu: „ZiB-Chefredakteur Matthias Schrom ist korrupt“. Martina Salomon, Richard Grasl, Christoph Budin und Wolfgang Fellner bekommen journalistisch Gesellschaft. Aber es geht längst nicht mehr nur um sie. Viele in den Chefetagen der Branche zittern, weil sie sich genau erinnern können, was auch sie getan haben und was sich darüber auf Handys und in Aussagen finden könnte.

„Korrupt“ bezeichnet hier kein kriminelles Verhalten. Es geht hier nicht um Verbrechen nach dem Strafgesetzbuch, sondern um etwas, das zumindest politisch schwerer wiegt: um unentschuldbare Vergehen gegen die Freiheit und Unabhängigkeit von Zeitungen und ORF.

Bis vor wenigen Tagen schien alles noch unter Kontrolle. Richard Schmitt war nach Ibiza von der Krone gefeuert worden. Für den Rest der Branche waren die Gebrüder Fellner wie er unerwünschte Emporkömmlinge. Alle drei galten nicht als Problem, sondern als Beweis, dass die großen Alten der Branche ganz anders wären.

Mit Styria Media Group und ORF ist das jetzt vorbei. Auch sie sind schwer von Parteibuchwirtschaft und Gefälligkeitsjournalismus befallen. Wo immer jetzt auch angerufen wird – in den Chefetagen hebt niemand ab. Die Branche ist abgetaucht.

Persilschein aus Graz

Nach einer wilden Presse-Redakteursversammlung war klar, dass über das Schicksal von Presse-Chef Nowak bei den Eigentümern in Graz entschieden würde. Dort meldete sich Styria-CEO Markus Mair im Ö1-Mittagsjournal und erklärte, dass er hinter Nowak stünde. Die Begründung macht klar, dass der mächtige Verlag nicht anders handelt als die Partei, der er nahesteht. Nowak habe „möglicherweise aus Eitelkeit oder falsch verstandener Ironie“ mit Schmid so gechattet, „wie man es grundsätzlich nicht tun solle“. Mair habe Nowak mitgeteilt, dass so etwas nicht mehr vorkommen dürfe. Damit ist es in steirischen Granit gemeißelt: Wer von „Die Presse“ bis „Kleine Zeitung“ für die ÖVP eine rote Linie überschreitet, bekommt eine Nachschulung in Ironie. Nicht umsonst heißt es auf der Willkommensseite von Styria: „We are as good as our people!“

Die Antwort auf den Styria-Persilschein kam von Roman Vilgut, dem Wirtschafts-Redakteur der Kleinen Zeitung: „Ich stimme mit dem Vorstandsvorsitzenden der Styria Media Group nicht überein. So etwas darf nicht frei von Konsequenzen sein. Das schadet unserem ganzen Berufsstand.“

Vilguts Erklärung ist bemerkenswert. Ebenso bemerkenswert ist die bisher einzige Stellungnahme eines ORF-Redakteurs. Wenig überraschend kommt sie von Stefan Kappacher, einem der ersten, der die Medien-Omertá durchbrochen hat.

Schweigen im Krähenwinkel

Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. So lautet das ungeschriebene Gesetz des internen Umgangs in der Medienbranche. Offene Partei-Interventionen im ORF; Regierungsinserate für Gefälligkeitsgeschichten; Kanzler-Druck auf Herausgeber und Chefredakteure; bestellte Umfragen, Interviews und Geschichten – man weiß viel und sagt nichts. Daher geht alles.

Jetzt kommt es zum Galaauftritt der zwei schwarzen Schafe, die alle Finger auf sich gerichtet sehen. „Der Nowak war es, und der Schrom auch, jeder ganz allein!“ Die Redaktionen von „Presse“ und ZiB1 stellen verwundert fest, dass sie von ihren Chefredakteuren jahrelang hinter alle Lichter geführt worden seien. Unbemerkt von allen hätten Nowak und Schrom „Presse“ und „ZiB1“ in Propagandazentralen von Sebastian Kurz und seiner Partei umgewandelt. Seit das bekannt ist, sind die Redaktionsböden zentimeterdick mit Schuppen, die den Redakteuren von den Augen gefallen sind, bedeckt.

Nur „Verhaberung“?

Durch Ermittlungen und Recherchen wissen wir heute, was Kurz, Fleischmann und Schmid wollten. Nur eines wissen wir noch nicht: warum sie es so leicht hatten. In der „Süddeutschen Zeitung“ ortet die ehemalige Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid die „Verhaberung“ zwischen Journalisten und Politikern als Wurzel des Übels. Aber die „Verhaberung“ ist nichts Neues. Sie erklärt nicht, warum aus oft unzulässiger Nähe zwischen einzelnen Politikern und einzelnen Journalisten binnen eines knappen Jahrzehnts die Korrumpierung einer ganzen Branche werden konnte.

Wer die Chats aus dem Kurz-Umfeld genau liest, spürt die tiefe Überzeugung der Kanzler-Macher, dass man Berichterstattung kaufen kann. Wenn Schmid und Nowak über ihre Handys kommunizieren, ist klar, wer anschafft und wer macht, was verlangt wird.

Drei Faktoren

Dass das so leicht ging, hat mit drei Faktoren zu tun. Faktor 1 ist die wirtschaftliche Not der Zeitungen. Inserate überschwemmen nicht mehr wie früher die Branche. Jedes von ihnen muss mühsam an Land gezogen werden. Ein Wiener Wohnbaustadtrat namens Werner Faymann hat das als erster erkannt und gemeinsam mit seinem Schatten Josef Ostermayer den Prototyp des Regierungsinserat-Tools entwickelt. Sebastian Kurz hat dem Erfinder gezeigt, wie man damit eine ganze Branche kauft.

Faktor 2 heißt „Familie“. In den Bundesländer zählten die großen Medienhäuser gemeinsam mit „Die Presse“ in Wien traditionell zur ÖVP-Familie. Ein kritisches Wort über die ÖVP klingt dort noch heute wie eine Mahnung unter Verwandten. Die meisten großen Wiener Häuser sind – von Erbschaftssteuer und Stiftungsgesetzen bis zu Regierungsinseraten – aus wirtschaftlichen Gründen dazugestoßen.

Sebastian Kurz ist Faktor 3. In seinem „Projekt Ballhausplatz“ rangierte die totale Kontrolle über die Medien gleich neben der über die Justiz. Die Justiz ließ Kurz frontal attackieren. Den Journalismus ließ er kaufen.

Entlassung und Offenlegung

Was jetzt? Der erste Schritt heißt „Entlassung“, von Nowak und Schrom, der zweite „Offenlegung“ aller Interventionen. Dann kann von „Die Presse“ bis ORF mit dem Aufräumen begonnen werden.

Meine gute Meldung kommt ganz zum Schluss. Alles, was jetzt aufbricht, beweist, wie wichtig es war, dass wir ZackZack gegründet haben. Uns kann man nicht kaufen, uns kann man nur unterstützen, als Leserin und Leser. Ich bin mir sicher, dass auch wir in ÖVP- und BMI-Chats vorkommen. Auf deren Veröffentlichung freue ich mich.

p.s.: Als die zweite Nowak-Affäre platzte, meldete sich Falter-Chefredakteur Florian Klenk sofort mit einem mutigen Vorschlag: Eine „Runde der Chefredakteure“ solle das alles diskutieren. Dabeisein ist eben alles.

p.p.s. (10.10 Uhr): Kleine Zeitung-Herausgeber Hubert Patterer erteilt in einem bemerkenswerten Kommentar sich selbst und seinem Kollegen Nowak die Teilabsolution und deutet an, das Nowak seinen Hut nehmen wird. Patterers Gleichsetzung von „Willkommenskultur“ und Medienkorruption zeigt, wohin der neue ÖVP-Spin geht. Herausgeber wie Patterer haben sich offensichtlich entschieden, Teil des Problems und nicht der Lösung zu sein. Schade.

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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