Freitag, April 26, 2024

Schwarzes Loch von Niederösterreich – Teil 4: Der Cowboy von Bad Erlach

Schwarzes Loch von Niederösterreich

Das vorläufige Finale der großen Bad-Erlach-Saga: Undercover in der Gemeinderatssitzung. Und die hat es in sich.

Teil 1: (K)ein Ort wie jeder andere

Teil 2: Eine große Familie und ihre Häuser

Teil 3: Goldene Igel, empörte Beidl

Anja Melzer

Bad Erlach, 21. November 2022 | Johann Rädler ist 70 Jahre alt. Er nimmt am Kopf des Gemeinderatstisches Platz. Hinter ihm liegen Jahrzehnte in der Politik. 17 Jahre lang saß er für die ÖVP im Nationalrat. Seit 22 Jahren ist er Bürgermeister in Bad Erlach, mitten in Niederösterreich, wo die schwarze Landeshauptfrau Sozialdemokraten einst in Chats als „rotes Gsindl“ bezeichnete.

Diese Sitzung könnte eine von Rädlers letzten werden. Zu Jahresbeginn kündigte er seinen Rückzug an. Davon, wann er diesen Schritt tatsächlich vollziehen wird, ahnt die Öffentlichkeit an jenem Abend dieser Reportage im Herbst noch nichts.

Das Rathaus in Bad Erlach. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Rädler eröffnet die Gemeinderatssitzung. Er ist erbost und macht daraus auch gar keinen Hehl: „So etwas habe ich in meinem ganzen politischen Leben noch nicht erlebt.“ Stille im Saal. „Ich wurde zweimal in meinem Leben angezeigt. Einmal vom SPÖ-Gemeindevertreterverband, und einmal von Peter Pilz.“ Der Bürgermeister bebt vor Wut.

Bungalow-Bau in Bad Erlach. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

“Das ist Einschüchterung”

Hintergrund des Ausbruchs ist der Vorwurf, Rädler würde die Gemeindehomepage missbräuchlich verwenden, zum Beispiel für parteipolitische Inhalte. „Ich habe das natürlich nicht gemacht“, sagt er in Richtung der SPÖ-Gemeinderäte. Und er holt tief Luft: „Gut, dann machen wir es jetzt mal so, wie ihr es macht – über Anzeigen und Gerichte.“ Einer der Sozialdemokraten flüstert, während er auf das vor ihm liegende Protokoll schaut: „Das ist Einschüchterung.“

Im Anschluss geht die Sitzung vorerst ihren gewohnten Gang, Punkt für Punkt wird abgearbeitet. Wenn Johann Rädler der Diskussion lauscht, nimmt er die Brille ab, steckt sich einen Bügel zwischen die Lippen und lässt seine Brille vor seinem Kinn baumeln. Sobald er selber das Wort erhebt, setzt er sie sich wieder auf die Nase. Ein Habitus, der Politkenner stark an seinen Freund und Parteikollegen Wolfgang Sobotka erinnert.

Überall in Bad Erlach sind die Straßen aufgerissen. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Vorwurf

Hört man sich in der hiesigen SPÖ um, mit lediglich drei Gemeinderäten die größte Oppositionspartei, wird oft folgender Vorwurf erhoben: Ständig würden Grenzen und Zuständigkeiten verwischt – Gemeinde oder Partei? Gemeinde-Medien, die ja öffentlich finanziert werden, würden für parteipolitische Zwecke missbraucht. Beispiele, welche zumindest fragwürdige Beiträge enthalten, liegen ZackZack vor.

Damit konfrontiert, verwies in der vergangenen Woche Johann Rädler – dieses Mal übrigens wieder über seinen GMX-Account (siehe Teil 2) – direkt an seinen Medienanwalt. Dessen Stellungnahme lässt auch nach Tagen noch auf sich warten. Auch zu allen anderen Fragen wollte sich der Bürgermeister selbst jedenfalls gegenüber ZackZack nicht mehr äußern.

“Wir handeln sozial”, darüber das Konterfei von Bürgermeister Johann Rädler. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Auch Haltungen wie zuletzt jene vehemente Weigerung, den unliebsamen Sozialdemokraten anzugeloben (siehe Teil 3), halte man für „demokratiepolitischen Wahnsinn“. Insgesamt weise das ganze System in der Gemeinde überraschend viele Parallelen zum Sumpf im Großen auf.

Vom „Mitkassieren“

Einmal wird es an diesem Abend dann nochmal lauter. Rädler poltert, abermals in Richtung SPÖ-Gemeinderäte, die an diesem Montag nur zu zweit da sitzen, der dritte musste Corona-bedingt zuhause bleiben: „Ich verwehre mich gegen den Vorwurf, dass ich bei Baugeschäften mitkassiere.“ Er bezieht sich dabei auf das jüngst erschienene „Rote Flugblatt“ in Bad Erlach. Dieses hatte unter anderem mit folgenden Schlagzeilen aufgemacht: “Tarnen, täuschen, mehr abkassieren? ÖVP bleibt ÖVP”, “Schluss mit dem System – Umwidmen – Kassieren –Zubetonieren” oder auch “Eine Gemeinde ist kein Selbstbedienungsladen”.

Der Bürgermeister im Saal wird noch konkreter: „Ich sage euch ein Beispiel: Ich habe zu meinem 70. Geburtstag eingeladen und ich habe alles selbst bezahlt.“ Offenbar, so wirkt es, erwartet er an der Stelle großen Beifall.

Der Feind ist rot

Der Bürgermeister schiebt zum Schluss Worte nach, die fast ein bisschen drohend klingen: „Wenn ihr weiter so macht, wenn ihr so tief hinuntergeht, könnt ihr es auch anders haben.“ Interessant an der Stelle: Auf Nachfrage wird sich wenige Tage später herausstellen, dass der SPÖ-Gemeindevertreterband gar keine Anzeige eingebracht hatte. Man hatte sich lediglich über die rechtliche Lage erkundigt. Anzeige oder nicht: Rädler reagierte auf das Vorgehend der Opposition durchwegs empfindlich.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

Fest im Sattel

Was bleibt: Die Verstrickung zwischen WET, ÖVP sowie Vater und Sohn Rädler in Bad Erlach ist jedenfalls bemerkenswert, zumal es sich hier um bedeutende Gemeindeprojekte handelt, welche innerhalb der (Partei-)Familie abgewickelt werden. Das macht Bad Erlach auch zu einem Ort, wo es dem Ruf keineswegs schadet, wenn man sich im Umfeld hochrangiger Personen bewegt, gegen die in mehreren Fällen ermittelt wird.

(C) ZackZack/Christopher Glanzl

In Bad Erlach ticken die Uhren also anders. Ob sich nach Johann Rädler, „dem coolsten Bürgermeister in Niederösterreich“, ein Mann mit sieben Jahrzehnten auf dem Buckel, die Geschicke dieses Ortes ändern werden?

Am heutigen Montag, 21. November 2022, steht die vierte Gemeinderatssitzung in diesem Jahr an. Rädlers letzte, er wird Anfang Dezember das Zepter an seine Kollegin Bärbel Stockinger weiterreichen, das hat er zumindest schon vor Monaten angekündigt. Auch der Vizebürgermeister wird gehen, hieß es. In der „NÖN“ ließ Rädler sich jüngst mit folgendem Satz zitieren: „Abschlussfeier wird es keine geben, ich möchte so etwas nicht.“

Interessante Plakette im Bad Erlacher Ortskern. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Forever young

Übrigens: Kurz vor Erscheinen dieses Textes ist eine weitere Plakette verliehen worden. Bad Erlach ist jetzt „Jugend-Partnergemeinde“. Eine „Fachjury“ sei zu dem Urteil gelangt. Rädler hält auf dem beigefügten Foto auf der Gemeinde-Homepage einen blau-gelben Zettel in die Kamera. Eines ist sicher: Diese Auszeichnung wird bald im Rathaus hängen, neben den anderen.

Es war nicht die letzte Reise von ZackZack nach Niederösterreich. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl

Anja Melzer
Anja Melzer
Hält sich für die österreichischste Piefke der Welt, redet gerne, sehr viel und vor allem sehr schnell, hegt eine Vorliebe für Mord(s)themen. Stellvertretende Chefredakteurin. Sie twittert unter @mauerfallkind.
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12 Kommentare

  1. Zackzack, wieso vertrödelts ihr euch mit solchen Sachen????

    Es gibt genug Sachen, über die man schreiben kann und die gut zum Ausdruck bringen, wo uns das Kabinett des Grauens hinführt….
    https://orf.at/stories/3294663/
    Geplantes Lohndumping, das den Effekt haben wird, dass noch mehr Pflegekräfte fliehen aus dem Beruf und so schnell nicht genug nachkommen aus Drittländern, zudem man ja auch einkalkulieren muss, dass es Zeit braucht für die Nostrifikation.
    Für die Pflege gibts qeiterhin nur Watschen ins Gsicht, statt Wertschätzung, das wird immer schlimmer….. und wird vor allem die Babyboomer hart treffen.
    Mitten während der größten Herausforderung unseres Gesundheitssystems, sabotiert man dieses völlig willkürlich!
    Leute, wir sind die Lobby des Gesundheitswesens in unserem Sozialstaat.
    Und ob es eine schwache Lobby ist, entscheiden wir selber. Kriegt euren Hintern hoch, es geht um unsere Gesundheitsversorgung! Keiner wirds richten, wenn nicht wir selbst!

  2. “Power tends to corrupt and absolute power corrupts absolutely.”
    Lord Acton (britischer Historiker);

    Es muss dringend heller werden!

  3. Auch wenn man diese arroganten Typen nicht mag, aber es gibt noch immer eine Frage. Wie ist es möglich,dass mache Kotzbrocken eine 3/5 Mehrheit im Gemeinderat erreichen.

    • Sind die so groß, dass sie die allmächtige ÖVP verschlucken könnten? Ich habe da so meine Zweifel…….

      • ….. es ist eine Gefahr, am Ereignishorizont (Schwarzschild Radius) bleibt die Zeit stehen, die “Verschluckten” werden verschluckt, aber der Rest des Universums kann die fast auf ewig sehen….. 😕

  4. Das ÖVP Blattl nannte sich bei uns immer Gemeindezeitung. Zumindest das hat man abgeschafft und die Zeitung outet sich jetzt als ÖVP Parteizeitung. Es wird gemunkelt der Bürgermeister ging vor Wahlen gerne die alten Leute besuchen und half bei der Briefwahl. Ein Teil der Gemeinde scheint überhaupt einen eigenen Bürgermeister zu haben, ein einfacher ÖVP Gemeinderat der schaut, dass es den “seinen” an nichts fehlt, auch wenn die Mittel eigentlich für andere Bürger veranschlagt wurden. Da fallen Sätze wie “wäre ja noch schöner, wenn wir nicht mehr tun dürften was wir wollen”. Projekte der SPÖ werden grundsätzlich blockiert und bei der Bevölkerung Stimmung dagegen gemacht um sie dann später als eigene Idee verkaufen zu können. Kann nur jedem raten sich einmal in eine Gemeinderatssitzung zu setzen. Die schwarze Welt ist im kleinen genauso niederträchtig und korrupt wie im großen.

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