Samstag, Juli 27, 2024

Schwarzes Loch von Niederösterreich – Teil 3: Goldene Igel, empörte Beidln

Schwarzes Loch von Niederösterreich:

Der Schauplatz von Teil 3 der großen Bad-Erlach-Saga: das Rathaus. Und darin ein paar illustre Charaktere und ziemlich originelle Siegesplaketten.

Teil 1: (K)ein Ort wie jeder andere

Teil 2: Eine große Familie und ihre Häuser

Anja Melzer

Wien, 10. November 2022 | Das Rathaus in Bad Erlach ist wohl so etwas wie der Prototyp niederösterreichischer Rathäuser. Butterblumengelbe Fassade, neben der Eingangstür das Wappen. Die Tür zum Gemeindezentrum ist schlicht, es könnte auch der Zugang in eine Turnhalle sein – wären da nicht die prominenten Embleme rund um den oberen Türrahmen: zweimal das Logo der „NÖN“ („Niederösterreichische Nachrichten“), zweimal das der Wiener Neustädter Sparkasse, begleitet vom Slogan „In jeder Beziehung zählen die Menschen.“ Auch dieser Satz prangt gleich doppelt am Türstock.

Hinein ins Rathaus, hier der Zugang links. Rechts davon finden sich die “NÖN”-Logos. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Mit Menschen bzw. den Bildern von ihnen geht es dann auch direkt weiter, wenn man die Stufen hoch ins Rathaus steigt. An den Wänden hängen bunte Fotos, darunter ein paar des Bad Erlacher Bürgermeisters Johann Rädler und von ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner.

Bilder aus der Familienidylle im Stiegenhaus des Rathauses: Mit u.a. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, Rädler sen. und ganz rechts Rädler jun. (C) ZackZack

Goldener Igel und der Schilderwald

Oben angelangt wartet mitten im Amtsgebäude-Ambiente ein wahrhaft hochkarätiges Erlebnis: Vor einer Wand im Flur stehen zwei Sessel, grün bezogen. Zwischen ihnen ein Korb mit Blumen, drappiert auf einer Holzkiste. Und an dieser Wand hängen – zwar ein wenig schief, aber der Inhalt zählt – elf gerahmte Auszeichnungen. Von links nach rechts im Schnelldurchlauf:

  • „Grundzertifikat 2017 Audit familienfreundliche Gemeinde“ (unterschrieben übrigens von Sophie Karmasin),
  • „Gesunde Gemeinde 2020-2022“,
  • „Anerkennung Bad Erlach verzichtet auf Pestizide 2016“,
  • „Urkunde Fairhandelnde Gemeinde 2009“,
  • „Urkunde Blühendes Niederösterreich / Naturnahe Friedhöfe Anerkennungspreis 2017“,
  • „Grundzertifikat Gesunde Gemeinde 2015“,
  • „Schulhöfe und Spielplätze in Bewegung 2016“ (Unterschrift von Sobotka),
  • „Urkunde Klimabündnis-Netzwerk 2019“,
  • „Urkunde Mobilitätsgemeinde 2017“,
  • „Urkunde Goldener Igel 2020“.

Der ebenfalls anwesende Chef des SPÖ-Ortsverbandes, Constantin Luger, nennt die Preisschau spöttisch „Schilderwald“. Nette Überschriften ohne Substanz.

(C) ZackZack

Einmal im Quartal wird hier oben im Saal am Ende des Ganges die Gemeinderatssitzung abgehalten. Die letzte, vor der Sommerpause, war ziemlich eskaliert. ÖVP-Langzeit-Bürgermeister Johann Rädler verweigerte die Angelobung eines SPÖ-Mandatars.

„Beidl“

Um zu verstehen, warum, muss man sich gedanklich noch einmal zurück zum im ersten Teil beschriebenen Golfschläger-Kunstwerk im Kreisverkehr versetzen. Die vermeintliche Ähnlichkeit zu einem Penis hatte die Wogen 2018 im Ort hochgehen lassen, bei manchen zu hoch. Ein SPÖ-Gemeinderat, Hannes Gmeiner, hatte Bürgermeister Rädler damals in Anlehnung an die Skulptur „Beidl“ geschimpft. Für diese Unflätigkeit entschuldigte er sich später.

Um diesen Phallus im Kreisverkehr, den wir schon aus Teil 1 kennen, entzweite sich ein Streit zwischen SPÖ und Bügermeister – der bis heute andauert. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Doch als im Juni 2022 jener Hannes Gmeiner erneut in den Gemeinderat nachrücken sollte, war klar: Der Bürgermeister hat ihm den ordinären Spitznamen nie verziehen. Er verweigerte die Angelobung. Die Sitzung wurde daraufhin unterbrochen. Nach einigem Hin und Her übernahm schließlich trotz Anwesenheit des Bürgermeisters im Saal der Vizebürgermeister die Angelobung – ein mehr als ungewöhnliches Prozedere, das sich in dieser Form rechtlich nirgends in der niederösterreichischen Gemeindeordnung wiederfinden lässt.

„Wir sind hier nicht in Bosnien!“

An der Stelle eine kleine Anekdote am Rande: Rädler, der in der „Beidl“-Beleidigung unentschuldbaren „Hass“ ortete, fiel im selben Jahr mit rassistischen Äußerungen im österreichischen Nationalrat auf. Damals Abgeordneter, plärrte er während der Rede von Alma Zadic (Grüne), heutige Justizministerin, in Anspielung auf deren Geburtsland Folgendes von den hinteren Reihen: „Wir sind hier nicht in Bosnien!“ Er habe es nicht so gemeint, erklärte er später. Die Empörung über den Sager könne er nicht nachvollziehen.

Zurück zu der in Kürze beginnenden Herbst-Gemeinderatssitzung, bei der ZackZack an diesem Abend dabei ist – auf einem Sessel hinten im Eck. Ein „NÖN“-Journalist ist ebenfalls anwesend. Er sitzt mit am Gemeinderatstisch, zwischen den ÖVP-Gemeinderäten.

Cobra-Chef

Die Gemeinderäte treffen ein. Die Sitze sind folgendermaßen verteilt: 16 ÖVP, drei SPÖ, einer FPÖ, sowie ein – seit ihn die SPÖ ausschloss – freier Mandatar.

Das Parteienspektrum in Bad Erlach. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Unter den ÖVP-Kandidaten finden sich ein paar illustre Charaktere: Neben Bürgermeistersohn und WET-Vorstand Christian Rädler sitzt auch Bernhard Treibenreif auf einem schwarzen Sessel. Die Welt ist klein: Bei dem Beamten handelt es sich um jenen Mann, der im Frühjahr als Cobra-Chef in die sogenannte „Cobra-Libre-Affäre“ rund um zwei stark alkoholisierte Personenschützer im Haushalt von ÖVP-Kanzler Karl Nehammer verwickelt war.

Nach Bekanntwerden des Unfalls war Treibenreif in einem anonymen Schreiben an Parteien und Medien Amtsmissbrauch vorgeworfen worden. Kurz danach hatte die Staatsanwaltschaft Korneuburg verkündet, dass gegen “eine namentlich bekannte Person” Ermittlungen eingeleitet wurden. Medial kolportiert wurde, dass es sich dabei um Treibenreif aus Bad Erlach handle. Von der Staatsanwaltschaft wurde das bisher nicht bestätigt. Wie dem auch sei: Aus dem Gemeindevorstand in Bad Erlach wurde er abberufen.

Gelb, die Farbe der Hoffnung und Fröhlichkeit. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Ok cool

Doch die schillerndste Figur im Saal ist natürlich Johann Rädler selbst. Wer die obige Aufzählung der Gemeinde-Auszeichnungen aufmerksam gelesen hat, muss natürlich bemerkt haben: Es waren nur zehn. Denn die elfte unterscheidet sich von den restlichen. Es ist eine „Siegerurkunde“, weiße Schrift auf grünem Hintergrund. Verliehen wurde sie Johann Rädler in Personam. Titel: „Coolster Bürgermeister in Niederösterreich.“

Diese montagabendliche Sitzung im Herbst wird er allerdings nicht „cool“, sondern sichtlich aufgebracht und ziemlich grantig beginnen – mehr dazu in Teil 4 dieser Reportage.

Demnächst erscheint Teil 4 von “Schwarzes Loch von Niederösterreich”. Nicht verpassen!

Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl

Autor

  • Anja Melzer

    Hält sich für die österreichischste Piefke der Welt, redet gerne, sehr viel und vor allem sehr schnell, hegt eine Vorliebe für Mord(s)themen. Stellvertretende Chefredakteurin. Sie twittert unter @mauerfallkind.

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