Seit genau einem Jahr ist Karl Nehammer (ÖVP) Bundeskanzler. Ein Überblick, was dem Kanzler gelang – und was nicht.
Benedikt Faast
Wien, 06. Dezember 2022 | Am Nikolaustag 2021 übernahm Karl Nehammer das Amt des Bundeskanzlers von Kurzzeit-Kanzler Alexander Schallenberg. Für den ÖVP-Chef war es seitdem ein bewegtes Jahr. ZackZack präsentiert, was unter seiner Führung funktioniert hat und was eher nicht.
Die Flops
Außenpolitik:
Auf dem internationalen Parkett legte Nehammer nicht nur einmal eine nicht besonders galante Figur hin. Seine überstürzte Reise im April dieses Jahres, also bereits mitten im russischen Angriffskrieg, zu Wladimir Putin sorgte für Schlagzeilen, allerdings nicht für positive. Ebenso reagierte er beim Staatsbesuch des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban kurz nach dessen Skandalrede über „Gemischtrassen“ zu zögerlich, diese zu verurteilen.
Personalentscheidungen:
Als ÖVP-Obmann sorgte Nehammer mit diskussionswürdigen Personalentscheidungen für Stirnrunzeln. So bestellte er Laura Sachslehner zur Volkspartei-Generalsekretärin. Die damals 27-Jährige sollte ihm das Vertrauen nicht zurückzahlen. Mit wilden Pressekonferenzen und einem Rundumschlag gegen die eigene Partei zu ihrem Abschied sorgte sie für mehr negative Schlagzeilen als positive in ihrer Funktion.
Nehammers Nachfolger als Innenminister Gerhard Karner fällt in eine ähnliche Kategorie. Sein heimatliches Dollfuß-Museum stand tagelang in der Kritik. Das “ZiB2”-Interview über die rechtswidrige Abschiebung von Tina war ebenso ein negativer Höhepunkt. Auch dass Nehammer den in der Inseraten-Affäre beschuldigten Gerald Fleischmann zurück an die ÖVP-Schalthebeln in die Kommunikationsabteilung zurückholte, ist ein für viele Beobachter wenig nachvollziehbarer Schritt. Angesichts der immer weitreichenderen Ermittlungen in der Causa könnte sich die Rückkehr von „Mr. Message Control“ noch rächen.
Distanz zu Kurz:
Apropos Ermittlungen. Eine Distanz zum Umfeld Kurz gelang dem Kanzler nur spärlich. Zwar verabschiedeten sich zahlreiche Weggefährten von Kurz unter Nehammers Kanzlerschaft aus den Kabinetten. Gegen den Altkanzler, der schwer in diverse Ermittlungsstränge verwickelt ist, fand Nehammer nur wenige Worte der Distanz. Anders bei Thomas Schmid.
Eine der ersten Aussagen Nehammers, dass die ÖVP kein Korruptionsproblem hätte, sollte ihm angesichts der unter dem Jahr aufgepoppten schweren Beschuldigungen gegen Volkspartei-Granden öfters zum Bumerang werden.
Flapsige Sager:
„Alkohol oder Psychopharmaka“ oder „So viele Viren, aber jetzt kümmert es uns nicht mehr“: Rund um diverse ÖVP-Parteitage sorgte Nehammer mit improvisierten Sprüchen auf der Bühne immer wieder für Verwunderung. In diese Kategorie fällt auch sein Auftritt zur Cobra Libre-Affäre. Eine überhastete und überemotionale Pressekonferenz sowie nur scheibchenweise zur Verfügung gestellte Information über den Unfall-Hergang sorgten für kollektives Kopfschütteln.
Klimaschutz-, Informationsfreiheits-, Anti-Korruptionsgesetz:
Kaum Fortschritt gab es unter seiner Kanzlerschaft in Sachen Klimaschutzgesetz (seit 700 Tagen hat Österreich keines). Ebenso beim seit 2020 angekündigten Informationsfreiheitsgesetz. Auch neue Spielregeln zur Stärkung von Anti-Korruptionsmaßnahmen vermisst man noch.
Ein Getriebener:
Nehammer wird von einem Umfragetief ins Nächste gejagt. Mittlerweile befindet sich die Kanzlerpartei nur mehr auf Platz drei, die türkis-grüne Regierung kommt zusammen auf gerade einmal ein Drittel der Stimmen. Auswirkungen hat dies dahingehend, dass ÖVP-Mitglieder immer wieder mit Alleingängen ausrücken, die Nehammer wenig später einfangen muss. Stichwort: Menschenrechtskonvention.
Generell legte der Kanzler offensichtlich einen Strategiewechsel im Sommer hin. Keine Pressekonferenzen, kaum TV-Interviews: Die Themen legt der Kanzler so kaum selbst fest. Sein Hintergrund-Gespräch, in dem Nehammer seine einjährige Bilanz ausgewählten Journalisten darlegen wollte, floppte. Zur Debatte sollten nicht Nehammers Themen, sondern eine ungewöhnlich lange Sperrfrist werden.
Top:
Verzicht auf Inszenierung:
Einen positiven Punkt hat Nehammers Zurückgezogenheit in den vergangenen sechs Monaten. Die Fettnäpfchen, die er bei öffentlichen Auftritten hinlegte, sind deutlich weniger geworden. Die Inszenierung hat damit auch spürbar abgenommen. Gab es unter der Kurz-Regierung noch Pressekonferenzen, nach welchen Journalisten fragten, was denn jetzt der Grund des jeweiligen Medientermins gewesen sein soll, geht man mit diesem Mittel nun deutlich sparsamer um.
Zugestehen muss man Nehammer auch, dass er die ÖVP (wenn auch selbst verschuldet) und die Regierung (zum Teil selbstverschuldet) in schwierigen Situationen übernahm. Nehammers Stil wird vom Koalitionspartner, aber auch der Opposition als konstruktiver bezeichnet, als der von Sebastian Kurz.
Russische Gasabhängigkeit:
Die Abhängigkeit von russischem Gas ist deutlich gesunken. War man im Februar noch zu 79 Prozent von russischem Gas abhängig, waren es im September nur mehr 21 Prozent. Im Frühjahr hätten dies wohl wenige gedacht. Auch die Gasspeicher sind mit rund 90 Prozent gut gefüllt.
Geld in die Hand genommen:
Seit Jahren wurde die Abschaffung der kalten Progression von den Parteien diskutiert und befürwortet. Gemacht hat es dann allerdings niemand. Der Regierung Nehammer kann man zugutehalten, dass dies nun unter seiner Kanzlerschaft geschafft wurde. Auch weitere Entlastungen, seien es Einmalzahlungen, wie Klimabonus und Energie-Ausgleich, Steuererleichterungen oder die Strompreisbremse sorgten für spürbare Entlastung. Bei der Abwicklung der Hilfen kam es zwar immer wieder zu (kleineren) Problemen, das war angesichts der schnell beschlossenen Pakete aber vielen Kritikern auch verständlich und lief in den Nachbarländern auch nicht besser.
Titelbild: ZackZack / Christopher Glanzl