Samstag, Juli 27, 2024

Das letzte Loch

St. Pölten gegen Rumänien:

Mit ihrem Schengen-Amoklauf haben Nehammer und sein Innenminister die Grenze zur politischen Unzurechnungsfähigkeit überschritten. Der Grund dafür findet sich weder in Brüssel noch in Wien. Die ÖVP pfeift aus ihrem letzten Loch, mitten in St. Pölten.

 

Wien, 11. Dezember 2022   Warum, fragen sich viele, legt der österreichische Innenminister ein Veto gegen den Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien ein? Warum nimmt er in Kauf, dass österreichische Unternehmen in Sofia und Bukarest die Rechnung für einen Solo-Amoklauf gegen fast alle EU-Partner bezahlen müssen? Warum macht er zwei verlässliche Freunde in Osteuropa zu gefährlichen Feinden in Brüssel? Warum stellt er sich gegen fast alle konservativen Parteien, die sich gerade in Wien versammelt haben? Warum tut er etwas, das jenseits von FPÖ und AfD niemand versteht und letztlich nur der FPÖ nützt? Warum ist er also dümmer als seine eigene Polizei erlaubt?

Auch wenn sich Innenminister Gerhard Karner in diesen Tagen besonders seltsam verhält, soll niemand glauben, dass er nicht weiß, was er tut. So wie viele andere ist ihm klar, dass die Flüchtlinge, die wieder zu Tausenden aus dem Südosten kommen, von drei Staaten nach Österreich durchgewunken werden: von Serbien, Kroatien und Ungarn. Wie Italien leidet auch Österreich darunter, dass die Flüchtlinge, die es bis zu uns schaffen, noch immer nicht nach einem fairen Schlüssel in der EU verteilt werden. Viktor Orbán will genau das nicht. Daher braucht Österreich die EU, um sich vor den gezielten Angriffen aus Ungarn zu schützen.

Nehammer und die Bankräuber

Trotzdem hat Karl Nehammer mit Ungarns Viktor Orbán und Serbiens Aleksandar Vučić einen Dreipakt „gegen Flüchtlinge“ geschlossen. Würde man es Nehammer im Bankwesen gleichtun, müsse es dort zum Dreipakt zwischen Bankdirektor und zwei Bankräubern kommen. Alle drei würden stolz vor dem frisch aufgeschweißten Tresor stehen. Den Bankdirektor würde man nur noch an der fehlenden Strumpfmaske von den Räubern unterscheiden können.

Hat Nehammer also Karner angesteckt? Und was ist Nehammer zugestoßen? Alkohol und Psychopharmaka können Zwischenfälle mit Personenschützern im Kanzlerhaushalt erklären. Das Überschreiten der Grenze zur politischen Verrücktheit erklären sie nicht.

Das letzte Loch

Die Erklärung liegt woanders. Die ÖVP pfeift aus dem letzten Loch. Das trägt einen Namen: „ÖVP Niederösterreich“. „EVN“, „Hypo NOE“, „BMI-Chats“, „Landesgesundheitsagentur“, „Media Selecta“, „WET“, „Innova“ und „Pressverein“ sind einige der Schlagwörter, mit denen die Ermittler von Staatsanwaltschaft Wien und Landeskriminalamt die Ermittlungen in der Inseratenaffäre der ÖVP Niederösterreich begonnen haben.

Bis jetzt ist es gelungen, das letzte Loch zu schützen. Der Landesrechnungshof hat seinen Bericht so frisiert, dass unvollständige Zahlen die Geldflüsse an die ÖVP noch einmal verschleiern. Das Landeskriminalamt St. Pölten hat dem Wiener Staatsanwalt seinen Bericht zur Inseratenaffäre der ÖVP-NÖ nicht fristgerecht am 5. Dezember geliefert. Die Namen der Parteispitzen stehen noch nicht als Beschuldigte am Aktendeckel in Wien. Aber alle im Parteibunker in St. Pölten hören, wie eine Schutzschicht nach der anderen reißt.

Geschwulst in St. Pölten

Warum ist die ÖVP Niederösterreich so wichtig? Man muss nicht Chirurg sein um zu wissen, was man einem lebenden Körper wegschneiden kann. Es geht ohne Hände, Füße, Arme und Beine. Aber es geht nicht ohne den Körper und seine inneren Organe und ohne den Kopf. Die sind niederösterreichisch bis in den Tod.

Das niederösterreichische Gesetz der ÖVP lautet: Wenn die Lebenskraft nicht mehr für alles reicht, muss sich das Leben selbst zurückziehen und alles, was ihm nicht zum Überleben dient, absterben lassen. Das ist die St. Pöltner Innensicht.

Von außen gesehen passen Begriffe aus der Onkologie besser. Die Affären, die als „Inseratenaffäre“, „COVID-Förderungsaffäre“, „BMI-Chats“ oder „Beinschab-Tools“ von Vorarlberg bis Wien aufplatzen, ähneln Metastasen. Jeder, der sie beschreibt, weiß, dass die Muttergeschwulst in St. Pölten wuchert und von dort aus Pressefreiheit, Rechtsstaat und Demokratie angreift.

Kopfschütteln

Mit Sebastian Kurz hatte die ÖVP ihren letzten Plan. Beim Versuch, wie Orbán die ganze Macht zu übernehmen, ist Kurz abgestürzt. Jetzt hat sich Nehammer mit Gerald Fleischmann den Kurz-Medienmann ins Team geholt, um aus den Fetzen von „Projekt Ballhausplatz“ einen Nehammer-Plan zusammenzukleben. Aber das, was bis 2021 beeindruckte, ruft jetzt nur noch ratloses Gelächter und Kopfschütteln hervor.

Was macht es mit einem talentlosen Parteifunktionär, der nur mangels Besserer Kanzler wurde, wenn er in der Früh nicht weiß, wie nahe die nächste Hausdurchsuchung ihm selbst kommt? Wie soll jemand ernsthaft Inflation bekämpfen, wenn die Ermittler der WKStA Einlass in sein Bundeskanzleramt verlangen? Wie soll man sich am Ruder festhalten, wenn dauernd St. Pölten am Notapparat anruft?

Wahrscheinlich weiß sogar Nehammer, dass es aus ist. Aber niemand in seiner Partei wird ihn fragen, ob er mit dem Notfallplan einverstanden ist. Wenn die ÖVP auch in Niederösterreich, Salzburg und Kärnten abstürzt, wird eine „Neue“ ins Rennen um Parlament und Regierung geschickt. Vielleicht schafft es die ÖVP dann noch, Dritte zu werden. Am Tag nach der Wahl wird Kurz-Mentor Wolfgang Schüssel erklären, was man in solchen Situationen tut.

Aus Feigheit

Die Grünen machen mit, aus Feigheit. Ihr Antikorruptionspaket hat sich ebenso in lauwarme Luft aufgelöst wie ihr Klimaschutzgesetz. Mit ihren Beiträgen zu gesetzlicher Medienanfütterung, staatlicher Journalistenausbildung und dem Abriss der „Wiener Zeitung“ haben sich Kogler, Maurer und Blimlinger ihr Plätzchen im Luftschutzkeller der ÖVP gesichert.

„Ich bedaure die Entscheidung der österreichischen Bundesregierung, den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens zu blockieren, außerordentlich.“ Das ist die einzige grüne Stellungnahme. Sie stammt vom Bundespräsidenten. Sonst herrscht Ruhe, bis auf die Parteivorsitzende der SPÖ, die zur Überraschung aller Karner und Nehammer gegen Rumänien und Bulgarien unterstützt. Aber dahinter steckt kein roter Plan. Sie weiß nur nicht, was sie tut.

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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