EU-Skandal:
Die EU-Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili könnte noch diese Woche abgesetzt werden. Ein Kollege befürchtet, dass der Korruptions-Skandal sich ausweitet.
Wien/Brüssel, 13. Dezember 2022 | Nach Bekanntwerden von mutmaßlicher Korruption im EU-Parlament rund um die griechische sozialdemokratische Politikerin Eva Kaili steht nun ihre Absetzung als Parlamentsvizepräsidentin bevor. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hat Kaili bereits von ihren Amtspflichten entbunden. Um Kaili abzusetzen, muss die Konferenz der Präsidenten, die sich aus Metsola und den Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament zusammensetzt, über einen entsprechenden Antrag entscheiden. Anschließend braucht es die Zustimmung von zwei Dritteln des Parlament-Plenums.
Nach der informellen Plenarsitzung des EU-Parlaments am Montag folgt am Dienstag ein formelles Treffen, das neue Entwicklungen bringen könnte.
Nachfolge-Razzien
Im Rahmen der Ermittlungen sind auch noch am Montag Räume im EU-Parlament durchsucht und Computer von zehn Mitarbeitern beschlagnahmt worden. Sie waren bereits seit Freitag eingefroren gewesen, um zu verhindern, dass Daten gelöscht werden. Schon am Sonntag haben in Italien Razzien stattgefunden, wie die belgische Staatsanwaltschaft mitteilte.
Schallenberg wartet ab
Außenminister Alexander Schallenberg hat sich bisher zurückhaltend gezeigt. Er sagte, man solle erst einmal die Justiz arbeiten lassen anstatt „politisch voreilige Schritte ziehen“. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, wäre das „ein veritabler Skandal“, so Schallenberg am Rande eines Treffens der EU-Außenminister in Brüssel am Montag.
Der österreichische EU-Parlamentspräsident Othmar Karas (ÖVP) brachte Montagabend in der “ZiB 2” hingegen seine Wut zum Ausdruck. Korruption sei “ein tödliches Gift” für Politik und Demokratie. Er sei froh darüber, dass die mutmaßlichen Delikte aufgedeckt worden seien. Das zeige, “dass das System funktioniert”.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlug indes vor, einen Ethikrat einzurichten, der EU-Institutionen überwachen soll. EU-Parlamentspräsidentin Metsola nennt die mutmaßlichen Bestechungen einen “Angriff auf die europäische Demokratie”.
Mutmaßliche Korruption um Katar
Am Freitag war die griechische EU-Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili und mehrere Parlamentsmitarbeiter festgenommen worden. Seit Sonntag sitzen Kaili und drei weitere Personen in Untersuchungshaft, darunter ihr Lebensgefährte und der ehemalige EU-Abgeordnete Antonio Panzeri. Sie werden verdächtigt, Schmiergeld und Sachgeschenke von Katar angenommen zu haben und sich dafür politisch für das Land eingesetzt zu haben, etwa was Visa-Regeln angeht. Am Mittwoch soll eine Gerichtskammer über das weitere Vorgehen entscheiden.
Katar hat die Vorwürfe zurückgewiesen und gesagt, man habe stets gemäß internationaler Gesetze gehandelt. Othmar Karas nimmt dem Wüstenstaat die Beteuerungen, mit den Vorgängen nichts zu tun zu haben, nicht ab, wie er in der “ZiB 2” sagte: “Nach dem, was wir wissen, ist das schwer vorstellbar.”
Vermögen eingefroren
Im Rahmen der Ermittlungen sind inzwischen 16 Häuser in Brüssel durchsucht und 600.000 Euro Bargeld beschlagnahmt worden. Athen hat das Vermögen von Kaili, ihres Lebensgefährten, ihrer Schwester und ihrer Eltern jedenfalls eingefroren. “Bankkonten, Schließfächer, Firmen und alle anderen Vermögenswerte” seien betroffen, sagte der Leiter der griechischen Anti-Geldwäsche-Behörde Charalambos Vourliotis am Montag.
Ausweitung befürchtet
Der deutsche EU-Abgeordnete René Repasi hat am Montag gegenüber dem Südwestrundfunk die Befürchtung geäußert, dass die jüngsten Enthüllungen nur die Spitze des Eisbergs sein könnten. Laut EU-Außenbeauftragtem Josep Borrell gibt es keine Hinweise darauf, dass EU-Diplomaten in den Skandal verwickelt seien.
Internationale Medien sind auf einen weiteren EU-Politiker aufmerksam geworden: EU-Kommissions-Vizepräsident Margaritis Schinas. Er ist, wie auch Kaili, mit lobenden Aussagen über Katar aufgefallen, unter anderem auf Twitter. Kaili hatte etwa im November im Parlament über Katar gesagt, das Land sei Vorreiter in Sachen Arbeitsrecht. Katar ist nicht zuletzt im Rahmen der derzeit dort stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaft für seinen Umgang mit Arbeitsmigranten in Kritik geraten. Bei seinem Besuch in Katar zur Eröffnung der WM hatte Schinas sich ebenfalls positiv über die Entwicklung der Arbeitsumstände in Katar geäußert.
(pma)
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