Samstag, Juli 27, 2024

Rechnungshof: Mehrkosten statt «Patientenmilliarde»

Der Rechnungshof hat die Reform der Sozialversicherungsträger unter die Lupe genommen und wesentliche Mängel festgestellt.

Wien, 16. Dezember 2022 | Die Reform der Sozialversicherungsträger hat ihre wesentlichen Ziele verfehlt. Das hat der Rechnungshof (RH) festgestellt. Bis 2030 hatte die türkis-blaue Regierung Einsparungen in der Höhe von einer Million Euro versprochen, die den Versicherten zugutekommen sollten, vor allem durch geringere Verwaltungskosten und harmonisierte Leistungen. Statt den versprochenen Einsparungen hat die Kassenfusion Mehrkosten von 214,95 Millionen Euro gebracht. Die Harmonisierung ist laut Rechnungshof nur teilweise umgesetzt worden.

Auch Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hat die vielzitierte Patientenmilliarde „in allen Schubladen des Ministeriums“ gesucht, aber nicht gefunden, wie er im “ZiB 2”-Interview Ende November sagte.

Der RH hat die Situation der Sozialversicherungen zwischen 2018 und 2020 und, soweit wie möglich, im Jahr 2021 geprüft. Die Analyse lief von September 2021 bis Februar 2022.

Einsparungstraum geplatzt

Die versprochene „Patientenmilliarde“ liegt laut RH in weiter Ferne. Zwar prognostiziert er, dass die Kosten nach einem Spitzenwert 2022 im Jahr 2023 wieder sinken. Aber selbst dann werden die Kosten laut RH-Berechnungen immer noch leicht über jenem Level liegen, auf das sie ohne Fusion im Laufe der Jahre angestiegen wären.

Die Sozialversicherungsträger haben gegenüber dem RH argumentiert, dass den Einsparungen unter anderem die Corona-Pandemie und die Inflation in die Quere gekommen sind. Das lässt der RH nicht gelten: Auch wenn man eine mögliche hohe Inflation berücksichtigt, bewegt sich der finanzielle Mehraufwand laut RH-Berechnungen zwischen 34,78 und 134,1 Millionen Euro. Und, so schreibt der RH, die ÖGK habe selbst angegeben, dass die Zahl der Überstunden während der Pandemie sogar gesunken und kein zusätzliches Personal im Rahmen der Pandemiebekämpfung angestellt worden war.

Fehlende Ziele und Kontrolle

Grundsätzlich bewertet der RH das Vorhaben, Synergien zwischen den Sozialversicherungsträgern zu nützen, die Risikogemeinschaft zu verbreitern und die Sozialversicherungsträger handlungsfähiger zu machen, positiv. Aber den Sozialversicherungsträgern waren im Rahmen der Reform keine konkreten Einsparungsziele vorgegeben worden, kritisiert der RH in seinem Bericht. Das Ziel, 30 Prozent an Verwaltungskosten einsparen zu können, war aus Sicht des Rechnungshofs daher nicht „als Vorgabe für die Steuerung und das Management des Verwaltungsaufwands“ der fusionierten Sozialversicherungsträger geeignet.

Dazu kommt, dass es aus Sicht des RH kein angemessenes Kontrollgremium gibt, nachdem die Kontrollversammlung für die Sozialversicherungsträger abgeschafft worden ist. Die stattdessen eingeführte Wirtschaftsprüfung der Rechnungsabschlüsse hat nun wesentlich weniger Kompetenzen. Etwa ist nicht vorgesehen, dass Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit überprüft werden. Auch vermisst der RH eine nachvollziehbare Erfassung von Kosten und Nutzen, um die Verwaltung wirtschaftlich optimieren zu können.

Teure Aufträge

Der RH hat auch kritisiert, dass das Sozialministerium sehr allgemein Beratungsleistungen ausgeschrieben und letztlich teure Verträge abgeschlossen hatte. Durch lückenhafte Dokumentation waren “weder die Eignungskriterien noch die Auftragswertermittlung nachvollziehbar“. Es habe auch keinen Preisvergleich gegeben. Der durchschnittliche Stundensatz des letztlich beauftragten Bewerbers habe 80 Prozent über jenem des nächstteuren Bewerbers gelegen.

Sozialministerium in der Pflicht

Zwar ist das Sozialministerium gemäß einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) nicht mehr gegenüber den Sozialversicherungsträgern weisungsbefugt. Dennoch sieht der RH das Ministerium in der Verantwortung, sich gemeinsam mit den Trägern auf „neue, realistische Ziele“ zu einigen. „Wenn politische Ziele und fachliche Einschätzung der Folgen einer geplanten Maßnahme voneinander abwichen, wäre es Aufgabe des Sozialministeriums, entweder andere Maßnahmen zur Zielerreichung zu entwickeln oder die Ziele zu adaptieren“, schreibt der RH. Das Sozialministerium habe die Empfehlung, neue Ziele zu definieren, begrüßt, steht im Bericht.

Türkis-blaues Prestige-Projekt

Die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger war ein Prestige-Projekt der schwarz-blauen Regierung unter Sebastian Kurz. Im Dezember 2018 beschloss sie, die bundesweit insgesamt 21 Sozialversicherungsträger auf fünf zu reduzieren. Der Verwaltungsaufwand sollte dadurch reduziert, Leistungen harmonisiert und dadurch Geld gespart werden. Im Jänner 2020 war das SV-Quintett komplett.

Die neun Gebietskrankenkassen der Bundesländer wurden in der bundesweiten Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) vereint, in die auch mehrere Betriebskrankenkassen, etwa jene der voestalpine, aufgegangen sind. Die öffentlich Bediensteten, der Eisenbahner und der Bergbauern haben nun eine gemeinsame Versicherung (BVAEB), die auch für Vertragsbedienstete der Wiener Verkehrsbetriebe verantwortlich geworden ist. Selbstständige und Bauern haben mit der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS) ebenfalls einen gemeinsamen Ansprechpartner bekommen. Daneben sind die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) erhalten geblieben.
(pma)

Titelbild: HERBERT PFARRHOFER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Pia Miller-Aichholz

    Hat sich daran gewöhnt, unangenehme Fragen zu stellen, und bemüht sich, es zumindest höflich zu tun. Diskutiert gerne – off- und online. Optimistische Realistin, Feministin und Fan der Redaktions-Naschlade. @PiaMillerAich

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