Freitag, April 26, 2024

Aufwachen: Die Schildlausbürger

Österreichische Nationalstaatlichkeit oder Gemeinsam gegen die Gemeinschaft

Daniel Wisser

Wien, 17. Dezember 2022 | Eine der ersten Forderungen des 1986 zum FPÖ-Obmann gewählten Schildlausbürgers Jörg Haider war: Österreich muss der EG und der NATO beitreten. Von Nationalstaatlichkeit hielten Konservative und Rechte in den Achtzigerjahren nichts. Österreich müsse sich endlich den westlichen Bündnissen anschließen, hieß es damals. Und die SPÖ verhindere das.

Doch die SPÖ begann unter Vranitzky in einer großen Koalition mit der ÖVP das Land mit Umsicht, aber konsequent auf den Beitritt vorzubereiten. Noch im Jahr 1992 schrieb die FPÖ in ihrem EG-Leitfaden: „Die FPÖ ist bis heute die einzige österreichische Parlamentspartei, welche die Forderung nach einem EG-Beitritt in ihr Parteiprogramm aufgenommen hat.“ Und sie tadelte SPÖ und ÖVP für ihre zögerliche Europapolitik. Am Sonderparteitag der FPÖ im Jahr 1992 wandte sich Jörg Haider plötzlich gegen den EG-Beitritt. Die Mehrheit der Österreicher*innen folgte ihm nicht und stimmte am 12. Juni 1994 in einer Volksabstimmung mit einer Zweidrittelmehrheit für den EG-Beitritt.

Fasching und Aschermittwoch

Mit 1. Januar 1995 wurde Österreich Mitglied der Europäischen Union. Wie groß wäre der Aufschrei gewesen, wären wir es nicht geworden! Stellen wir uns vor, der Euro wäre 1999 eingeführt und 2002 auch als Bargeld ausgegeben worden und Österreich wäre nicht in der EU gewesen. Stellen wir uns vor, der Schilling wäre daraufhin im Wert gegen den Euro gefallen – was wäre da los gewesen? Doch heute sind die Aufbruchsstimmung der Neunzigerjahre und das Profitieren von der Union vergessen. Und in Österreich ist die Ausprägung eines akkuraten Langzeitgedächtnisses unterentwickelt.

Mit Österreich kann man Pakte schließen. Wenn es uns gut geht, sind wir gerne dabei. Wehe aber, es gibt Probleme. Hier kommen die Rechtspopulisten ins Spiel. Sie brauchen für ihre Propaganda zwei Dinge: Krisen und Feindbilder. Menschen mit europafeindlichen Parolen zu belustigen, geht immer gut. Bei den Rechtspopulisten ist täglich Fasching und Aschermittwoch gleichzeitig. Herbert Krejci hat den EU-Skeptizismus in einer Studie von 2004 analysiert und die Häufigkeit von Schlagwörtern wie Schildlaus, Blutschokolade, Gurkenkrümmung, Teuro und vielen anderen zusammengefasst. Besonders schlimm ist, woran sich die Skeptiker medial orientieren. In seiner Studie steht: „52% der EU-Skeptiker geben die “Kronen Zeitung” als Informationsquelle für EU-relevante Themen an.“

Die anderen sind schuld!

Als Teil einer Gemeinschaft so zu tun, als gehöre man nicht dazu, ist einfach. Immer sind die anderen schuld. Die ÖVP-FPÖ-Regierung unter Kurz betonte immer wieder Nationalstaatlichkeit. Allerdings gab es diese nur in Ankündigungen. Die EU-Feindlichkeit von ÖVP und FPÖ ist eine Show ohne Substanz. Eine österreichische Show, die mit Europa nichts zu tun hat.

Bis heute gab es keine einzige nationalstaatliche Entscheidung Österreichs, die wegweisend oder vorbildhaft gewesen oder von Österreich konsequent durchgezogen worden wäre. Zum Beispiel ein atomfreies Österreich ohne Stromimporte aus Ländern mit Atomenergie. Das wäre ein Zeichen!

Atomfreies Österreich – eine Bigotterie

Österreich, das Land, das so stolz darauf ist, kein Atomkraftwerk zu betrieben, ist auf Stromimporte angewiesen. Von 2020 auf 2021 sind die Importe um 36 Prozent gestiegen. Die Importländer sind Länder mit Atomkraftwerken: Deutschland, Tschechien, Frankreich und andere. Die EU hat Atomstrom für nachhaltig erklärt. Ein krasse Fehlentscheidung, die es Ländern wie Frankreich leicht macht, ihre Atomkraftwerke, die zur Hälfte in den Achtzigerjahren gebaut wurden und schon seit zehn Jahren stillgelegt sein sollten, weiterlaufen zu lassen. Dabei hat Frankreich zu wenig Endlagerplätze für den Atommüll der nächsten Jahre. Und aus der Abhängigkeit von Russland helfen die Atomkraftwerke auch nicht: Der Großteil des angereicherten Urans wird aus Russland importiert. Fazit: Ein atomfreies Österreich ist reine Bigotterie.

Daher bin ich dagegen, Kritik an der EU als rechts zu brandmarken. Das ist Unsinn. Es muss linke und auch ökologische Kritik an der EU geben. Ich bin auch dagegen, nicht mit Bewegungen zu reden, die für den EU-Austritt sind. Aber eines muss klar sein:  Wenn man wirklich für Nationalstaatlichkeit ist, braucht man einen Plan. Und ein solcher Plan muss – wie im Fall einer Unabhängigkeit von Stromimporten – langfristig sein und über mehrere Legislaturperioden halten, also auch Regierungswechsel überleben.

Bemerkenswerte Heuchelei

Als Mitglied der EU müssen wir versuchen, die EU zu verändern. Denn selbstverständlich gibt es in der EU (wie in unserem Land) Korruption, strukturelle Probleme und Misswirtschaft. Populismus und Schwarz-Weiß-Logik sind zu wenig. Man muss der Bevölkerung gegenüber ehrlich sein und EU-Politik ernst nehmen und nicht einfach Gegner in der eigenen Partei, die man los werden will, zu Europapolitikern machen.

All das liegt der Regierung leider fern. Bundeskanzler Karl Nehammer, ein Schildlausbürger dritter Generation, der in der vergangenen Pressestunde wieder einmal das Wort Nationalstaatlichkeit in den Mund genommen hat, ist der letzte, der den Mut dazu hat, eigenständig zu handeln. Geht es um Asyl, treibt es das Kurz-Generikum Nehammer sofort in die Arme von Diktatoren und Populisten. Vor etwa zwei Wochen traf er Aleksandar Vučić und Viktor Orbán, die das Thema Migration zwar für anti-islamistische Rhetorik nutzen, aber den österreichischen Kanzler verarschen. Paul Lendvai dazu im „Standard“: „Bemerkenswert ist auch die Heuchelei: Jeder dritte Asylwerber in Österreich kam zuerst visafrei nach Serbien und wurde dann durch das Orbán-Regime nach Österreich durchgewinkt.“

ÖVP hat sich der FPÖ angeglichen

Mit der Nicht-Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in den Schengen-Raum wird kein Grenzübertritt verhindert und kein Verbrechen verhindert. Es ist kein nationalstaatlicher Schritt, sondern eine nationale Botschaft der ÖVP an die österreichischen Wähler*innen und sie lautet: Wir haben uns in der Europapolitik der FPÖ angeglichen.

Was in die Bundes-SPÖ gefahren ist, das Nein der Rechtspopulisten zur Erweiterung des Schengen-Raums auf Bulgarien und Rumänien zu teilen, ist mir ein Rätsel. Angesichts dieser Misere muss man über Wiens Bürgermeister Michael Ludwig froh sein, der sich ein weiteres Mal als umsichtiger Politiker zeigt und den Mut hat, nicht nur der Regierung, sondern auch der Bundeszentrale seiner Partei zu widersprechen. Es ist notwendig.

Titelbild: ZackZack/Miriam Mone

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20 Kommentare

  1. Gemeinschaft wäre schön – wenn alle nationalen Interessen soweit möglich berücksichtigt bzw. respektiert würden. Tatsächlich ist es aber so, dass entweder Brüssel auf Kosten der Gemeinschaft seinen Ideologiewahn gemeinsam mit seiner selbstherrlichen Bürokratie auslebt oder Deutschland die EU als geschützten Markt ansieht und nach Belieben plündert. Und über allen drüber liegt die von Brüssel und Deutschland geförderte Unterwürfigkeit gegenüber den USA.
    Und da wundert sich noch jemand, dass sich manche Nationen manchmal gegen die Gemeinschaft stellen? So sehr ich die EU befürworte, applaudiere ich doch regelmässig dem Orban für seinen ausdauernden Widerstand, sich überfahren zu lassen.

    • Aber in dem Artikel geht es doch gerade darum, dass die Kritik an der EU nicht sachlich ist und andere Lösungswege anschlagen will, sondern dass sie eben immer nur populitisch ist und Geraunze ist, von Parteien, die dann doch bei allem Mitmachen. Wenn man Pluralismus vermisst und selbstherrliche Bürokratie anprangert, darf man nicht Orban applaudieren, denn bei ihm ist nur eine Meinung erlaubt (nämlich seine) und seine Bürokratie ist eine Diktatur, gegen die es keinen Widerspruch gibt.

      • Die Orban´sche Diktatur ist dem Druck aus Brüssel geschuldet (und natürlich auch seiner Selbstbereicherung). Aber ohne strenge “Meinungskontrolle” hätte ihn die US/EU schon längst aus dem Sattel geschossen. Genauso verteidigen sich Kuba etc. gegen den Regime-Change. Deswegen applaudiere ich, nicht wegen seinem Demokratieverständnis.

        • Na ja, wenn man sagt “Schuld an einer Diktatur ist …”, kann ich nur sagen: Schuld an einer Diktatur ist der Diktator. Und das mit den USA und der Westerntheorie “aus dem Sattel geschossen” ist Blödsinn. Niemand hat Gyula Horn aus dem Sattel geschossen.

  2. Auch Fr Tanner wird bald aufwachen:
    WIRECARD-SKANDAL
    Bundeswehr vergibt Millionenauftrag an Firma von Marsalek-Geschäftspartner (stern.de)
    Gab es auch Aufträge des österreichischen Bundesheeres???

  3. Die EU war schon immer die Spielwiese der Lobbyisten und mit der Grundhaltung der ÖVP: sich anzubiedern und kein Rückgrat haben, konnte der ÖVP, mit der Verleugnung der Neutralität, nichts schöneres passieren als der EU-Betritt. Die ÖVP lockte das Stimmvieh: die Bauern werden der Feinkostladen von Europa und die Arbeitsplätze werden nur durch den Beitritt gesichert. Die SPÖ sah eine Möglichkeit, die abgehalfterten Politiker irgendwo unterzubringen. Hätte Österreich eine Nationalstaatlichkeit ähnlich der Schweiz, müsste Österreich auch nicht bei der Gemeinschaft sein. Österreich hatte einen großen Trumpf in den Händen – Transit – aber nicht die Politiker die ihn auspielen konnten. Die Politiker standen und stehen unter dem Einfluß der Industrie und dem Tourismus. Solange Geld jetzt verdient werden kann, wird jede Möglichkeit genutzt ohne Rücksicht auf die Folgen.
    Die ÖVP ist soweit rechts (kein Rückgrat), weil dort die meisten Wähler zu holen sind und die Grünen sind ein Teil der ÖVP

    • Man wird sehen, ob die Konservativen-Parteien weiter nach rechts rücken und irgendwann offen EU-feindlich und für den Austritt sind. Wie schwer sie sich mit autoritären Parteien tun (siehe Ungarn) zeigt ja, dass es kein konsequentes Abgrenzen gegen totalitäres Denken innerhalb der Konservativen gibt.

  4. Was nach dem Schengen-Nein in den Medien auffällt: Immer mehr konservative Kommentatoren (Schwarzenberg, Coudenhove-Kalergi, Kotanko) rechnen jetzt mit der Kurz-ÖVP ab. Drei Fragen stellen sie nie:
    1. Warum kam es zum Rechtsruck der ÖVP?
    
2. Sind Nehammer, Fleischmann, Wöginger und Sobotka jetzt anders als unter Kurz.

    3. Warum gibt es keine Rückbesinnung auf die früheren Werte und das Parteiprogramm?

  5. Oh, welches Erinnerungsvermögen! Haider war mal für den EG-Beitritt? Hahaha. Das wusst ich nicht. Kaum haben dann die anderen Parteien es so gemacht, dann war er voll dagegen, “immer schon”. Jetzt ist mir klar woher Kickl seinen Schwenk hat beim Corona-Management. Zuerst für strenge Maßnahmen, als die kamen voll dagegen.

    Rechtsextreme und Rechtspopulisten können das, ohne Schaden zu nehmen in der Zustimmung. Bei Rechtspopulisten ist nur wichtig WIE sie es sagen, der Ton macht die Musik, die Inhalte sind denen wurscht. Das Übel ist, wenn die anderen das nachmachen, weil sie neidig sind, dass die Rechtspopulisten mit Inhaltsleere, mit Beliebigkeit durchkommen. Und das tun mittlerweile ziemlich alle. Es ist deswegen übel, weil Beliebigkeit “das System der Rechtspopulisten” ist. Wenn die anderen das nachmachen, dann werden die Rechtspopulisten gewählt.

    Aufwachen. Fürwahr.

    • Wahrscheinlich sollte man diese Fälle jeden Monat wieder neu auflisten. Bei Strache und Kickl gibt ja auch sehr viele solcher “Schwebks”. Da hätten wir “Volksabstimmung über CETA ist Koalitionsbedingung” im Wahlkampf 2017. Die FPÖ hat dann CETA als Regierungspartei ratifiziert – ohne Volksabstimmung. Dann das Sicherheitspaket, das für Kickl in der Opposition Überwachung war (“DDR 4.0”, wie er es nannte. APA-OTS noch online). 2018 hat er es als Minister eingeführt.

      • Es ist wurscht, was die sagen, was die tun. Hauptsache, sie sind vorne. Und das goutieren rechtspopulistische Wähler:innen. Hauptsache “den andern eins auswischen”. Wenn das gemacht wird (siehe Hartinger-Klein), sind sie die Helden. Mehr ist da nicht drin. Drum braucht man gar nicht argumentieren, denn Argumente, Fakten oder Tatsachen sind denen egal. Wenn aber 4 Parteien faktenbefreit um Wähler:innen buhlen, spielen 3 Parteien der FPÖ in die Hände.

  6. “Was in die Bundes-SPÖ gefahren ist, das Nein der Rechtspopulisten zur Erweiterung des Schengen-Raums auf Bulgarien und Rumänien zu teilen, ist mir ein Rätsel.”

    Ja, die Sinnlosigkeit einen kaputten Sicherheitsraum zu erweitern ist ja nur für Leute ohne Gutmenschengen ersichtlich *facepalm*. Für die Gutmenschen hingegen ist es völlig unverständlich, wieso Migration die aus allen Rahmen fällt (im Gegensatz zu vernünftiger Migration) n Problem sein könnte. Dementsprechend ist es für diese Leute auch völlig unverständlich wozu n Sicherheitsraum überhaupt gut sein soll. Wieso Schengen, mach ma auf für alles und jeden… außer Russen, die sind bekanntlich mit dem Teufel im Bunde und gehören mit heiligen Westbomben vernichtet.

    Ich würde an dieser Stelle ja das Studium der Geschichte empfehlen, aber leider konnte ich des öfteren Beobachten wie einengend die selektive Wahrnehmung von Möchtegerngutmenschen ist. Die lesen sich sogar Hitler heilig wenns ins Konzept passt.

    • Heutzutage ist es ja schon Migration, wenn ein Kellner von Sopron nach Deutschkreutz zur Arbeit fährt. Wenn er dann am Abend zurückfährt, sind es zwei Migrationen.

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