Nach zähen Verhandlungen hat sich die Staatengemeinschaft auf Artenschutz-Ziele geeinigt, die Experten allerdings nicht überzeugen.
Wien/Montreal, 19. Dezember 2022 | Bei der Weltnaturkonferenz COP15 haben sich die Teilnehmer nach zwei Wochen Verhandlungen offenbar auf eine Abschlusserklärung geeinigt. Die internationale Staatengemeinschaft hat unter anderem vereinbart, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen, bekannt als 30×30-Ziel.
Diese und andere Maßnahmen werden von Umweltschützern und Wissenschaftlern aber nicht als große Sprünge gefeiert. Für die Umweltorganisation Greenpeace ist die Abschlussvereinbarung ein “fauler Kompromiss”, wie sie in einer Aussendung schreibt. Der Ökologie-Professor Paul Leadley hatte sich im „Ö1“-Morgenjournal am Freitag frustriert über die zeitintensiven Wortklaubereien bei der Konferenz frustriert gezeigt, die letztlich keinen Beitrag zu grundlegenden Änderungen leisteten.
Greenpeace: „Frustrierend“
Aus Sicht der österreichischen Greenpeace-Artenschutz-Expertin Ursula Bittner haben die Minister versagt, mutige Beschlüsse seien ausgeblieben. Die Verhandlungen seien zäh gewesen, erzählt sie ZackZack nach einer langen Verhandlungsnacht am Telefon, kurz darauf sollte sie sich ins Bett legen – in Montreal sechs Uhr morgens Ortzeit.
In einer Greenpeace-Aussendung von Montag wird sie zitiert mit: „Das Ergebnis ist frustrierend, von einem historischen Paris-Moment kann nicht die Rede sein. Dabei geht es längst nicht mehr nur um bunte Schmetterlinge und schöne Gärten, sondern um unsere Lebensgrundlage.”
Warnung vor Scheinlösungen
Zwar haben sich die Staaten theoretisch darauf geeinigt, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- sowie Meeresflächen unter Schutz zu stellen. Ambitioniert ist das Ziel für Greenpeace nicht. Man freut sich, dass es zumindest nicht verwässert wurde. Etwa ist ausdrücklich festgelegt worden, nämlich, dass es pro Flächenart 30 Prozent sind, nicht in Summe.
Greenpeace vermisst allerdings konkrete Vorgaben, etwa, wie Länder schädliche Eingriffe von Menschen verhindern sollen. Außerdem sind Formulierungen wie „hoher“, „voller“ und „strikter“ Schutz gestrichen worden, die die Umweltschutzorganisation gerne drinnen gehabt hätte. Damit sei das Ziel “relativ ausgehöhlt”, so Artenschutz-Expertin Bittner gegenüber ZackZack.
“Ablasshandel”
Der Ökologie-Professor Paul Leadley hatte schon im „Ö1“-Morgenjournal am Freitag bemerkt, dass der Schutz von 30 Prozent der Fläche wenig bringe, wenn der Schutz der restlichen 70 Prozent außer Acht gelassen würde. Außerdem ist die Streitfrage der Finanzierung letztlich mit einem Kompromiss geklärt worden, der auch beinhaltet, dass Ausgleichszahlungen geleistet werden können. Greenpeace spricht in einer Aussendung von einem „modernen Ablasshandel – nur mit grünem Anstrich“ und warnt vor Scheinlösungen und Greenwashing.
Rechte und Territorien Indigener anerkannt
Positiv wertet Greenpeace grundsätzlich, dass die Rechte und Territorien der Indigenen anerkannt worden seien. Allerdings fehlen auch in diesem Zusammenhang Lücken: Es fehle an Gebieten, die ausdrücklich stark geschützt werden, schreibt Greenpeace in einer Aussendung von Montag. Außerdem sei nicht explizit erwähnt worden, dass die lokale Bevölkerungen frei und informiert zustimmen müssen, bevor es zur Errichtung von Schutzgebieten kommt.
Bisher sei es auch vorgekommen, dass Schutzzonen errichtet und die lokalen Bewohner aus ihnen vertrieben wurden, erzählt Bittner gegenüber ZackZack. “Naturschutz ohne Menschenrechte geht nicht”, so die Expertin.
Fahrplan für Umsetzung
Zumindest was die Umsetzung der Zielvereinbarung angeht, hat man dazugelernt. Bei der letzten COP15 in Japan 2010 waren die sogenannten Aichi-Ziele vereinbart worden. Sie sollten bis 2020 erreicht werden – wäre nicht die Pandemie gewesen, hätte damals bereits die nächste Konferenz stattgefunden. Allerdings sind die Ziele weltweit verfehlt worden, wie ein UN-Bericht 2020 zeigte. Damals hätten konkrete Umsetzungsmechanismen und Mess-Indikatoren gefehlt – dieses Mal habe man welche vereinbart, sagt Ursula Bittner.
(pma)
Titelbild: ODD ANDERSEN / AFP / picturedesk.com / Aktivisten protestieren im September 2019 als Bienen verkleidet vor dem deutschen Kanzleramt in Berlin.