Samstag, Juli 27, 2024

Kurz‘ seltsame Neujahrsansprache

So belanglos die neue Videoansprache von Kurz wirkt: Österreichs Ex-Kanzler scheint mit seiner Politzeit nicht abgeschlossen zu haben. Der Fall Netanjahu zeigt, wie ernst man angeschlagene Populisten nehmen muss.

Benjamin Weiser

02. Jänner 2023 | Global sei das Jahr 2022 „definitiv nicht einfach“ gewesen, sagt Sebastian Kurz in einer Art Neujahrsansprache auf Instagram. In rund einer Minute bekommt der Zuseher reichlich Belangloses geliefert. Der Krieg Russlands in der Ukraine scheint Kurz ohnehin nicht sonderlich zu interessieren, denn anstatt auf dieses „global nicht einfache Jahr“ genauer einzugehen, erzählt uns der gescheiterte Ex-Kanzler vom ersten Jahr als Vater seines Sohnes Konstantin.

Geltungsdrang von Dubai bis zum Waldviertel

Es sei auch sein erstes Jahr als „Unternehmer“ gewesen, erstmals seit „zehn Jahren Bundesregierung“ sei er ohne politische Funktion unterwegs. Aus gutem Grund betont Kurz seine gesamte Regierungszeit, sonst würde noch jemandem auffallen, dass er nicht einmal vier Jahre Bundeskanzler war – trotz eines mutmaßlich gekauften Wahlsieges.

Man soll das Gefühl bekommen, da fehlt ein politisches Großkaliber. Ein Globetrotter, der seine Leute nicht vergisst. Einer, der viel reist, aber zu Weihnachten und Silvester glücklich ist, wieder in Österreich zu sein. Einer von uns!

Vorbild Bibi

So durchschaubar diese Billigproduktion auch ist, so ernst muss man sie nehmen. Denn Kurz ist aus demselben Holz wie Israels Wieder-Premier Benjamin Netanjahu geschnitzt. Wie das „Handelsblatt“ richtigerweise festhält, ist mit Netanjahu einer der mutmaßlich korruptesten Politiker der israelischen Geschichte ins höchste Regierungsamt zurückgekehrt.

Die Gerichtsverfahren rund um – Trommelwirbel – freundlich gesinnte Berichterstattung und Oligarchen-Geschenke laufen noch, doch Kurz-Freund Bibi ist wieder da. Und macht einen verurteilten Steuerbetrüger erst zum Innen- und in zwei Jahren zum Finanzminister. Zuvor wurde im Eilverfahren ein entsprechendes Gesetz geändert, sonst hätte der Herr Minister gar nicht ins Amt gehoben werden dürfen. Sei’s drum, was nicht passt im Rechtsstaat, wird passend gemacht.

Das kennt man auch hierzulande. Wie gerne hätte die Kurz-Truppe nach dem Platzen der Ibiza-Affäre die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ausgeschaltet. Peter Pilz beschreibt in seinem Buch, wie knapp es damals war. Das nächste Mal wird es nicht mehr knapp. Zumal die Beschädigung der Justiz vonseiten der ÖVP munter weitergeht, Partei-General Christian Stocker möchte Justiz und Medien gerne „auf die Finger schauen“. Doch nach den Kurz-Festspielen herrscht Katerstimmung in der ÖVP, es fehlt der Heilsbringer. Und ein genehmes Justizministerium, das den Ermittlern „auf die Finger schaut“.

Die globale Rechte kommt zurück

Wer also tatsächlich glaubt, Kurz könne nicht zurückkehren, sollte den Blick nach Jerusalem richten. Oder nach Budapest zu Viktor Orban, der erst nach seinem zweiten Anlauf so richtig mit dem Abbau des Rechtsstaates begann. Oder in die USA zu Donald Trump, der mit allen Mitteln (auch mit denen von Kurz-Chef Peter Thiel) versuchen wird, wieder ins Weiße Haus einzuziehen. Koste es, was es wolle. Am Geld mangelt es der globalen Rechten sicher nicht. Zeitweise aber am politischen Gegner. In Österreich hat die Sozialdemokratie den 1. Umfrageplatz an die FPÖ verloren, die ÖVP dümpelt auf Rang 3. Wir kennen dieses Szenario.

Titelbild: Christopher Glanzl

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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