Samstag, April 27, 2024

Zwei Drittel der Spitalsärzte denken ans Aufhören

Eine Umfrage unter Spitalsärzten im Auftrag der Ärztekammer zeigt: Der Großteil von ihnen sieht die Zukunft in der Branche düster.

Wien, 10. Jänner 2023 | Am Dienstagvormittag präsentierten Stefan Ferenci, Obmann der Kurie angestellter Ärzte der Ärztekammer Wien, und Meinungsforscher Peter Hajek weitere Ergebnisse aus ihrer großen Spitalsumfrage. Demnach sind Spitalsärzte durch ihren Job stark belastet und erwarten nicht, dass sich das in den kommenden Jahren verbessert. 67 Prozent von ihnen denken immer wieder, häufig oder sogar andauernd daran, dem Spital den Rücken zuzukehren. „Es droht eine gewaltige Personalflucht“, so Ferenci. „Das Wiener Spitalsystem ist krank“, sagte der Kurien-Obmann.

Von Arbeitsbedingungen belastet

Die Umfrage hat ergeben, dass 58 Prozent der Spitalsärzte häufig oder andauernd körperlich erschöpft sind, 43 Prozent häufig oder andauernd emotional strapaziert. Jeweils ein Drittel empfindet manchmal körperliche oder emotionale Erschöpfung. 54 Prozent glauben, den Zustand nicht mehr aushalten zu können. 25 Prozent haben das Gefühl, an Burnout zu leiden.

„Gerade im WiGev herrscht noch die Mentalität aus den Siebzigern, Achtzigern: ‚Sei froh, dass du einen Job hast und wenn du nicht zufrieden bist, geh!‘“, kommentierte Ferenci die Situation. WiGev steht für Wiener Gesundheitsverbund. Den meisten gehe es nicht ums Geld, sondern um einen respektvollen, wertschätzenden Umgang und ein angenehmes Arbeitsumfeld. 91 Prozent der Befragten gingen nicht mehr davon aus, dass diese Belastungen abnehmen. 55 Prozent erwarteten sogar eine Verschlechterung.

Hajek hatte die Zahlen bei der Präsentation in Relation zu einer ähnlich gelagerten Studie aus dem Mai 2021 gesetzt. Damals hatte die Ärztekammer Wien das Trendforschungsinstitut Pitters Trendexpert beauftragt, die Arbeitsüberlastung der Spitalsärzte zu erheben. Schon damals ergab die Umfrage eine massive Überlastung und bei der Hälfte der Befragten Überlegungen über einen Jobwechsel. Gegenüber jenen Ergebnissen zeigen die aktuellen insgesamt eine weitere Verschlechterung der Arbeitssituation der Spitalsärzte.

Über zwei Drittel wollen weg

Als Konsequenz daraus denken über zwei Drittel der Spitalsärzte daran, den Spitalsbetrieb zu verlassen. In der Gruppe der 30- bis 50-Jährigen spielen sogar 80 Prozent manchmal, häufig oder andauernd mit dem Gedanken. Ein großer Teil von ihnen kann sich vorstellen, in den niedergelassenen Bereich zu wechseln. Allerdings: 48 Prozent denken daran, eine Wahlarztpraxis aufzumachen, nur 22 Prozent an eine Kassenordination.

61 Prozent können sich sogar vorstellen, außerhalb des Spitals im medizinischen Bereich eine Anstellung anzunehmen, eine Tätigkeit außerhalb des medizinischen Bereichs zu beginnen oder erst einmal eine Auszeit, Bildungskarenz oder ein Sabbatical einzubauen. Es sei fraglich, ob die Menschen aus der Auszeit wieder ins Spital zurückkehren, mahnte Meinungsforscher Hajek.

Hajek: Stimmung mittlerweile wahrscheinlich noch schlechter

Die Ergebnisse der Umfrage hätten ihn sprachlos gemacht, sagte Ferenci: „Ich wusste, dass die Belastung groß ist, aber in diesem Ausmaß habe ich das auch nicht erwartet.“ Im Spitalswesen fände sich derzeit eine hochtoxische Mischung, die dazu führen werden, dass Personal den Beruf verlässt, „nicht nur im Spitalsbereich“.

Die Umfrage unter 1.894 angestellten Ärzten in Wien ist zwischen 21. September und 4. Oktober durchgeführt worden. Die Schwankungsbreite liegt bei 2,1 Prozent. Meinungsforscher Peter Hajek sagte, es würde ihn nicht wundern, wenn dieselbe Umfrage mittlerweile eine noch schlechtere Stimmung zeigen würde. Schließlich sei die Umfrage „nach den Ferien, in einer nicht so prekären Situation“ wie mittlerweile durchgeführt worden.

Ferenci: “Placebo-Politik reicht nicht”

Die Ärztekammer Wien fordert, alle offenen Dienstposten zu besetzen. Ärztekammer-Wien-Vizepräsident Ferenci sicher: „Ich glaube, dass das Personal über weite Strecken auch in Österreich vorhanden ist.“ In seinem eigenen Fachbereich etwa, der Kinder- und Jugendheilkunde, sei das ausgebildete Fachpersonal stärker gewachsen als die Bevölkerung Wiens. Man müsse den Menschen im System aber eine bessere Umgebung bieten und das Management verbessern.

Dass der WiGev stets beteuere, die Versorgungssicherheit im Notfall sei gewährleistet, wollte Ferenci nicht so stehen lassen. „Es gibt viele Dinge, die kein Notfall sind, die aber eine massive Auswirkung auf die Lebensqualität der Betroffenen haben“, so der Ärztekammer-Vize. Dass jemand mit chronischen Schmerzen, einem Nierenstein oder anderen Beschwerden wochen- und monatelang auf eine Operation warte, sei „nicht der Anspruch, den ich als Bürger Wiens an das öffentliche Gesundheitssystem habe“. Die Menschen seien zurecht wütend und verzweifelt, nachdem sie jahrelang ins Gesundheitsystem eingezahlt hätten.

Vier-Augen-Gespräch mit Bürgermeister Ludwig

Ärztekammer-Präsident Johannes Steinhart wäre gerne selbst anwesend gewesen, sagte Ferenci zu Beginn der Pressekonferenz, aber kurzfristig für zwhn Uhr zu einem Vier-Augen-Gespräch mit Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) geladen worden. Es sei endlich Problembewusstsein in der Stadtpolitik eingekehrt, endlich gebe es Gespräche auf Augenhöhe, freute sich Ferenci.

Von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) selbst habe man schon länger keine Einladung für ein Gespräch bekommen, auch wenn dieser immer wieder Medien gegenüber sage, er wolle mit der Ärztekammer reden.

(pma)

Titelbild: ZackZack/ Christopher Glanzl

Pia Miller-Aichholz
Pia Miller-Aichholz
Hat sich daran gewöhnt, unangenehme Fragen zu stellen, und bemüht sich, es zumindest höflich zu tun. Diskutiert gerne – off- und online. Optimistische Realistin, Feministin und Fan der Redaktions-Naschlade. @PiaMillerAich
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8 Kommentare

  1. Hacker und Ludwig müssen weg. Schon alleine wegen dem Wiener Gesundheitswesen, das zur grossen Gefahr für die Bevölkerung geworden ist.
    Verständlich, dass die Ärzte wie auch die Pflegerinnen da nur noch flüchten.
    Gute österreichische Ärzte findet man am meisten in der Schweiz. Und die gehen nicht zurück. Weit bessere Arbeitsbedingungen, besseres Gehalt oder Einkommen, keine Corona-Hysterie wie in Wien.
    Schweizer Spitäler und Praxen heissen jeden engagierten österreichischen Arzt herzlich willkommen.
    Die Schwachen bleiben in Wien. Selber schuld.

  2. Ob der Wiener Bgm der richtige ansprechpartner ist bezweifle ich….das Problem geht von der Regierung aus und wenns Nach denen geht, und so ist es geplant das die aregierung ihre Handvüber alles hält, das Sozialsystem soll komplett ausgetrocknet werden und die Bundesländer sitzen auf ihre Probleme und sind dann die Sündenböcke.

  3. Dass die Ärztekammer die Daten für die Pflege nicht miterhebt ist wirklich wieder typisch!

    In der Pflege denken sie nicht ans aufhören, sie hören auf!

  4. Die Situation in den Wiener Spitälern ist schlimm, wie ich auch aus dem familiären Umfeld (fast) jeden Tag erfahre.
    ABER
    überall dort, wo der äußerst dubiose türkis-affine Hajek seine korrupten Finger drin hat, sind seine Aussagen mit äußerster Vorsicht zu bewerten.

  5. Europa stürzt ab:
    Verbraucherschutz
    :
    EU-Gesetz verknappt Herzklappen – und soll nun geändert werden
    6. Januar 2023, 16:39 Uhr Lesezeit: 2 min (Süddeutsche)

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