Samstag, Juli 27, 2024

ÖVP will höhere Strafen nach Causa Teichtmeister – Expertinnen: »Sinnlos«

Das ist eine Unterüberschrift

Nach dem Fall Teichtmeister will die Regierung höhere Strafen rund um die Darstellung von Kindesmissbrauch. Bringt nichts, sagen das Netzwerk Kinderrechte und eine Rechtsexpertin.

Stefanie Marek

Wien, 19. Jänner 2023 | Der Schauspieler Florian Teichtmeister ist angeklagt, weil er zehntausende Dateien besessen haben soll, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen – Gebrauchsbegriff „Kinderpornografie“. In Österreich stehen darauf bis zu zwei Jahre Haft unter Umständen auch eine Geldstrafe.

Der ÖVP ist das zu wenig. Familienministerin Susanne Raab findet die Strafen “unangemessen niedrig”, für Kanzler Karl Nehammer sind sie „lächerlich niedrig”. Man habe den Grünen bereits konkrete Vorschläge zur Strafverschärfung übermittelt und Verhandlungen über begleitende Maßnahmen aufgenommen.

„Wenn man Kinderschutz ernst nimmt, kann man so eine Forderung gar nicht stellen“

Auch Grünen-Justizministerin Alma Zadic kann sich höhere Strafen vorstellen, diese seien aber „nur ein Baustein“. Es brauche vielmehr „vorbeugende österreichweite Kinderschutzkonzepte“. Opferschutz, Prävention und Aufklärung fordert auch die SPÖ – höhere Strafen allein würden nichts lösen.

Währenddessen sind sich die Männerberatung und das Netzwerk Kinderrechte einig: Höhere Strafen bringen überhaupt nichts. Das Schlüsselwort sei Prävention. „Wenn man Kinderschutz ernst nimmt, kann man so eine Forderung gar nicht stellen“, sagte etwa Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez vom Netzwerk Kinderrechte im ORF-Format „Runder Tisch“ am Mittwoch zu der Forderung nach höheren Strafen. Dieses Thema sei ein Problem der Gesellschaft, nicht nur das einzelner Täter und Opfer.

Sie kritisierte außerdem Familienministerin Susanne Raab scharf: Im letzten Jahr seien so viele Missbrauchsfälle aufgekommen – in Kindergärten, an einer Musikschule – und da habe sich niemand so empört wie jetzt, obwohl das Problem seit Jahren bestehe. Erst nachdem es um eine prominente Person ging, habe sich die Ministerin gemeldet und das auch erst Tage später.

Strafbarkeit entscheidend, nicht Strafhöhe

Dass Strafen nichts bringen, sieht auch die Strafrechtlerin Katharina Beclin so: „Dass es strafbar ist und angeklagt wird ist das Entscheidende, nicht die Höhe der Strafen“, sagte sie gegenüber ZackZack. Es gebe keine Studie, die zeige, dass höhere Strafen mehr abschrecken, sagt Beclin, die als Assistenzprofessorin für Kriminologie an der Universität Wien tätig ist.

„Selbst die symbolische Wirkung erschöpft sich an dem Tag, an dem höhere Strafen in Kraft treten. Dann kommen nämlich sofort die nächsten, die noch höhere Strafen fordern.“ Wenn man das Ziel ohne Strafhaft besser erreichen kann als mit, dann sollte man drauf verzichten, so Beclin.

„Nehme an, Herr Nehammer hat den Paragraph gar nicht gelesen“

Kanzler Nehammer sprach im Zuge seiner Forderung auch von einer „Schieflage im Strafrecht“, weil Vermögensdelikte härter bestraft würden als solche gegen Leib und Leben. „Nein, das kann man so nicht sagen“, widerspricht Beclin. „Ich nehme an, Herr Nehammer hat den Paragraph gar nicht gelesen. Der redet halt, weil er reden muss, um Stimmen zu bekommen.“

Denn Paragraph 207a im Strafgesetz sei eigentlich sehr durchdacht und differenziert. Es gibt darin verschiedene Abstufungen. Ein Strafmaß von bis zu zehn Jahren gibt es darin etwa, wenn die Herstellung oder Verbreitung von diesem Material einen besonders schweren Nachteil für die minderjährige Person zu Folge hat. Täter, die das Material herstellen oder Kinder auf andere Weise missbrauchen, würden ohnedies höher bestraft, so die Strafrechtlerin.

Zwei Jahre Gefängnis „nicht nichts“

Täter länger einzusperren, erschwere es bei den derzeitigen Haftbedingungen außerdem, dass sich Täter ändern und resozialisieren. Therapie sei hier das Entscheidende, um zu verhindern, dass erneut Taten begangen werden.

„Zwei Jahre Strafdrohung sind nicht nichts, das kann nur jemand sagen, der noch nie in Haft war“, meint Beclin. Die gesellschaftliche Vernichtung, die damit einhergehe, wie es jetzt bei Teichtmeister der Fall ist, sei ohnehin schon eine enorme Strafe.

Die Strafe zu erhöhen, würde auch dazu führen, dass Angehörige oder Personen aus dem nahen Umfeld gehemmter wären, Anzeige zu erstatten. Denn Kindesmissbrauch auch sexueller Art finde meistens im familiären Umfeld statt. Das sei auch bei Gewalt gegen Frauen oft der Fall, so Beclin. Wichtiger sei hier der Schutz der Opfer.

Bewusstsein schaffen entscheidend

Schaffelhofer-Garcia Marquez vom Netzwerk Kinderrechte sagt, dass sich der Umgang mit Kindern in Österreich generell ändern müsse. Kinder bräuchten meistens mehrere Anläufe bis sie überhaupt ernst genommen werden, wenn sie ihrem Umfeld von Missbrauch berichten. Sie hält umfassende Bewusstseinskampagnen und Schulungen für notwendig – bei Kindern und bei allen, die mit Kindern arbeiten, aber auch bei Angehörigen, Polizisten und Richtern.

Erwachsene müssten Kinder ernst nehmen, wenn sie von unangenehmen Erfahrungen und Missbrauch erzählen und sollten ihnen glauben schenken. Wenn man dann nicht wisse, was man tun soll, solle man sich an Kinderschutzzentren und Experten wenden. Dabei sei es wichtig auch ehrlich zum Kind zu sein und zum Beispiel zu sagen, man könne nicht versprechen, dass man es niemanden weitererzählen werde, da man eventuell Hilfe holen müsse. Bedenken sollte man auch, dass Kinder oft in einen Loyalitätskonflikt kommen, da 80 Prozent aller Gewalttaten an Kindern in der Familie passieren.

Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl

Autor

  • Stefanie Marek

    Redakteurin für Chronik und Leben. Kulturaffin und geschichtenverliebt. Spricht für ZackZack mit spannenden Menschen und berichtet am liebsten aus Gerichtssälen.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

30 Kommentare

30 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Die Ergebnisse der Pilnacek-Kommission

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!