Samstag, Juli 27, 2024

Nach Vergewaltigungsvorwurf gegen ÖVPler: Prozess gegen zwei Männer

Das ist eine Unterüberschrift

Zwei junge Männer aus der JVP zeigten einen hochrangigen ÖVP-Politiker wegen Vergewaltigung und versuchten Missbrauchshandlungen an. Jetzt sitzen jedoch sie vor Gericht – wegen Verleumdung.

Wien, 25. Jänner 2023 | Die Staatsanwältin unterbricht den Zeugen schon zum zweiten Mal, sie klingt mittlerweile ungeduldig: „Sie zitieren hier ständig, was der Angeklagte gesagt hat. Die Frage des Richters ist aber die nach Ihrer Wahrnehmung! Bitte sagen Sie die!“

Der Zeuge ist ein Wiener Kommunalpolitiker der ÖVP. S., ein Mitglied der Jungen Volkspartei (JVP), sagt, der deutlich ältere Politiker hätte ihn 2017 vergewaltigt. Dieser habe ihm bei einer Party K.O.-Tropfen untergejubelt, er sei dann in dessen Bett aufgewacht, während sich dieser an ihm verging. K., ein zweiter junger Mann aus der JVP sagt, der Politiker hätte ihn zu sexuellen Handlungen aufgefordert, woraufhin der junge Mann geflüchtet sei.

Vorgebliche Opfer als Angeklagte

Aber nicht der Politiker sitzt an diesem Mittwoch auf der Anklagebank, sondern die beiden jungen Männer. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen den Mann eingestellt und geht davon aus, die Jüngeren hätten bewusst falsche Anschuldigungen erhoben. Das weisen beide entschieden zurück.

„Es gibt kein Motiv, warum sollte jemand so etwas einfach erfinden? Mein Mandant will weder Schmerzengeld noch sonst etwas“, sagt Sascha Flatz, der Anwalt von S. gegenüber ZackZack. „Er wusste ja auch, dass das so enden kann.“ Er meint: dass er selbst auf der Anklagebank landen könnte.

“Alles einvernehmlich”

Helmut Graupner, der Anwalt des Politikers, sagt über seinen Mandanten: „Er ist hier das Opfer. Solche Vorwürfe sind oft schwer zu beweisen, aber auch kaum zu widerlegen. In diesem Fall haben wir Glück, dass Chats und Fotos zeigen, dass es eine jahrelange enge Freundschaft gab.“

Das schildert der Politiker während des Prozesses ausführlich. Mit abgespreizten Fingern schieben seine Hände die Argumente hin und her: Er und S. hätten zuerst eine Affäre gehabt, dann sei dieses Verhältnis in eine enge Freundschaft übergegangen. S. habe ab 2018 für den Politiker in dessen Firma gearbeitet, tagsüber hätten sie viel Zeit miteinander verbracht, S. habe auch einen Schlüssel für seine Wohnung gehabt, seine Kleidung getragen und sich dessen Auto ausgeborgt.

Sie seien im Streit wegen eines Vorfalls in der Arbeit auseinander gegangen. S. wolle ihm nun mit den Anschuldigungen Schaden zufügen, weil er nun nicht mehr vom Lebensstil und Netzwerk des Politikers profitieren könne. Und K. wolle seinem Freund S. dabei helfen.

Der Vorfall, den K. schildert, sei so nicht passiert. Es sei ein nettes Abendessen in einem Hotel gewesen. Später auf dem Zimmer habe K. gesagt, er wolle keinen Geschlechtsverkehr, das habe er dann auch akzeptiert. Der Politiker habe mit K. bereits 2016 einvernehmlich geschlafen. Diesen letzten Umstand bestätigt K., beide erzählen aber eine andere Version, wie es dazu kam.

Geht um Glaubwürdigkeit

S. und K. schauen den Politiker während dessen Befragung aufmerksam an und schütteln nicht nur einmal den Kopf. Im Grunde ist es eine Sache der Beweiswürdigung. Das Gericht muss entscheiden, ob es den beiden jungen Männern glaubt, oder dem Politiker. Es steht Aussage gegen Aussage.

Der Politiker und sein Anwalt sehen es als bewiesen an, dass es eine enge Freundschaft zwischen S. und dem Politiker sowie eine Freundschaft zwischen K. und dem Politiker gab. Für sie ist es unrealistisch, dass jemand nach einer Vergewaltigung ein so enges Verhältnis hätte.

Andere Zeugen wie Mitarbeiter in der Firma des Politikers schildern, dass sie ein Vertrauensverhältnis zwischen S. und dem Politiker wahrgenommen haben. Es habe Gerüchte gegeben, dass die beiden ein Verhältnis hatten.

“Schocksituation”

S. sagt, er sei mit dem Politiker zu der Party gegangen, bei der dieser ihn betäubt haben soll, weil er ein gutes Netzwerk hatte. S. habe jahrelang verdrängt, was passiert sei, im Gespräch mit guten Freunden habe er es erst realisiert. Es sei ihm schlecht gegangen, er habe Suizidgedanken gehabt und eine Therapie gemacht. „Für mich war das eine Schocksituation“, sagt jener Freund vor Gericht, dem S. von dem Abend erzählt hatte, an dem die Sache mit den K.O-Tropfen passiert sein soll. „Es gibt wie bei Heterosexuellen auch bei den homosexuellen Männer solche, die glauben, Sie können hingreifen, wo sie nicht hingreifen sollen. Aber darauf war ich nicht gefasst.”

Freispruch für einen der beiden

Am Ende spricht der Richter K. frei. Er kann nicht beurteilen, was wirklich bei dem von ihm geschilderten Vorfall passiert ist und wie K. sich daran erinnert. Verleumdung braucht aber einen konkreten Vorsatz. Deshalb spricht er K. frei. K. umarmt einen Freund, der im Saal zugesehen hat. S. klopft ihm auf die Schulter.

“Du schaffst das auch noch”, sagt K. zu S. Denn zu einem zweiten Urteil kommt es an diesem Prozesstag nicht. Der Sachverständige stellt in den Raum, dass man erst in einer genaueren Befragung von S. herausfinden müsse, ob ein dermaßen schweres Trauma vorliege, dass zu einer jahrelangen Verdrängung geführt haben könnte. S. erklärt sich bereit, sich von einem psychiatrischen Sachverständigen begutachten zu lassen.

(sm)

Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl

Autor

  • Stefanie Marek

    Redakteurin für Chronik und Leben. Kulturaffin und geschichtenverliebt. Spricht für ZackZack mit spannenden Menschen und berichtet am liebsten aus Gerichtssälen.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

21 Kommentare

21 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Die Ergebnisse der Pilnacek-Kommission

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!