Samstag, Juli 27, 2024

Monster der Vergangenheit – Skylla & Charybdis

Vertreter einer Partei, die die Menschenrechte in Frage stellt, die geschaffen wurden, um einen neuen Holocaust zu verhindern, erdreisten sich beim Holocaustgedenken mitzumachen.

Julya Rabinowich

Wien, 28. Jänner 2023 | Jedes Jahr bricht am 27. Jänner eine Welle der Solidarität los, der hashtag #niemalsvergessen wird zum Trend, man hält mit ernst-traurigem Gesichtsausdruck Plakate in die Höhe, das Fotografieren an einschlägigen Orten  verzeichnet eine heftigem Anstieg. Es werden Gedenkveranstaltungen abgehalten, es werden Reden vorgetragen, Blumen abgelegt, es wird versprochen, dass niemals wieder. Es regnet schwarzweiße, herzzerreißende Bilder und Videos.

Die letzten Zeitzeugen sind – wie jedes Jahr – erneut bereit, ihr Wissen weiterzugeben und zu warnen. Durch schmerzliche Erinnerungen zu gehen. Sie sind sehr gefragte Fotomotive während dieser Tage. Sehr gefragt sind auch Selfies mit ihnen.

Braune Westen weiß waschen

Auch offen rechtsrechte Parteien werden an solchen Tagen nicht müde, sich zu beteiligen und zu beteuern. Es ist ihre Art, die braune Weste wieder weißzuwaschen. Ein aus dem Internet geladenes Foto, ein hochgehaltenes Plakat, ein Selfie: das kostet nicht viel, wenn auch es in dieser Reihenfolge schwieriger zu gestalten ist.

Vertreter einer Partei, deren Vorsitzender die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte in Frage stellt, die in Folge des Holocaust erst geschaffen wurden, um einen neuen Holocaust zu verhindern, erdreisten sich dazu, mitzumachen beim Holocaustgedenken. Das ist eine nahtlose Fortsetzung des Bestrebens, wie bei der türkisblauen Koalition unbedingt bei Gedenkfeiern in der ersten Reihe zu stehen – auch wenn Überlebende und ihre Angehörigen sich weigerten, in einem solchen Fall an der Veranstaltung teilzunehmen.

Ein weiterer unschöner Aspekt: In Deutschland fanden Veranstalter offenbar kein passenderes Datum, als ausgerechnet am 27. Jänner gegen Israel zu demonstrieren. Viele waren es nicht, die dabei mitmachen wollten.  Aber dennoch: ein gewisses Zeichen. Man könnte schwören, dass ungefähr 363 Tage im Jahr besser geeignet dafür gewesen wären, um nicht als Holocaustrelativierer dazustehen, aber was weiß man.

Übergriffe und Schändungen

Apropos Dastehen: Bei der Rede des Bundespräsidenten blieben die blauen Abgeordneten verdächtig still, als es um autoritäre Tendenzen ging. Und ist die Brandung der konkreten Tage abgeflaut, wird sich kaum jemand noch darum reißen, zu diesem Thema lautstark zu werden. Antisemitische Übergriffe steigen. Gedenkorte, Friedhöfe werden geschändet. Die Idee hinter dem „Nie wieder“ wird angezweifelt – nicht nur von rechtsextremen Parteien.

Man will verwässern, verändern, man übt sich erneut im Entmenschlichen, man zündelt ein wenig und gießt Öl dazu. Manchmal aus politischem Kalkül, manchmal aus Dummheit, manchmal aus tiefsitzender Überzeugung. Die Monster der Vergangenheit haben Zeitmaschinen. Auch das sollte man niemals vergessen.

Titelbild: ZackZack/Miriam Mone

Autor

  • Julya Rabinowich

    Julya Rabinowich ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen. Bei uns blickt sie in die Abgründe der Republik.

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