Samstag, Juli 27, 2024

Aufwachen: Jammern auf niedrigem Niveau

Die Umweltpolitik der Regierung ist reine Scheinpolitik.

Wien | Auf der Buch-Wien gab es dieses Jahr einen Stand der Politischen Akademie der Volkspartei. Vier junge Menschen standen dort, die – in ein Gespräch verwickelt – alle vier nicht wussten, wer Leopold Figl und wer Julius Raab war. Das wirft ein Licht darauf, welchen akademischen Stellenwert diese Akademie hat.

Nicht besser wird der Eindruck, den der ÖVP-Nachwuchs macht, durch das Interview der sogenannten Jugendstaatssekretärin Plakolm im “Standard”. Da haben wir eine junge Politikerin, die ihr halbes Leben in Parteigremien verbracht hat, und deren Rhetorik zeigt, dass sie schon bereit für den Vorsitz im Seniorenbund ist. Ganz auf Parteilinie, verurteilt sie einmal mehr Demonstrationen für den Klimaschutz. Die Linie von Sebastian Kurz, man dürfe für den Klimaschutz nicht auf sein Schnitzel verzichten müssen, führt sie vegetarisch weiter: Frau Plakolm geht es um den Schutz des Avocadoverzehrs.

Avocadoschutz statt Umweltschutz

Wenn wir die “Avocado vom Frühstückstisch verbannen”, dann “verbessern wir das Klima auch nicht”, so die Staatssekretärin. Eine gewagte Aussage angesichts der Tatsache, dass die Avocados, die in Österreich verzehrt werden, aus Peru, Chile, Mexiko und Südafrika kommen und in Kühlcontainern, die ebenfalls Energie brauchen, transportiert werden müssen.

Die wirkliche Tragödie ist nicht, dass das Geplausche der Frau Staatssekretär hierzulande als Politik durchgeht. Was sie sagt, ist nichts als eine Wiedergabe der Parteilinie. Die Tragödie ist, dass die Partei, von der wir hier sprechen, mit einer anderen Partei koaliert, deren wichtigster Programmpunkt die Ökologie ist: die Grünen. Daher tut diese Regierung das, was sie am besten kann: Sie macht statt Politik Propaganda. PR-Aktionen, die die Agenturen ihrer Parteifreunde und große Medienhäuser reicher machen, ersetzen die Sachpolitik.

Wo ist die Herabsetzung von Tempolimits?

Von Anfang an mangelte es dieser Regierung an klaren vorgegebenen Zielen und ihrer Kommunikation. Und von Anfang an mangelte es den Grünen daran, Forderungen zu stellen, die eine grüne Partei stellen muss. So zum Beispiel die Reduktion von Tempolimits im Straßenverkehr. Geschwindigkeit verursacht ja nicht nur Abgase, sondern auch Lärm. Und höhere Geschwindigkeiten führen auch zu mehr Verletzten und Toten.

Die FPÖ hat in jeder Koalition mit der ÖVP eine Teststrecke für höhere Tempolimits auf Autobahnen durchgesetzt; einmal 160 km/h, einmal 140 km/h. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Grünen, seit sie in der Regierung sind, einmal eine Herabsetzung von Tempolimits gefordert haben. Ich weiß schon, die Parteistrategen sagen, dass eine Mehrheit dagegen ist. Das kann allerdings für progressive Politik kein Hindernis sein.

Ganz sicher hätte die Regierung Kreisky, als sie Anfang der Siebzigerjahre damit begann, die Ungleichstellung von Frau und Mann mit politischen Maßnahmen zu bekämpfen, für diese Maßnahmen keine Mehrheit in der Bevölkerung gehabt. Das trifft auch auf viele andere ihrer Maßnahmen zu. Kreiskys Sager, wenn man ihn danach fragte, wie er glaube, dass eine Volksabstimmung zu diesem Thema ausginge, ist berühmt geworden: “Ma derf die Leit ned olles frogn.”

Die Politik ist politikverdrossen

So ist es auch in der Ökologie. Eine Politik der Ankündigungen, der PR-Aktionen und Inseratenschaltungen und des ewigen Studien-Erstellens und Befundens ist keine Politik. Seit Jahrzehnten redet man dem Volk ein, es sei politikverdrossen. Ich glaube das nicht. Ich sehe nur, dass die Politik politikverdrossen ist. Da gibt es niemanden mehr, der daran glaubt, bestimmte Maßnahmen müssten beschlossen werden, um bestimmte Ziele zu erreichen. Das ist aber in einem Bereich, für den allgemeine Akzeptanz erst etabliert werden muss, unablässig.

Natürlich, wir alle leben gut, weil wir beständig menschliche Arbeitskraft und die Natur ausbeuten. Dafür muss aber nicht nur das Bewusstsein geschaffen werden. Es muss auch klar gemacht werden, wo ein Handeln gegen diese Ausbeutung unseren Gewohnheiten widerspricht.

Doppelmoral des Konsums

So ist es beim ständigen Lohndumping, das unser soziales Gefüge zerstört und mit dem sich der Bundeskanzler mehr auseinandersetzen sollte als mit seinen Gartenzäunen. Heute, wo jeder beliebig Flugreisen und Kreuzfahrten machen will, wo jeder beim Internetversand bestellt und sich Essen liefern lässt, muss man auch klar machen, worauf die Leistbarkeit dieser Dienstleistungen basiert: auf Lohndumping und Sklaverei.

Nun wollen alle, die so konsumieren, zwar nicht, dass auf ihrem Arbeitsplatz rationalisiert wird oder ausgelagert wird (weil sie dann ihren Job verlieren), oder das Lohnniveau gedrückt wird (weil sie dann ihren Lebensstandard nicht mehr aufrechterhalten können). Wo sie selbst aber konsumieren, dort haben sie nichts gegen Lohndumping und Billigjobs, weil es ihnen dort zu dem Konsum hilft, an den sie sich gewöhnt haben. Eine solche Doppelmoral ist nicht aufrechtzuerhalten.

Ungleiche Verteilung

In der Ökologie ist das ganz genauso. Es ist lächerlich, zu glauben, man könne durch die Schaffung weiterer Konsumgüter wie Elektroautos die Umweltbelastung des Verkehrs reduzieren. Ganz im Gegenteil: Man erhöht sie dadurch.

Die Ökologie muss zuerst beim Hauptverursacher, der Großindustrie, ansetzen und dann erst beim Konsumenten. Und es muss auch endlich die sozial ungleiche Verteilung, z.B. des CO2-Ausstoßes, klar gemacht werden: Je wohlhabender, desto höher der CO2-Ausstoß. Andreas Kemper hat das unlängst im Ö1-Radiokolleg beeindruckend und eloquent dargelegt.

Es geht halt nicht

Die Grünen müssen als Regierungspartei diese Punkte breit kommunizieren. Ökologische Maßnahmen sind notwendigerweise auch an eine Gleichheitsdebatte gekoppelt, und je größer der Unterschied zwischen Arm und Reich wird, desto weniger kann für Umwelt- und Klimaschutz getan werden. Progressive Ökologie ohne progressive Sozialpolitik ist nicht möglich. Und so werden Maßnahmen beschlossen, die unsozial sind oder wirkungslos oder beides. Oder es wird überhaupt nur mehr Propaganda statt Politik gemacht. Es ist reine Scheinpolitik.

Die ÖVP – das wird inzwischen wohl auch den Grünen klar geworden sein – will sich zwar ökologische Maßnahmen an die Fahnen heften, stemmt sich aber gegen jede wirkliche Maßnahme, so wie zuletzt beim Fracking-Verbot. Mit dem ewigen “Geht halt nicht” verraten die Grünen ihr Parteiprogramm und verspielen ihre Glaubwürdigkeit. Das ist Jammern auf niedrigem Niveau.

Titelbild: ZackZack/Miriam Mone

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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