Samstag, Juli 27, 2024

Aufwachen: Wo sind die anderen?

Die Gegner der Zerschlagung der österreichischen Demokratie müssen zueinander finden.

Wien | Wenn man zusieht, wie die Regierung den ORF zerschlägt, Teilzeitangestellte schlechter stellt und den Großteil der Bevölkerung mehr und mehr verarmen lässt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Zerstörungswut in der schwarz-grünen Koalition keine Grenzen mehr kennt. Diese Zerstörungswut ist größer als die aller drei Schwarz-Blau-Regierungen zuvor, die noch ein paar Tabus kannten. Das kommt wahrscheinlich daher, dass die sogenannten Umfragen, denen Politiker heute mehr vertrauen als ihren eigenen Mobilisierungsfähigkeiten, diese Regierung als Minderheit abqualifizieren. Es herrscht Endzeitstimmung. Nehammer und Kogler wird es in zwei Jahren nicht mehr geben.

Erschreckend aber ist vor allem die Stille, die dieser Zerstörungswut gegenübersteht. Ich frage mich jeden Tag: Wo sind die anderen? Hat die Gegnerschaft zu Demokratiefeindlichkeit und Fremdenfeindlichkeit vor zwanzig Jahren noch Hunderttausende auf die Straße gebracht, so gibt es heute keinen sichtbaren Widerstand mehr. Auf den sozialen Plattformen im World Wide Web hat rechtes Gedankengut, wie in der Politik, längst die die Oberhand. Milliardenschwere Kapitalisten finanzieren diese Übermacht. Millionen von Accounts stehen da zum Verkauf und Millionen von Accounts wüten in den Foren und Gruppen und Chats mit rechter, populistischer und rechtsextremer Propaganda.

Negative Propaganda

Die rechte Propaganda bietet keine Perspektiven und keine Ziele und arbeitet kaum mit positiven Statements. Sie argumentiert meist rein negativ und ihre einzigen Themen sind Migration und Corona, mit dem eigentlichen Anliegen, das Vertrauen in die Demokratie auszuhöhlen. Dabei gibt es eine einzige Ausnahme: Die Verherrlichung der Diktatur in Russland und die Rechtfertigung des Kriegs in der Ukraine. Hier kommt es zu einer Überschneidung mit den Interessen vormals bürgerlichen Parteien, die immer als konservativ galten, jedoch nicht Demokratie oder Gesellschaft erhalten wollen, sondern die immer weiter fortschreitende Konzentration des Eigentums. Darin waren sie besonders seit 1979 sehr erfolgreich. Piketty spricht bereits von der Hyperkonzentration des Eigentums und schreibt: »Dass es keine breite Streuung von Eigentum gibt, ist ein zentrales Problem des 21. Jahrhunderts und könnte dazu beitragen, das Vertrauen der unteren und mittleren Schichten in das Wirtschaftssystem auszuhöhlen – in den reichen Ländern genauso wie in den armen Schwellenländern.«

Dass diese Propaganda heute bereits in Medien betrieben wird, die von der Regierung mit hohen Summen subventioniert werden – wie z.B. exxpress.at – zeigt, dass bürgerliche Parteien bereit sind, den in ihren Programmen festgeschriebenen demokratischen Anspruch eher aufzugeben als das Ziel der weiteren Hyperkonzentration des Kapitals. Ein Rechtsruck ist die Folge, der die vormals bürgerlichen Parteien auch das Instrument der Propaganda entdecken ließ – und das nicht zum ersten Mal in der Geschichte. Adolf Hitler schreibt in Mein Kampf: »Ich lernte dabei schon frühzeitig verstehen, dass die richtige Verwendung der Propaganda eine richtige Kunst darstellt, die den bürgerlichen Parteien fast so gut wie unbekannt war und blieb. Nur die christlich-soziale Bewegung, besonders zu Luegers Zeit, brachte es auch auf diesem Instrument zu einer gewissen Virtuosität und verdankte dem auch sehr viele ihrer Erfolge.«

Personalfragen statt Sachfragen

Ich habe keine Zweifel daran, dass die Bekämpfung einer Pandemie durch Impfung und Vorsichtsmaßnahmen wie Testungen und dem Tragen von Schutzmasken (wie es in Japan bei Infektionskrankheiten seit Jahrzehnten Usus ist) die Zustimmung einer großen Mehrheit der Bevölkerung findet. Durchgesetzt hat sich aber die Minderheit, die auch dann noch, wenn es sich um zwei Personen handelt, »Wir sind das Volk« brüllt und sich kurzerhand zur Mehrheit ernennt. Im nächsten Schritt hat die Regierung – aus Angst vor einer Partei, die auf Bundesebene gar nicht existent ist und die wenig politischen Zuspruch hat, wenn man von den Sympathiekundgebungen einer pensionierten Grünen-Chefin in Niederösterreich absieht – der Minderheit klein beigegeben.

Es ist also auch in den Medien zu einer Hyperkonzentration gekommen, einer Hyperkonzentration an Ausstrahlungsmacht und Reichweite. Ich frage mich jeden Tag: Wo sind die anderen? Es gibt sie. Sie scheinen heute nur atomisiert zu sein und nicht verstehen zu können oder zu wollen, dass sie nur eine Chance haben, wenn es ihnen um die Sache geht. Im Zentrum der Politik stehen immer Sachfragen und nicht Personalfragen – und daher ist es selbstverständlich, dass die Propaganda der Rechtsparteien und ihr boulevardisiertes Medienecho genau diesen Umstand leugnen und Politik auf Führungspersonen reduzieren.

Die Frage der Mittel

Nun scheint die Uneinigkeit oppositioneller Kräfte heute im Wesentlichen aus der Frage zu bestehen, ob die Opposition die regierende Rechte mit ihren eigenen Mitteln bekämpfen soll oder nicht. Selbstverständlich zerren die Medien die SPÖ immer wieder in eine Debatte um den Bundesvorsitz, obwohl dieser bei einem Parteitag demokratisch entschieden wurde. Selbstverständlich geht es dabei niemals um Inhalte, sondern immer nur um Personalfragen. Gibt die SPÖ diesem Drängen nach, so kann sie sich leichter im jetzigen System behaupten, aber sie kann das von ihr angestrebte System nicht behaupten.

Symptomatisch, dass selbsternannte Anwärter auf den Parteivorsitz der SPÖ sich über sogenannte Umfragen und Medienberichte, die nur allzu gerne zum Schaden der SPÖ und zum Ablenken von politischen Inhalten publiziert werden, ins Spiel bringen. Symptomatisch, dass der Stimmlose jedem zuflüstert: »Gib mir deine Stimme!« Problematisch allerdings, dass dieser Wechsel nicht nur ein Syntagmenwechsel (also ein Austauschen der Person), sondern auch ein Paradigmenwechsel wäre (also eine Veränderung des demokratischen Selbstverständnisses). Man lese Sinclair Lewis‘ genialen Roman aus dem Jahre 1935 It Can’t Happen Here.

Ein klares Ziel

Zudem fehlt den westlichen Demokratien, aber ganz besonders Österreich, eine Linkspartei, die neben dem Einsatz für Unterprivilegierte durch das Ziel der Konstruktion von Gleichheit unser nach rechts gedriftetes politisches Spektrum zumindest ein wenig stabil hält. Das Problem linker Parteien, selbst dort wo sie in Parlamente oder Regierungen einziehen, ist oft, dass sie eher Akademikerparteien als Arbeiterparteien sind. Piketty nennt sie die »brahmanischen Linken«.

Auch diese Spaltung muss angesichts der Lage in Europa überwunden werden und es ist heute nicht einzusehen, warum sich »brahmanischen Linke«, linke Arbeiter und Bürgerliche und Konservative aus dem Mittelstand nicht in einer Bewegung einfinden sollen, die ein klares, ein positives Ziel hat: Die demokratische Gesellschaft und ihren Zusammenhalt, ihren Lebensraum und ihre Kultur zu erhalten und nicht das ständige Anwachsen des Eigentums der Kapitalisten sicherzustellen. Dazu braucht man Solidarität und nicht Spaltung. Eine solche Bewegung hätte in Österreich eine deutliche Mehrheit. Und sie könnte Welten bewegen.

Titelbild: ZackZack/Miriam Mone

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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