Freitag, April 26, 2024

“ZiB2”: Hitzige Geschichtsstunde mit der Verfassungsministerin

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) war am Dienstagabend in der “ZiB2” bei Armin Wolf zur Neutralitätsdebatte. Es wurde hitzig und emotional.

Wien | 90 berühmte Personen Österreichs, von links bis rechts, fordern eine Debatte über die heimische Neutralität. In einem offenen Brief wandten sie sich an den Bundespräsidenten, die Bundesregierung und die Bevölkerung. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler nahm am Dienstag in der “ZiB2” dazu Stellung.

Wolf gibt Edtstadler Geschichtsunterricht

Edtstadler erteilte einem Ende der Neutralität eine Absage. Die Ministerin begründete, die Neutralität sei identitätsstiftend. Richtung Moderator Armin Wolf erörterte Edtstadler weiter: „Gehen Sie Generationen zurück und sehen Sie, was Generationen vor uns erkämpft haben für uns. Die Neutralität, die Besatzung ist abgezogen. 1955 haben wir das in ein Bundesverfassungsgesetz geschrieben.“ Wolf stellte jedoch richtig, was die Verfassungsministerin behauptete. Denn die Neutralität wurde von Österreich nicht erkämpft, sondern von der sowjetischen Besatzungsmacht als Bedingung für die österreichische Souveränität diktiert. Auch die Behauptung, dass Österreich sich die Freiheit erkämpft habe, wie Edtstadler postulierte, musste Wolf korrigieren. Österreich wurde von den Alliierten nach dem zweiten Weltkrieg befreit. Um ihren geschichtlichen Fauxpas auszubessern, versuchte die Verfassungsministerin mit dem übermäßigen Einsatz von Jahreszahlen (Bundesverfassungsgesetz 1955, Beitritt zur EU 1995, Kriegsbeginn 24. Februar) zu punkten.

Wolf wollte von Edtstadler zudem wissen, warum Österreich an seiner Neutralität festhalte. Länder wie Schweden oder Finnland, die nun aufgrund des russischen Angriffskrieges der NATO beitreten möchten, und seit deutlich längerer Zeit neutral waren, ihre Position überdenken. Edtstadler begründete dies mit der geographischen Lage, Finnland hat eine gemeinsame Grenze mit Russland, da sei es eine andere Situation.

Verfassungsministerin emotional

Mehrmals wurde es beim Thema Neutralität emotional. Wohl nicht förderlich für eine kühle Gesprächsatmosphäre war, dass die Ministerin mehrmals grundlos den ORF-Moderator bat, sie nicht zu unterbrechen. Wolf hatte allerdings gar nicht versucht Edtstadler ins Wort zu fallen. Gegen Ende des Interviews sollte das hitzige Gespräch seinen Höhepunkt erreichen.

Edtstadler wurde emotional: „Wissen Sie was ich Ihnen sage, Herr Wolf, ich würde mir manchmal auch mehr eine offene, objektive Debatte wünschen, so wie das die Unterfertiger dieses Briefes machen. Aber in Österreich ist es, wie man sieht, nicht möglich. Denn es wird sofort zugespitzt und es wird hier eigentlich Zynismus an den Tag gelegt, indem man auf eine Frage reduziert, Neutralität, ja, nein, oder NATO, ja, nein.“

Edtstadler will Debatte, aber gibt Debatte Absage

Wolf blieb der offensichtliche Widerspruch der Verfassungsministerin nicht verborgen, hatte sie und auch der Bundeskanzler Karl Nehammer schließlich der Neutralitätsdebatte eine Absage erteilt, nun wünsche sich Edtstadler doch eine Debatte. Die Ministerin schoss sich bei der Gegenfrage Wolfs auf die FPÖ und den ORF ein und legte ein Beispiel vor. Beim dienstäglichen Doorstep in Brüssel sagte Edtstadler, dass man die „österreichische Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur aufgrund der jüngsten Ereignisse neu denken“ müsse. Die FPÖ habe Edtstadler später vorgeworfen, sie wolle die Neutralität abschaffen und der NATO beitreten. „Und ein Journalist dieses Hauses (Anm. ORF) sagt, ich würde hier im Widerspruch zum Bundeskanzler stehen“, warf Edtstadler vor. „Und jetzt frage ich mich, wie in diesem Setting in dieser Atmosphäre eine objektive Debatte möglich sein soll.“

Titelbild: Screenshot ORF

Benedikt Faast
Benedikt Faast
Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.
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27 Kommentare

  1. Die ÖVP führt wenn dann Scheindiskussionen. Echte Diskussionen sind mit dieser Partei nicht möglich, da sie so stark in ihre wirtschaftlichen Abhängigkeiten verstrickt ist dass es einfach keine Kursänderung geben darf.

    Wenn dann nur wegen Einem: Umfragen. Aber auch dann nur zum Schein. Die Politik die wirklich betrieben wird, ist nie die, die versprochen wird. Es ist eine Scheinpartei, dahinter sind nur beinharte wirtschaftliche industrielle Interessen und viel Geld.

    Mit Edtstadler wird man nie “reden” können, sie liefert vorbereitete NLP Antworten und unterliegt ganz der allesvereinahmenden Message Control.

    Ich bin mir nicht mehr sicher ob man die heutige ÖVP eine Partei nennen kann, es ist wirklich eher ein Mafia-Unternehmen. Was für Kurz umgebaut wurde ist nicht Rückgängig zu machen.

    Diese “Partei” muss einfach aus der Regierung befördert werden. Mehr Leaks, mehr Akten, mehr Anklagen, endlich Verurteilungen. Das ist das einzige was uns von diesem Krebs befreien kann 💰

  2. 90 Personen (von 9.000.000 Einwohnern) fordern jetzt, dass man die Neutralität “überdenken” muss. So viele gar – ich bin beeindruckt!
    1.) Die Neutralität ist immerwährend, dazu haben wir uns verpflichtet, das war die Basis dafür, dass wir 7 Jahrzehnte ind Freiheit leben konnten. Pacta sunt servanda!
    2.) Wenn da jemand dabei ist, der einen Eid auf die Verfassung geschworen hat, begeht derjenige Hochverrat
    3.) 90 Personen kann man schnell einmal kaufen, wenn man dafür eine demokratische Republik destabilisieren kann. Ich sag ja nicht, dass es tatsächlich so ist, aber möglich wär´s
    4.) Man soll den Mumm haben und alle wahlberechtigten Österreicher fragen, ob sie die Neutralität beibehalten wollen. Und dann keine Panikmache betreiben, so quasi, der Putin wird bei uns einmarschieren, das wird er nämlich mit Sicherheit nicht tun!

    • 1) Ein Verfassungsgesetz wird mit qualifizierter Mehrheit beschlossen und kann jederzeit mit qualifizierter Mehrheit aufgehoben werden. Sie können auch hundermal “immerwährend” dazuschreiben, aber das ändert nichts daran.
      2) Die Verfassung verbietet es nicht, eine Verfassungsänderung anzustreben.
      3) Sie werden in Österreich keine Mehrheit für die Abkehr von der Neutralität finden. Aber 90 Leute finden sich jederzeit. Wenn das schon alle Anhaltspunkte für die gekaufte Gegnerschaft waren, lassen wir es besser.
      4) Finde ich auch. Aber man soll auch den Mumm haben, den Leuten nicht dauernd Sand in die Augen zu streuen… von wegen “immerwährend”, “Hochverrat”, “gekaufte Gegner”, “Identität”, “gut damit gefahren”, “Garant von Sicherheit und Freiheit”.

  3. wie sieht die Eisprinzessin die Beistandspflicht als EU-Mitglied? Ist diese mit der Neutralität kompertibel?

    • ja, genau, die kennt si super aus, für die war ja auch die Impfpfliucht verfassungskonform. Dazu hat man ja eine Verfassungsministerin installiert, damit man an der Verfassung herumdeuteln kann ….

  4. > Beim dienstäglichen Doorstep in Brüssel sagte Edtstadler,
    > dass man die „österreichische Sicherheits- und
    > Verteidigungsarchitektur aufgrund der jüngsten
    > Ereignisse neu denken“ müsse.

    Kann das Jemand auch auf Deutsch ausdrücken?
    Oder muss man das so sagen um sich wichtig zu machen?

  5. “„Und jetzt frage ich mich, wie in diesem Setting in dieser Atmosphäre eine objektive Debatte möglich sein soll.“
    Indem man unabhängig von irgendwelchen Journalistenaussagen ein sachliches, ehrliches und faktenbasiertes Gespräch im konkreten Moment führt.
    Aber ist anscheinend schwierig wenn man gedanklich dauerhaft in einer Art “Wir gegen Die”-Debatte festsitzt, weil es weniger um ehrliche Sichtweisen und Einschätzungen als um taktische Positonierungen geht, die man versucht auf Biegen und Brechen irgendwie schönzureden.

  6. Das sie Null Ahnung hat, wusste das Land bereits. Aber das es so schlimm um sie steht, das ist neu. Sie soll sich schämen. Sie ist nichts als ein Quotenmädchen in der Regierung.

    • Es gab ja schon Gerüchte, dass sie geopfert werden soll – schließlich wollte sie die “Ungeimpften ” patzig des Landes verweisen – hunderttausende Leistungsträger waren auch darunter. Wie lang kann denn das noch dauern?

  7. Ich finde eher die inhaltlichen Widersprüche berichtenswert, die bei der ÖVP eher nach systematischer Verlogenheit aussehen;
    erst wird eine Debatte beendet, dann begrüßt Edtstadler eine offene Debatte, dann beendet Edtstadler die Debatte. Das kommt hier und bei Armin Wolf zum Ausdruck, hätte aber wesentlich deutlicher abgeklärt werden müssen.
    Dann berichtet uns Edtstadler, dass man angesichts einer geänderten Sicherheitslage nachdenken müsse. Meine Frage wäre, ob sie die geänderte Sicherheitslage erst heute entdeckt hat oder andernfalls, ob beim Nachdenken schon etwas herausgekommen ist.
    Schließlich eröffnet Edtstadler mit der weltbewegenden Feststellung, dass es in dieser Frage um die “Sicherheit” und um die “Freiheit” gehe. Auf die Neutralität angesprochen geht es dann plötzlich nicht mehr um “Sicherheit” und “Freiheit”, sondern um die “Identität”. Ich hätte gerne gewusst, was zu diesem Meinungswechsel binnen Minutenfrist geführt hat.

    • Die Sicherheitslage hat sich für die Ukraine geändert. Das hätten sie wohl gerne, dass die sich auch bei uns ändert, man arbeitet ja seit 2 Jahren darauf hin …

      • Sprechen Sie hier von mir oder wer sind “sie”? Ich habe mich auf eine Aussage von Edtstadler bezogen, die ist höchstens “sie” in der Einzahl.
        Wer ist “man”? Auf welche geänderte Sicherheitslage arbeitet “man” hin?

  8. Ich war und bin ein Befürworter der EU mit allen Fehlern die diese Institition bietet.
    Die Masse der Österreicher hat mit dem Beitritt ein einziges Ziel verfolgt zumindest im Westen billiges Einkaufen in Deutschland der kleine Grenzverkehr. Und wenn dann eine Bundesministerin eine Frage nach Beistand bei einem Angriff auf ein EU-Land Beispiel Litauen damit argumentiert, das werden wir dann besprechen dann sitzt hier ein totaler Amateur, die Frau ist ahnungslos und gefährlich.

    Ausgabe 3/2005 Truppendienst: Aufgaben des BH
    im Falle eines Angriffs auf ein EU-Land da ist nichts mehr mit Neutralität.

  9. Frage ins Forum, bzw. an die Redaktion:

    Mir war es noch nicht möglich, diesen (zweiten) “Offenen Brief” als pdf oder sonstig irgendwo im Netz zu finden. Kann mir da bitte jemand weiterhelfen, um mir eine aktualisierte Meinung zum Inhalt bilden zu können? Offenbar fällt es vielen Menschen bereits darüber informiert viel leichter als mir, fundiert darauf zu reflektieren / argumentieren…??

  10. Ich habe das Interview (noch) nicht gesehen, werde dies aber nachholen.
    Das Geschichtswissen der Österreicher ist im allgemeinen meist als rudimentär und faktenverdreht zu sehen, was ich erschreckend finde.
    Habsüchtlerstammbäume runterbeten und in den KuK-Grenzen denken ist eindeutig zu wenig.
    Mich würde es wirklich interessieren, was ein angehender Geschichtslehrer hier in diesem Land auf der Uni oder der Hochschule lernt, denn dort werden die Grundlagen für das unterrichten dieser Fachrichtung gelehrt.
    Bin selber in D auf einer HS gewesen und ich bin meinem Geschichtslehrer noch heute für seinen Unterricht dankbar, weil er es verstand, uns Schüler für dieses Fach zu begeistern und sich weiter zu informieren.
    Solche Pädagogen braucht das Land.

    • Die immerwährende Neutralität Österreichs ist ein wichtiger Bestandteil der Geschichte des Landes. Es geht auf das Moskauer Memorandum vom 15. April 1955 zurück, welches zwischen Österreich und der Sowjetunion ausgehandelt wurde. Das Memorandum war eine politische Vereinbarung, die die sowjetischen Bedingungen für die Wiederherstellung der österreichischen Souveränität und den Abschluss des Österreichischen Staatsvertrages festlegte.
      Eine der zentralen Bedingungen des Memorandums war die Verpflichtung Österreichs, “immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird”. Diese Verpflichtung wurde am 26. Oktober 1955 mit der Festschreibung der “immerwährenden Neutralität” in der österreichischen Verfassung eingelöst.

      In den Jahrzehnten nach der Unterzeichnung des Memorandums wurde die Neutralität Österreichs zu einem wichtigen Bestandteil der österreichischen Identität. Die immerwährende Neutralität wurde als Garantie für Frieden und Unabhängigkeit verstanden und als ein Symbol der Souveränität Österreichs betrachtet. Allerdings hat sich die Bedeutung der immerwährenden Neutralität im Laufe der Zeit geändert. Nach österreichischer Auffassung ist das Moskauer Memorandum heute gegenstandslos, da der Vertragspartner Sowjetunion nicht mehr besteht. Österreich hat sich seitdem in internationalen Angelegenheiten engagiert und ist seit 1995 Mitglied der Europäischen Union.

      Das Neutralitätsgesetz von 1955 wurde jedoch nicht aufgehoben, sondern durch neuere Verfassungsgesetze überlagert, die die Teilnahme an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU rechtlich absichern. Diese Gesetze gewährleisten, dass Österreich trotz der Mitgliedschaft in der EU weiterhin neutral bleibt und keine militärischen Bündnisse eingeht. Obwohl die immerwährende Neutralität in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr existiert, bleibt sie ein wichtiger Teil der österreichischen Geschichte und Identität. Es ist ein Zeichen für die Bedeutung von Frieden, Unabhängigkeit und Souveränität und dient als Erinnerung daran, wie weit das Land gekommen ist und wie es sich in Zukunft entwickeln kann.

    • Ich habe mir das Interview angesehen, um mir eine eigene Meinung zu bilden. Edtstadler ist nicht erst seit gestern ein wichtiges ÖVP-Werkzeug bei der Bekämpfung des Rechtsstaats. Aber ihr Desorientierung nachzusagen hat für mich überhaupt keine Substanz und das gibt auch das gestrige Interview nicht her – so sehr man es sich wünschen würde.

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