Samstag, Juli 27, 2024

Nehammer und Kogler für Kickl: „No a Runde?“

Die Regierung produziert „SNU“, strategisch notwendigen Unsinn, und füllt ihn in den Tank von Herbert Kickl. Dann wundern sich ÖVP und Grüne, dass die FPÖ davonzieht.

Wien, 26. Februar 2023 | Es gibt zwei Arten von Regierungen: die von Parteien, die zusammenpassen und die, wo das nicht gilt. Die Grünen sind für Klimaschutz, die ÖVP ist dagegen. Die Grünen sind für Gerechtigkeit, die ÖVP ist dagegen. Die Grünen sind für alle Minderheiten, die ÖVP mit den Reichen nur für eine. Das ist der schwierige Normalzustand zwischen Grünen und ÖVP, wie ich ihn im Parlament mehr als dreißig Jahre erlebt habe.

Inzwischen kommen brisantere Gegensätze dazu: Die Grünen sind für Pressefreiheit, die ÖVP ist dagegen. Die Grünen sind für den Rechtsstaat, die ÖVP ist dagegen. Die Grünen sind für ein starkes Parlament, die ÖVP sabotiert es, wo sie kann.

In einem Bündnis der Gegensätze kommt es darauf an, dass die kleinere Partei sowohl Partner als auch Gegenpol ist. Sie muss mehr mittragen als die größere, aber dort, wo es für sie um alles geht, muss sie alles in die Waagschale werfen. Die größere Partei muss das verstehen, nicht mehr.

Aber Kogler ist kein Gegengewicht, sondern eine Zuwaage. Sein politischer Grundsatz lautet: „Darf´s ein bisserl mehr sein?“ Genau aus diesem Grund wird es für die Grünen immer weniger, an Erfolgen jetzt, bei der Wahl bald. Das ist der triste politische Teil der Geschichte.

„Koal, wos moch ma?“

Politik hat auch eine persönliche Komponente, die man „die Chemie“ nennt. Wenn „die Chemie“ zwischen den beiden Parteichefs stimmt, geht es dann, wenn es um alles geht, meist gut. Zwischen Nehammer und Kogler scheint aus der „Chemie“ eine Männerfreundschaft nach Stammtischart gewachsen zu sein. Wenn ein neues Problem auftaucht, wird es freundschaftlich gelöst:

„Du Werna, wir haum a Problem.“ – „Jo Koal, wos moch ma?“ – „No a Runde?“

So kommt es zu Verhandlungsrunden, die harmonisch verlaufen, weil das Ergebnis von Beginn an feststeht. „Koal“ macht Werner klar, dass er das, was Werner will, versteht, aber seine Partei nicht. „Oba die moch´n mi um an Kopf kürza. Wüst du des?“ Kogler zögert keinen Moment. Das war es dann, mit Klimaschutzpaket, Korruptionsbekämpfung, Energiepreisdeckel, Inflationsbekämpfung, Familienzusammenführung der Erdbebenopfer, Transparenzpaket, Verbot von Kinderabschiebungen, Tempo 80/100, Bekämpfung der Kinderarmut und jetzt mit der Eindämmung der explodierenden Mieten.

Systemrelevant

Die seltsame Harmonie hat aber noch einen weiteren Grund: „Koal“ versteht „Werna“ weit besser, als das „Sebastian“ jemals versucht hat. Für Sebastian Kurz war Werner Kogler ein Tool wie viele andere. Man benützt es und wirft es nach Gebrauch weg. In der Liga der großen politischen Gesetzlosigkeit gibt es für die Orbáns, Netanjahus, Erdogans und Kurz´ nichts als sie selbst. Ihre Macht ist ihr Zweck, der Rest sind Mittel dazu.

Nehammer hat den Gedanken an den Aufstieg in die Runde der Orbáns und Netanjahus längst aufgegeben. Er will sich durchwursteln und ist bereit, dafür viele kleine Preise zu zahlen. Aber von Raiffeisen und Industriellenvereinigung bis zu großen Stiftern und ÖAAB sind die Gruppen, die Nehammers Partei heute kontrollieren, längst gewohnt, alles zu nehmen. Sie sind das neue „System“ und bestimmen, wer „systemrelevant“ ist. Daher bekommt „Werna“ nichts.

Der Misserfolg der Grünen ist als Kollateraldauerschaden längst Regierungsalltag. Doch die Stimmung richtet sich immer mehr auch gegen die ÖVP. Auch sie überlebt nur, wenn sie weiter von Menschen, die unter Inflation, Energiepreisen und Mietwucher leiden, gewählt wird.

Aufstieg des Bodensatzes

Weil für sie viel zu wenig getan wird, wachsen unter diesen Menschen Verzweiflung und Wut. Wie Ende der neunziger Jahre kocht sich die enttäuschte „Volksseele“ zum Siedepunkt auf. Dann kann man zusehen, wie sich der Bodensatz löst und nach oben steigt. Plötzlich schwimmt er oben und deckt alles zu.

Dann kommt es zur entscheidenden Geste: Der Kanzler, der sie im Stich gelassen hat, streckt die Hand aus, überwindet den Graben und steht plötzlich auf der anderen, lauten Seite. Die „Wissenschaftler“ seien schuld, gemeinsam mit den „Gutmenschen“. Der Kanzler schwurbelt um sein eigenes Überleben, auch, weil ihm der Stratege seines Vorgängers dazu geraten hat: „Fleischi“.

Von dort kommt die Idee, auf „SNU“, „strategisch notwendigen Unsinn“, zu setzen, weil man strategisch notwendige Maßnahmen wie Energiepreisdeckel und Mietenbremse ausschließt. Aber die Idee rettet diesmal nichts. Nehammer ist kein Kurz, der alles verkaufen konnte, weil er vorher alle gekauft hatte. Nehammer ist ein Kanzler, der am Ende seiner Weisheiten ist.

Treibstoff für Kickl

Nehammers „SNU“ ist Treibstoff für den Dritten. Bis vor kurzem galt es als undenkbar, dass ein Giftzwerg wie Herbert Kickl an die Tür zum Kanzleramt schlägt. Wer wissen will, wie sich das anfühlt, muss nur den heurigen „Villacher Fasching“ im ORF nachsehen. Dort saßen führende Grüne, Rote und Schwarze und ließen sich von Hobby-Kickln ebenso amateurhaft wie dummdreist beschimpfen. Der rote Landeshauptmann hatte einen „Ehrentisch“ und klatschte den fremden Takt mit.

Die Wahl in Niederösterreich hat für alle Beteiligten den ersten Wendepunkt markiert. Jetzt kommt Kärnten. Ich befürchte, dass die Verlierer nichts lernen. Die ÖVP macht weiter, die Grünen machen weiter mit, und die SPÖ macht weiter nichts. Die Groawas, die „großen antifaschistischen Warner“, werden die Verteidigungsgräben rund um ihre Wiener Lieblingscafés frisch ausheben und mit bis auf die andere Straßenseite sichtbaren Transparenten schmücken. Die Geschichte wird sich wiederholen, diesmal aber möglicherweise im Einklang mit weit wichtigeren globalen Entwicklungen als Tragödie.

p.s.: Aus guten Gründen vermute ich, dass es demnächst um Probleme von Raiffeisen und René Benko geht. Da zumindest wird sich die Regierung bemühen.

Titelbild: ZackZack/Miriam Mone

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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