Wie Politik und Presse Mehrheitsentscheidungen negieren. Ein Lehrstück in rechtsextremer Propaganda.
Wien | Nach der Landtagswahl 1989 in Kärnten, die die SPÖ mit 46 % (17 Mandate) gewann, wählten FPÖ mit 29 % (11 Mandate) und ÖVP mit 21 % (8 Mandaten) Jörg Haider von der zweitstärksten Partei FPÖ zum Landeshauptmann. Nach der Landtagswahl 1994 in Kärnten, die die SPÖ mit 37% (14 Mandate) gewann, wählten FPÖ mit 33 % (13 Mandate) und ÖVP mit 24 % (9 Mandaten) Christoph Zernatto von der drittstärksten Partei ÖVP zum Landeshauptmann.
Letzten Sonntag gewann die SPÖ mit 39 % (15 Mandate) die Landtagswahl 2023 mit hohem Abstand vor der zweiplatzierten FPÖ. Die drittplatzierte Partei ÖVP erreichte 17 % (7 Mandate). Die ÖVP wurde daraufhin auf orf.at als »Überraschungswahlsieger« bezeichnet. (Realität: Die ÖVP hat 1,58 Prozentpunkte dazugewonnen und ist im Ranking der Zugewinner am vierten Platz hinter Köfer, VÖ und FPÖ.) Hätte der Bund gewählt wie Kärnten, hätte die jetzige Regierung aus ÖVP und Grünen im Nationalrat 35 Mandate – die ÖVP 35 und die Grünen 0.
Rechtsextremes Bündnis gegen sozialdemokratische Mehrheit
Wir wissen längst, worauf die Sache hinauslaufen wird: Vergessen ist das Jammern der ÖVP über die rechtsextreme FPÖ und ihren Obmann Herbert Kickl. Wenn die rechtsextremen Parteien die Möglichkeit haben, die erstplatzierte SPÖ von der Regierung fernzuhalten, werden sie das tun. Sie haben es im Bund 2000, 2002 und 2017 getan, in der Steiermark, in Oberösterreich und in Kärnten.
Vergessen ist die Abgrenzung von der rechtsextremen FPÖ, denn die ÖVP ist selbst rechtsextrem. Sie erfüllt alle fünf Kriterien nach Hans-Gerhard Jaschkes Rechtsextremismusdefinition. Mit der versuchten Legalisierung rechtswidriger Abschiebungen und der Ablehnung der Menschenrechtsdeklaration (und damit der Ablehnung der Verfassung) hat sie das öffentlich bekräftigt. Sebastian Kurz hat es sogar wörtlich ausgesprochen. Die ÖVP hat die Haiders, Straches und Kickls hofiert, in Regierungen gebracht, um sie dann fallen zu lassen.
Absolut geeignet für das Amt
Herbert Kickl galt der ÖVP im Dezember 2017 als Innenminister als »absolut geeignet für das Amt« (Wolfgang Sobotka); anderthalb Jahre später war er es plötzlich nicht mehr und bald hieß es, er habe »mittlerweile Blut an den Händen« (Elisabeth Köstinger). Die Schwenks der ÖVP erinnern ganz an Haider und Kickl. Was von den rechtsextremen Regierungen bleibt: wirtschaftliche Schäden und Skandale.
Beseitigen mussten die Schäden, die Rechtsregierungen verzapften, die Sozialdemokratie und die österreichischen Steuerzahlenden. Auch in Kärnten: Eine SPÖ-geführte Regierung hat die Pleite Kärntens verhindert, an deren Rand der mäßig begabte Jurist und inkompetente Wirtschaftspolitiker Jörg Haider das Land gebracht hatte. Kärntens jahrzehntelanges Negieren des österreichisches Staatsvertrags – in den Medien als Ortstafeldebatte bekannt – musste von Josef Ostermayer (SPÖ) und Peter Kaiser (SPÖ) applaniert werden. Und angesichts der Weltlage schweigen wir besser von der Part-of-the-Game-Affäre und dem Ausverkauf Österreichs an russische Geldgeber und Oligarchen, für deren Einfluss die FPÖ sich weiterhin unermüdlich im Nationalrat einsetzt.
Beleidigte Sozialdemokraten
In wenigen Jahren wird es wieder vieles auszubügeln geben. Diesmal haben die rechtsradikalen Parteien ÖVP und FPÖ einen dritten Partner, um die 40-prozentige Mehrheit des Landes links liegen zu lassen: Gerhard Köfer, ein Energetiker, der Pferde und Menschen durch Handauflegen heilt. Der Milliardär Frank Stronach, der schon einmal eine ganze Partei samt Parlamentsklub aufkaufte, erhielt Köfer als billigen Restposten. Mit dem Geld des Demokratiefeinds Stronach kann Köfer nun sein einziges Ziel erreichen: Rache an der SPÖ Kärnten, die Peter Kaiser und nicht ihn zum Landesparteivorsitzenden wählte.
Beleidigte Sozialdemokraten – also solche, die es ihrer eigenen Meinung nach in der Partei nicht weit genug gebracht haben und demokratische Entscheidungen der Partei nicht akzeptieren – gab und gibt es viele: Franz Olah, Richard Nimmerrichter, Laura Rudas, Hans-Peter Doskozil, Gerhard Köfer. Sie brauchen nicht lange nach Boulevardmedien oder demokratiefeindlichen Milliardären zu suchen, die sie mit Freude unterstützen.
Tagebuch einer Besessenheit
Die Presse nimmt das Gebrüll der Beleidigten dankend auf und geht seit Monaten jeder Auseinandersetzung mit Positionen der Sozialdemokratie aus dem Weg. Beim Boulevard wundert das niemanden, in Qualitätsmedien ist es peinlich. In den ersten zehn Märztagen brachte Der Standard mehr als drei Artikel pro Tag, die von der Führungsdebatte in der SPÖ handeln. Sonst inhaltsleer, negieren diese Artikel die Tatsache, dass die jetzige Vorsitzende demokratisch gewählt wurde und dass Hans-Peter Doskozil bei dieser Wahl nicht angetreten ist.
Der Standard erfindet sogar ein Team Doskozil. Nur zur Erinnerung: Die SPÖ-Burgenland erhielt bei der letzten Landtagswahl 92.000 Stimmen, das ist so viel, wie der Wiener Bezirk Penzing, der leider nicht so prominent in den Medien vorkommt, Einwohner hat. Es ist ein Sozialdemokraten-Bashing, wie es das zuletzt in den Zwanziger- und Dreißigerjahre gab. Dabei wird die politische Vertretung eines Drittels der Bevölkerung des Landes und fast der Hälfte der Bevölkerung von Österreichs einziger Millionenstadt lächerlich gemacht. Das bleibt nicht ohne Folgen.
Reframing in den Medien
Bisher hielt ich die ZIB2 und die Interviews für Armin Wolf für einen Kontrapunkt zur türkisen Abrisspolitik im ORF. Eine riesige Coronawelle rollt durchs Land, bleibt weitgehend unbemerkt, weil die Menschen nicht testen und weil es keine Maßnahmen, ja nicht einmal Maskenpflicht gibt, die niemanden etwas kosten würde. Kinder haben nach zehn bis zwölf Tagen noch CT-Werte unter 30, müssen entweder zur Schule, weil die Eltern sie nicht betreuen können und stecken dort alle anderen an, oder versäumen den Unterricht. Auf dem Rücken unserer Kinder und ihrer Zukunft wird das Versagen dieser Regierung, die Angst vor einen Minderheit hat, ausgetragen. Die Wirtschaft nimmt enormen Schaden. Doch im Interview mit Rendi-Wagner am Montag 6. März hat Armin Wolf keine Zeit für Sachthemen. Er versucht offenbar, der SPÖ wieder nahezulegen, sich autoritär zu organisieren.
Die SPÖ-Vorsitzende muss ihm den Unterschied zwischen einem Parlamentsbeschluss und einem Regierungsbeschluss klarmachen. Auch das ist leider Teil des rechtsextremen Reframings: das Parlament als Ort der Gesetzgebung verschwindet in der Darstellung von Politik. Armin Wolf ist der renommierteste Politjournalist des Landes und man schätzt ihn völlig zurecht. Dass er im Interview mit Rendi-Wagner Boulevard statt Sachpolitik macht, ist aber enttäuschend.
Die verschwindende Mehrheit
Schade ist auch, dass man die 40 % der Menschen in Kärnten, die für die SPÖ gestimmt haben, zu Verlierern macht. Sie sind nämlich – genau wie die Menschen, die erwarten, dass die Regierung den Umgang mit einer Pandemie managt – die Mehrheit. Doch diese Mehrheit verschwindet angesichts der energetischen Hand, die erhoben wird zum Heilen.
Titelbild: ZackZack/Miriam Mone