Zwei leitende Polizeibeamte könnten die Losung „Freund und Helfer“ etwas zu wörtlich genommen haben. Sollten behördeninterne Infos an eine Privatperson gelangen? Ein Bericht über die Problematik im Umgang mit sensiblen Daten.
Wien | Im Jänner 2011 erreicht den leitenden Fahndungsbeamten René N. via Mail die Aufforderung, eine Person zu überprüfen. Dem Wortlaut nach handelt es sich aber nicht um eine offizielle Eingabe, sondern um einen Gefallen für den Unternehmer B. Dieser ist mit Christof H. bekannt, damals Leiter der Kriminalpolizeilichen Abteilung in Wien. Sie sind per „Du“. Ihm dankt B. im Mail bereits für seine Hilfe.
Das Anliegen des Unternehmers: Ein möglicher Geschäftspartner von B. ist via Interpol zur Fahndung ausgeschrieben. Er möchte wissen, ob der Mann tatsächlich gesucht wird, denn dann „will ich natürlich keine Geschäfte mit ihm machen“. Christof H. schickt das Schreiben weiter an den Leiter des Ermittlungsdienstes, „mit dem Ersuchen um Rückmeldung an Hrn. B.“ Über diesen landet das Anliegen von B. schließlich im Postfach des Fahnders N.
Allerdings: Derartige Abfragen sind in aller Regel illegal, wenn sie nicht im Zusammenhang mit Ermittlungen gemacht werden, Auskünfte an Privatpersonen ebenfalls. Was also ist mit dem Ansuchen von B. passiert?
Der Mail-Verkehr wurde ZackZack zugespielt. Aus ihm geht hervor, dass Kriminalbeamter N. die „Bitte“ seines Vorgesetzten ablehnte, mit dem Hinweis, dass er Amtsmissbrauch begehen würde: „Nachdem eine EKIS-Anfrage zum Zwecke der Auskunftserteilung an Privatpersonen (wie das H. im Mail formuliert…!!) schlicht rechtswidrig ist, kann ich das leider nicht machen.“
B. könne sich gerne als Hinweisgeber zu einer gesuchten Person zur Verfügung stellen, dann werde die Fahndung der Sache nachgehen, schloss N. in seinem Mail. Doch Ermittlungsdienst-Leiter Gerhard H. ließ nicht locker: „bitte um interpolüberprüfung und formelle protokollierung/berichtlegung, sonst nichts. ergebnis bitte an hr h.“, schrieb er formlos. Und: „es wird keine rückmeldung geben.“ Was das zu bedeuten hatte, ist aufgrund einer unbeantworteten Anfrage unklar.
Im sogenannten Elektronischen Kriminalpolizeilichen Informationssystem, kurz EKIS, sind nicht nur Strafregister und andere Personendaten erfasst, sondern auch sämtliche Fahndungen. Gesetzlich nicht vorgesehene Auskünfte an Privatpersonen bedeuten laut Ansicht von Juristen Amtsmissbrauch und verstoßen gegen den Datenschutz. Schon der Versuch, jemanden zu einer EKIS-Abfrage zu bewegen, wenn sie nicht in Bezug zu einer Ermittlungstätigkeit steht, ist grundsätzlich strafbar. Selbst wenn die Daten später gar nicht weitergegeben werden, ist eine gesetzlich nicht vorgesehene Abfrage illegal. Im Netz findet sich sogar ein entsprechendes Lehrbeispiel auf der Website des Bundesamts zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung.
Haftflüchtling in Wien
Der Jurist B. ist ein umtriebiger Geschäftsmann und seit Jahren unter anderem als Hausverwalter tätig. Zum Zeitpunkt seiner Anfrage kauft und verkauft er zusammen mit einem Geschäftspartner Firmen, genauer sogenannte Vorratsgesellschaften. Käufer ersparen sich die Bürokratie und die Dauer eines Gründungsprozesses und haben den Vorteil, dass das Unternehmen auf dem Papier kein Jungunternehmen ist. Wie Journalist Joseph Gepp 2018 recherchierte, zählten offenbar unter anderem reiche Osteuropäer zu B.s Kunden, mit besten politischen Verbindungen. Auch sein potentieller Geschäftspartner, den er im E-Mail im Jänner 2011 namentlich nennt, zählt zu schillernden Kreisen: der tschechische Unternehmer Roman Vaškůj.
Was B. damals nicht wusste: Tatsächlich wurde Vaškůj bereits im Juni 2010 in Österreich in Untersuchungshaft genommen, nach Ablauf der Maximaldauer allerdings im Dezember wieder auf freien Fuß gesetzt. Erst im März 2011 übergaben die österreichischen Behörden Vaškůj den tschechischen Kollegen. Vaškůj hatte sich 2008 aus Tschechien abgesetzt, weil er dort wegen Steuerhinterziehung zu 7,5 Jahren Haft verurteilt worden war. Ein Staatsanwalt bezeichnete den Fall damals als schwerstes Steuerverbrechen in der Geschichte des Landes. Die tschechischen Behörden stellten einen internationalen Haftbefehl aus, Vaškůjs Steckbrief landete auf der Website von Interpol.
Freundschaftlicher Draht zur Polizei
Gegenüber ZackZack sagt B., er sei von Herrn Vaškůj kontaktiert worden: „Unmittelbar nach dem Anruf und noch bevor es zu einem Geschäft kam, wurde ich von der Polizei angerufen, Herr Vaskuj sei ein gesuchter Mann.“ Er sei gebeten worden, einen Termin mit Vaškůj zu organisieren, bei dem die Polizei ihn festnehmen könne. In Sorge um seine Sicherheit habe er Kripo-Leiter Christof H. angerufen. Mit dem sei er damals wie heute „persönlich befreundet“ gewesen. H. habe ihn beruhigt und angewiesen, er solle tun, was die Polizei von ihm wolle.
Dem ZackZack vorliegenden Mail-Verlauf zufolge schrieb B., Vaškůj sei bei einem Treffen mit einem anderen möglichen Geschäftspartner „auch anwesend“ gewesen. „Routinemäßig“ habe er die möglichen Geschäftspartner überprüft und dabei den Interpol-Eintrag gefunden. Vaškůj habe bei dem Termin erwähnt, dass er eine „Geschichte“ habe, aber an seiner Rehabilitierung arbeite. Im Mail-Verlauf ist kein Aktenzeichen angegeben, welches einen Hinweis auf ein bezughabendes Verfahren geben könnte. Vielmehr schreibt B.s Freund Christof H. an seinen Kollegen Gerhard H., er solle B. Rückmeldung erstatten. Auf Anfrage sagte B., er habe seiner Erinnerung nach bis auf die geschilderten Telefonate keine Informationen bekommen.
Kein Einzelfall
Dass sensible Daten nur ein paar Klicks entfernt sind, hat in der Vergangenheit schon wiederholt zu Missbrauch durch Beamte geführt, wie eine einfache Google-Suche zeigt. Immer wieder sind auch leitende Beamte involviert. In manchen Fällen waren auch Geld und Geschenke im Spiel.
2019 stand ein Polizist wegen EKIS-Abfragen über Personen aus seinem Umfeld vor Gericht, es kam zu einer Geldstrafe. Gleich zweimal wurde ein Vorarlberger Ex-Polizist wegen Amtsmissbrauchs verurteilt: 2019, unter anderem dafür, dass er die Daten sogar verkauft hatte, und dann gleich wieder 2020, weil er Strafregisterabfragen für ein Sicherheitsunternehmen getätigt hatte. Auch dem suspendierten Verfassungsschutz-Beamten und ehemaligen Polizisten Egisto Ott wird vorgeworfen, Informationen teils gegen Geld weitergegeben zu haben. Ott weist die Vorwürfe zurück.
BKA befasst
Wie das Innenministerium (BMI) gegenüber ZackZack schreibt, werden EKIS-Anfragen automatisch stichprobenartig per Zufallsgenerator darauf überprüft, ob alle Rechtsgrundlagen eingehalten worden sind. Im Verdachtsfall werden demnach dienstrechtliche und, falls sich der Verdacht etwa auf Amtsmissbrauch erhärtet, strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Denn Amtsmissbrauch mit Schaden von unter 50.000 Euro kann mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren bestraft werden.
ZackZack hat über die Pressestelle der Landespolizeidirektion Wien versucht, die in den Mail-Verkehr involvierten Beamten mit Bitte um Stellungnahme zu kontaktieren – in dem Fall ergebnislos. Zuständigkeitshalber wurden die Anfragen von dort an das Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung weitergeleitet, weil der „übermittelte Sachverhalt den Vorwurf des Amtsmissbrauches enthält“. So oder so wird es in diesem Fall zu keinen strafrechtlichen Ermittlungen kommen. Ein möglicher Amtsmissbrauch wäre in der Causa schon längst verjährt.
Titelbild: ZackZack/ Thomas König