Freitag, April 26, 2024

Ausgerechnet: Der Fachkräftemangel ist auch hausgemacht

Immer wieder beklagen Unternehmen Probleme bei der Besetzung ihrer offenen Stellen. Ihre These: Es gibt einen Fachkräftemangel. Doch eigentlich sind genügend Leute da. Ein Blick über den Tellerrand ist gefragt. 

Wien | Wo es an Arbeitskräften mangelt, definiert die Regierung auf einer Liste. Auf der sogenannten “Mangelberufsliste”. Laut Verordnung gelten Berufe als Mangelberuf, sobald auf eine unbesetzte Stelle weniger als 1,5-mal so viele Arbeitssuchende kommen. Ein einziger Faktor bestimmt, wo Mangel am Arbeitsmarkt herrscht und wo nicht. Landet ein Beruf einmal auf der Liste, dürfen Unternehmen Arbeitskräfte außerhalb der EU rekrutieren.  

Was passiert, wenn Berufe für Menschen aus EU-Drittstaaten geöffnet werden? Der Pool an potenziellen Arbeitskräften wächst schlagartig für Unternehmen. Das vergrößerte Angebot wiederum befreit Unternehmen vom Druck, ihre angebotenen Stellen zu verbessern. Es findet sich schon wer der’s macht. Weil im Herkunftsland die Arbeitsbedingungen noch schlechter sind. Aber eigentlich hätten wir genug Personal im Land, denn in Österreich schlummert ein großes Arbeitskräftepotenzial.  

Die Zahl der Listenjobs wächst und wächst 

Bei der Debatte zum Arbeitskräftemangel wird ein wichtiger Erzählstrang gerne ausgelassen: Das alleinige Vorhandensein vieler offener Stellen heißt noch nicht, dass generell ein Mangel an Arbeitskräften herrscht. Oft verlassen Arbeitnehmer:innen eine Branche aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen, niedriger Bezahlung oder mangelhafter Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Stellen können nicht besetzt werden, weil sie zu unattraktiv sind oder unter dem Marktlohn zahlen. In dem Fall ist das zwar ein deutliches Zeichen, dass etwas nicht stimmt. Aber ein Zeichen für einen Fachkräftemangel ist es nicht zwingend. Ob der “Mangel” nun aufgrund schlechter Bedingungen oder tatsächlich wegen eines zu kleinen Pools an ausgebildeten Arbeitskräften besteht, wird mit auf der Mangelberufsliste nicht entschieden. Unterschiedliche Gründe für unbesetzte Stellen werden mit der Liste alle über einen Kamm geschert. Das hat dazu geführt, dass die Liste in den letzten Jahren regelrecht explodiert ist. Zusätzlich wurden 2018 die “regionalen Mangelberufslisten” eingeführt. Gibt es beispielsweise in Vorarlberg laut Kriterium nicht genug Kellner:innen, gelten für Bewerber:innen aus Drittstaaten erleichterte Migrationsbedingungen. Auch wenn es sonst im Land genug Leute gäbe, die den Job machen können. Mittlerweile stehen 127 Berufe auf der Mangelberufsliste. Vor zehn Jahren waren es erst 26 Berufe. Die Liste wird aufgebläht, ohne dass die Politik schaut, woran es liegt, dass die Leute bei manchen Betrieben nicht mehr arbeiten möchten. 

Bei den Löhnen tut sich nichts  

Das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage greift eigentlich auch am Arbeitsmarkt: Ein geringes Arbeitskräfteangebot bei großer Nachfrage führt in der Theorie zu steigenden Löhnen. Doch die Daten zeigen uns das Gegenteil: Die Löhne sind in Mangelberufen von 2016 bis 2021 nicht stärker gestiegen als in anderen Berufen. Ziehen die Löhne nicht mit, ist ein Teil des Fachkräftemangels hausgemacht. Denn ist ein Unternehmen nicht bereit ist, mehr zu zahlen, wenn man keine Leute für die Stelle findet. Dann darf man sich nicht wundern, wenn potenzielle Arbeiter:innen lieber bei der Konkurrenz anfangen.  

Das schlummernde Potenzial 

Es gibt in Österreich genug Menschen, die arbeiten wollen, und Arbeit brauchen. Im Februar verzeichnete das AMS 370.000 Arbeitssuchende. Ziel sollte es sein, diese Menschen in Beschäftigung zu bringen. Ein weitere Gruppe sind Frauen. Aufgrund mangelnder Kinder- und Altenbetreuung arbeiten vor allem viele Frauen in Teilzeit. Lassen wir sie mit der unbezahlten Sorgearbeit nicht länger alleine, birgt die Gruppe ein enormes Potenzial für mehr Stunden in Erwerbsarbeit. Auch Menschen kurz vor der Pension werden allzu oft links liegen gelassen. Heben wir die Beschäftigungsquote der 60 bis 64-Jährigen, bringen wir schätzungsweise 85.000 Menschen zusätzlich in Arbeit. Viele Betriebe interessieren sich kaum für sie, ihre Erwerbsquote ist dementsprechend niedrig. Altersgerechte Arbeitsplätze? Fehlanzeige.  

Damit Unternehmen Druck haben, die Bedingungen ihrer angebotenen Jobs zu verbessern, sollte die Mangelberufsliste reformiert werden. Mehr Migration und weiterhin schlechte Jobs statt bessere Arbeitsbedingungen kann nicht die Lösung sein. Nicht nur die Zahl der Erwerbsarbeitslosen pro offene Stelle sollte für eine reformierte Liste ausschlaggebend sein. Andere Indikatoren müssen her: Haben Unternehmen in den letzten Jahren genug Junge mit einer Lehre ausgebildet? Haben sie höhere Löhne bezahlt? Wie viele Stellen bieten Löhne unter dem üblichen Niveau, sind also wenig seriöse Angebote?  Wenn Stellen unbesetzt bleiben, ist nicht vordringlich die Politik am Zug, Arbeiter:innen aus dem Ausland herbeizuschaffen. Am Zug sind zuerst die Unternehmen. Viele – nicht alle – müssen da erst ihre Hausaufgaben machen.  


Marie Hasdenteufel, aus Karlsruhe stammend, hat es nach ihrem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt nach Wien verschlagen. Am Momentum Institut forscht sie zur Einkommens- und Vermögensverteilung sowie zum Arbeitsmarkt. In Wien hat sie den Master in Economics an der Wirtschaftsuniversität absolviert.

Titelbild: ZackZack/Miriam Mone

Momentum
Momentum
„Momentum“ rechnet nach und analysiert. Jenseits von Regierungspropaganda und „Wirtschaftsinteressen“.
LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

22 Kommentare

  1. Ich darf auf mein Posting in der Vergangenheit zu diesem Thema kommen und hier nochmals einfügen.
    Leider hat das bisher nicht das geringste Echo gebracht, obwohl diese Probleme anscheinend in unserem Land soooo groß sind? – Mein Vorschlag würde aber auch die Kapazität an Fachkräften ernorm steigern bin ich zumindest der Meinung, aber noch mehr in die intrinsche Motovation für das Arbeiten:

    “Dealer
    11. 03. 2023 18:01
    Mein Vorschlag:
    Eine vier Tage Woche mit 4 mal 9 Stunden ist eine 36 Stunden Woche mit der Option auch Freitags zu arbeiten und diese Zeit auch auf 5 Tagen aufzuteilen, oder auch einem anderen Tag sich frei zu nehmen.
    Weiters müssen die ersten 40 Stunden Steuerfrei sein und nun kommts:
    Die ersten 15 Stunden Brutto für Netto mit Überstundenzuschlag.
    Ich bin mir sicher, dass hier alle Individualisten ein enormes Potential für ihre Vorlieben haben, aber unter dem Strich vor allem die Volkswirtschaft enorm davon profitieren würde.

    Let´s go!”

  2. Irgenwie lustig, wenn eine Deutsche schreibt, Österreich soll weniger auf ausländische Arbeitskräfte setzen.

  3. Es gibt Firmen, die bilden sich ihren Nachwuchs selbst aus und integrieren diesen in ihr eigenes Unternehmen als Facharbeiter.

    Und es gibt Firmen, die sparen sich die Ausbildung des Nachwuchses und jammern dann, dass sie keine Mitarbeiter finden.

  4. Das großzügigst überförderte Unternehmertum hierzulande (freundlich benannt, die IV-WKO-Mafia kulant ausser 8 lassend) sollte dessen einäugige Lamenti besser an ihren Lobbyisten-Kanzler richten, der sich – und unserem Land – kürzlich in visionärer Rede an die Nation eingestehen musste, dass “Gastarbeiter” definitiv ein Fehler in hiesiger Beschäftigungs- und Konjunkturpolitik waren, was unter größten Anstrengungen tunlichst nicht mehr zu wiederholen sei! Diese grenzwertig populist., einander krassest widersprüchlichen Peinlichkeiten (Alk & Antidepris geschuldet) sind weder hinten noch vorne mit dem realgesellschaftl. StaAtus Quo in Einklang zu bringen. Nennen wir noch kafkaesken Bürokratismus in Anerkennung der im Koffer mitgebrachten Expertisen und (Aus)Bildungszeugnissen, der eine Beschäftigung in akzeptablem Rahmen faktisch vielfach verunmöglicht. Wir stellen unseren “so dringend benötigten Fachkräften” auch keine zivilgesellsch. Mitbestimmung, ein Wahlrecht zB in Aussicht…

    • … so wird’s wohl beim eingespielten, ausgelagerten GlobalisierungsKolonialismus bleiben, um Existenzängste, “temporäre” Notlagen, systematischen Sozialstaatabbau und gelenkte Mangelwirtschaft im heimischen Kulturbiotop zu argumentieren… Und damit das bitte bis auf weiteres auch so bleibt, installieren wir im weltweit einzigartigen Abderiten-Setting einen volksparteilichen Wirtschafts- und Arbeitsminister volksverhöhnend in FaschoPersonalunion…

    • Thema Förderung, ein Weltkonzern in der Kristallveredelung erhält pro Auszubildenden EUR 17.000 Förderung, ein Gastronomiebetrieb EUR 2.000 pro Jahr und das im selben Bundesland.
      Auf der einen Seite wird fast die komplette Stelle vom Steuerzahler bezahlt, auf der anderen Seite gerade mal 2 Monate.

    • Alles um den Pool an Arbeitskräften zu erweitern ohne etwas zu verbessern und den Profit zu maximieren.
      Ausgerechnet die Löhne steigen nicht wenn mehr Nachfrage herrscht. Komisch, dass ausgerechnet hier die “Marktregeln” nicht zutreffen……
      Gelenkt und gewollt um Kosten einzusparen statt selber auszubilden.
      Einfacher es, alles auszulagern. Dem Profit geschuldet. Die Gier is a Hund…..

  5. Natürlich is der Arbeits- und Fachkräftemangel hausgmacht …
    Schließlich wollens uns ja auch eines Tages auch voller Stolz verkünden, sie hätten ohne irgendwelche Abstimmungen, das Pensionsantrittsalter auf dann eben 110 Jahre angehoben – schließlich gehts ja ned darum, ob gnua Leit in den Branchen und Firmen zur Verfügung stehen, des voikomman blunzn.

  6. Vernünftig!
    Ergänzend:
    Krankenschwester aus Thailand ist -aus Sicht eines BWL ers-“billiger” als ausbilden, besser irgendwo anwerben als sich selbst kümmern…

  7. Wenn ich das schon lese! Eines meiner Meinung nach, äußerst simpel zu lösendes “Problem”, bei angemessener Bezahlung. Solange das Einkommen die Fixkosten nicht deckt, ist es vermeintlich schwierig Personal zu finden. Hier ist es wiederum an der christlich-asozialen Volksverarschungspartei endlich aufzuhören, Lohnsklaven halten zu wollen. Die GRÜNEN täten gut daran, sich ihren Werten wieder zuzuwenden und den dementsprechenden Weg der Menschlichkeit zu gehen. Bezahlt die Leute anständig und alle Seiten werden gewinnen. Wer Arbeit sucht, der findet sie auch, sagen die, die Arbeit haben. Wer wirklich Arbeit sucht, weil er keine hat, ergänzt: Aber welche?

    • Warum soll der Grüne Wert “Macht um jeden Preis” den Arbeit suchenden Menschen helfen?

      christlich-asozial sehe ich wie Sie. Dass sich das Volk mehrheitlich von denen seit Jahrzehnten unterdrücken lässt, ist schon bemerkenswert. Aber die Masche “Schuld an eurem Leid sind die ANDEREN” zieht noch immer gut. Das ist leider Teil des Menschseins. Und die Ausländer, Armen, Andersdenkenden, Frauen, Minderheiten, Ungebildeten u.s.w. ablehnenden Rechten haben diesen Trick bis ins Innerste gelernt.

  8. keine angst, liebe firmen bosse,

    SÖB’s mit eigens geschaffenem niedrigstlohn KV sorgen schon dafür,
    dass auch der mieseste “mangeljob” noch von zwangsarbeitern unter androhung des vollständigen existenzentuges zufriedenstellend ausgeführt werden muss 😉

    • So is es, nur von dem ham die wenigsten eine Ahnung.
      Des kriangs erst mit wenns selbst in den Genuss kommen – leider ham die meisten Ahnungslosen is Glück nie in eine solche Misere zu geraten.

        • ‘Zweck […]’

          zum Drücken jeglicher Bemessungsgrundlagen bezüglich Höhe des ALG/der NSH – siehe ‘eigens geschaffener Niedrigstlohn KV’ – wer nach so einem SÖB Aufenthalt zurück zum AMS muss schaut schee aus der Wäsch, wenn auf amoi is Gerschtl hint und vurn nimma zum Leben reicht und Sozialhilfe bzw. MS beantragen derf, sofern er/sie überhaupt derf.

Kommentarfunktion ist geschlossen.

Jetzt: Benkos Luxusvilla in Italien

Denn: ZackZack bist auch DU!