Samstag, Dezember 7, 2024

Ausgerechnet: Der Fachkräftemangel ist auch hausgemacht

Immer wieder beklagen Unternehmen Probleme bei der Besetzung ihrer offenen Stellen. Ihre These: Es gibt einen Fachkräftemangel. Doch eigentlich sind genügend Leute da. Ein Blick über den Tellerrand ist gefragt. 

Wien | Wo es an Arbeitskräften mangelt, definiert die Regierung auf einer Liste. Auf der sogenannten “Mangelberufsliste”. Laut Verordnung gelten Berufe als Mangelberuf, sobald auf eine unbesetzte Stelle weniger als 1,5-mal so viele Arbeitssuchende kommen. Ein einziger Faktor bestimmt, wo Mangel am Arbeitsmarkt herrscht und wo nicht. Landet ein Beruf einmal auf der Liste, dürfen Unternehmen Arbeitskräfte außerhalb der EU rekrutieren.  

Was passiert, wenn Berufe für Menschen aus EU-Drittstaaten geöffnet werden? Der Pool an potenziellen Arbeitskräften wächst schlagartig für Unternehmen. Das vergrößerte Angebot wiederum befreit Unternehmen vom Druck, ihre angebotenen Stellen zu verbessern. Es findet sich schon wer der’s macht. Weil im Herkunftsland die Arbeitsbedingungen noch schlechter sind. Aber eigentlich hätten wir genug Personal im Land, denn in Österreich schlummert ein großes Arbeitskräftepotenzial.  

Die Zahl der Listenjobs wächst und wächst 

Bei der Debatte zum Arbeitskräftemangel wird ein wichtiger Erzählstrang gerne ausgelassen: Das alleinige Vorhandensein vieler offener Stellen heißt noch nicht, dass generell ein Mangel an Arbeitskräften herrscht. Oft verlassen Arbeitnehmer:innen eine Branche aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen, niedriger Bezahlung oder mangelhafter Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Stellen können nicht besetzt werden, weil sie zu unattraktiv sind oder unter dem Marktlohn zahlen. In dem Fall ist das zwar ein deutliches Zeichen, dass etwas nicht stimmt. Aber ein Zeichen für einen Fachkräftemangel ist es nicht zwingend. Ob der “Mangel” nun aufgrund schlechter Bedingungen oder tatsächlich wegen eines zu kleinen Pools an ausgebildeten Arbeitskräften besteht, wird mit auf der Mangelberufsliste nicht entschieden. Unterschiedliche Gründe für unbesetzte Stellen werden mit der Liste alle über einen Kamm geschert. Das hat dazu geführt, dass die Liste in den letzten Jahren regelrecht explodiert ist. Zusätzlich wurden 2018 die “regionalen Mangelberufslisten” eingeführt. Gibt es beispielsweise in Vorarlberg laut Kriterium nicht genug Kellner:innen, gelten für Bewerber:innen aus Drittstaaten erleichterte Migrationsbedingungen. Auch wenn es sonst im Land genug Leute gäbe, die den Job machen können. Mittlerweile stehen 127 Berufe auf der Mangelberufsliste. Vor zehn Jahren waren es erst 26 Berufe. Die Liste wird aufgebläht, ohne dass die Politik schaut, woran es liegt, dass die Leute bei manchen Betrieben nicht mehr arbeiten möchten. 

Bei den Löhnen tut sich nichts  

Das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage greift eigentlich auch am Arbeitsmarkt: Ein geringes Arbeitskräfteangebot bei großer Nachfrage führt in der Theorie zu steigenden Löhnen. Doch die Daten zeigen uns das Gegenteil: Die Löhne sind in Mangelberufen von 2016 bis 2021 nicht stärker gestiegen als in anderen Berufen. Ziehen die Löhne nicht mit, ist ein Teil des Fachkräftemangels hausgemacht. Denn ist ein Unternehmen nicht bereit ist, mehr zu zahlen, wenn man keine Leute für die Stelle findet. Dann darf man sich nicht wundern, wenn potenzielle Arbeiter:innen lieber bei der Konkurrenz anfangen.  

Das schlummernde Potenzial 

Es gibt in Österreich genug Menschen, die arbeiten wollen, und Arbeit brauchen. Im Februar verzeichnete das AMS 370.000 Arbeitssuchende. Ziel sollte es sein, diese Menschen in Beschäftigung zu bringen. Ein weitere Gruppe sind Frauen. Aufgrund mangelnder Kinder- und Altenbetreuung arbeiten vor allem viele Frauen in Teilzeit. Lassen wir sie mit der unbezahlten Sorgearbeit nicht länger alleine, birgt die Gruppe ein enormes Potenzial für mehr Stunden in Erwerbsarbeit. Auch Menschen kurz vor der Pension werden allzu oft links liegen gelassen. Heben wir die Beschäftigungsquote der 60 bis 64-Jährigen, bringen wir schätzungsweise 85.000 Menschen zusätzlich in Arbeit. Viele Betriebe interessieren sich kaum für sie, ihre Erwerbsquote ist dementsprechend niedrig. Altersgerechte Arbeitsplätze? Fehlanzeige.  

Damit Unternehmen Druck haben, die Bedingungen ihrer angebotenen Jobs zu verbessern, sollte die Mangelberufsliste reformiert werden. Mehr Migration und weiterhin schlechte Jobs statt bessere Arbeitsbedingungen kann nicht die Lösung sein. Nicht nur die Zahl der Erwerbsarbeitslosen pro offene Stelle sollte für eine reformierte Liste ausschlaggebend sein. Andere Indikatoren müssen her: Haben Unternehmen in den letzten Jahren genug Junge mit einer Lehre ausgebildet? Haben sie höhere Löhne bezahlt? Wie viele Stellen bieten Löhne unter dem üblichen Niveau, sind also wenig seriöse Angebote?  Wenn Stellen unbesetzt bleiben, ist nicht vordringlich die Politik am Zug, Arbeiter:innen aus dem Ausland herbeizuschaffen. Am Zug sind zuerst die Unternehmen. Viele – nicht alle – müssen da erst ihre Hausaufgaben machen.  


Marie Hasdenteufel, aus Karlsruhe stammend, hat es nach ihrem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt nach Wien verschlagen. Am Momentum Institut forscht sie zur Einkommens- und Vermögensverteilung sowie zum Arbeitsmarkt. In Wien hat sie den Master in Economics an der Wirtschaftsuniversität absolviert.

Titelbild: ZackZack/Miriam Mone

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  • Momentum

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