Samstag, Juli 27, 2024

Kommentar zur SPÖ: Pamela, die Richtung stimmt

In der SPÖ überschlagen sich die Ereignisse: zig neue Mitglieder, ein immer breiteres Kandidatenfeld für den Parteivorsitz. Rendi-Wagner sollte aus den Entwicklungen ihre Konsequenzen ziehen – und könnte sich so noch ein Denkmal bauen.

Wien | Als am Dienstag in den Innenpolitik-Redaktionen dieses Landes Nervosität ausbrach, geschah dies nicht ohne Grund: Denn schnell wurde klar, dass das, was Niki Kowall mit der Verlautbarung seiner Kandidatur für den SPÖ-Vorsitz tat, etwas aufbrechen würde. Und so kam es dann auch. Am Mittwoch konnten das Präsidium und vorneweg die beiden prominenten innerparteilichen Kontrahenten Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil nicht mehr anders, als die Mitgliederabstimmung zu verbreitern und andere Kandidaten zuzulassen. Nach und nach ploppten neue Namen aus der Anonymität (die meisten davon bewegen sich auch heute noch in der Kategorie „unbekannt“).

Am Donnerstagabend überschlugen sich erneut die Meldungen. Aus den roten Parteizentralen der Republik war da schon längst zu vernehmen, dass man von Neumitgliedsbeitritten überrollt werde, auch die Zahl der Kandidaten erhöhe sich quasi stündlich. Offenbar war man auf diese Entwicklungen nicht vorbereitet. Auch die Kommunikation in den sozialen Medien verirrte sich zunehmend. Doch unter all der Online-Jubiliererei rutschten sogar bissige Anwandlungen gewisser Apparatschiks in den Hintergrund. Niemand interessierte sich für weitere Scherben zerschlagenen SPÖ-Porzellans.

Licht am Horizont

Ganz im Gegenteil: Begeisterung, ungewohnt positive Überschwänglichkeit und mitreißende Screenshots von Parteieintritten mischten sich in sämtliche Kommentarspalten: Die SPÖ stand in einem neuen Licht da. Eine Fackel loderte plötzlich – und sie war nicht in der Löwelstraße angezündet worden. Für das, was sich hier vollzog, gab es kein Skript, das gab es noch nie, das Drehbuch schrieb sich quasi selbst.

Und dann der Knaller, noch am selben Abend: Andi Babler, Bürgermeister von Traiskirchen und erst zu Jahresbeginn – anders als sein eigener Spitzenkandidat – mit einem phänomenalen Vorzugsstimmenergebnis in Niederösterreich – trat aus dem Schatten. Er kandidiere auch, ließ er wissen.

Mitbestimmung wirkt

Aus Sicht von Rendi-Wagner und Doskozil könnte man von Schlamassel sprechen und die Lage als Chaos bezeichnen. Und tatsächlich, etliche Fragen zum Prozedere sind noch offen. Sie sollen am kommenden Montag fixiert werden. Doch was das rote Momentum klar zeigt: Mitbestimmung wirkt. Die Menschen merken – nicht erst seit der neuen Rechtsregierung in Niederösterreich – dass sich die Dinge verschieben. Demokratie, auch wenn sie kurzfristig unübersichtlich erscheinen mag, wird sich auszahlen. Besser so, als weiter autoritäre Tendenzen und antidemokratische Trends in Österreich zu befeuern und hilflos der konservativ-rechten Fuhrwerkerei zuzusehen.

In der SPÖ ist endlich Schluss mit den Chefsessel-Spekulationen – sowohl was die wahren Intentionen Doskozils nach Jahren der Querschüsse anbelangt als auch ebenso im Falle Babler. Und sollte – denn auch dieser Name schwappt schon seit längerem wieder herum – Christian Kern nicht noch bis Freitag Mitternacht um seine Kandidatur vorsprechen, wird diese Frage wohl auch final geklärt sein. In der Sozialdemokratie ist genau jetzt der Zeitpunkt, sich aus der Deckung zu wagen. Wer ernsthafte Absichten auf den Vorsitz hegt, dürfte das erkannt haben.

Themen, nicht Personen

Denn draußen, außerhalb der Parteistrukturen, warten die Krisen: Teuerung, Klima, Migration, Wohnen, Krieg – die Liste ist lang. Die Themen der SPÖ liegen auf der Straße. Ein breites Kandidatenfeld ermöglicht endlich auch, über sie zu sprechen und nicht immer nur personelle Befindlichkeiten in den Vordergrund zu stellen. Ein glücklicher Zufall und ein gewiefter Wiener Bezirksfunktionär haben dafür das Zeitfenster geöffnet. Es kann wieder um die Kernthemen der Sozialdemokratie gehen, schonungsloser als je zuvor. Ob Doskozil darauf eingestellt war – darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen.

Eines steht fest: Niki Kowall hat innerhalb weniger Tage nicht nur eindrucksvoll bewiesen, wieviel man als einzelnes Mitglied eines Riesen-Apparats in Bewegung setzen kann, sondern auch, was es heißt, zu den eigenen Prinzipien und Versprechen zu stehen. Er zog am Freitagmorgen seine Kandidatur zurück, weil das eingetreten sei, was er von Anfang an betont hatte: Sobald sich jemand “Gewichtigeres” mit ähnlichen Werte als Alternative fände, würde er selbst verzichten. Das tut er nun – für Andi Babler. Auch der spricht indes davon, mit seiner Kandidatur „aus Verantwortung“ für seine Partei zu handeln.

Apropos Verantwortung

Wenn Pamela Rendi-Wagner gut beraten ist, sorgt sie in diesen Stunden dafür, wie man in Zukunft über ihre Amtszeit als Parteivorsitzende sprechen wird. Wird man sagen, dass sie bitterlich bis zum Ende an ihrem Sessel und Umfragen im Sinkflug geklammert hat? Oder wird sie als diejenige in die Geschichte eingehen, über die es einst heißen wird: Sie war die, die Partei zum richtigen Zeitpunkt und längst überfällig geöffnet hat, den Grundstein für eine völlig neue Dynamik gesetzt und selbst den Weg für Neues frei gemacht hat?

Rendi-Wagner sollte es ihrem Genossen Niki Kowall gleichtun und zurückziehen, die Entwicklungen überholen sie. Besser wird sie da nicht mehr rauskommen. Und eigentlich wäre die zweite Version doch eine wirklich revolutionäre Nachrede.

Titelbild:  ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Anja Melzer

    Hält sich für die österreichischste Piefke der Welt, redet gerne, sehr viel und vor allem sehr schnell, hegt eine Vorliebe für Mord(s)themen. Stellvertretende Chefredakteurin. Sie twittert unter @mauerfallkind.

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