Samstag, Juli 27, 2024

Hausdurchsuchung bei „Heute“-Herausgeberin Eva Dichand: „Beide stehen voll hinter dir!”

Die Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen „Heute“-Herausgeberin Eva Dichand haben einen Anlass: die neun geschwärzten Seiten der Anzeige von Thomas Schmid, über deren Inhalt seit Monaten gerätselt wird. ZackZack hat das geheime Kapitel gelesen.

Wien | Am 2. August 2022 bekommt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Post. Rechtsanwalt Roland Kier hat auf 20 Seiten zusammengefasst, was sein Mandant Thomas Schmid den Staatsanwälten enthüllen will. Mit seiner „schriftlichen Offenbarung des Wissens des Beschuldigten über neue Tatsachen“ hofft Schmid, als Kronzeuge der WKStA anerkannt zu werden.

Schmid hat schon am 21. Juni 2022 bei der WKStA in Graz ausgesagt und dabei Spitzen der ÖVP schwer belastet. Doch von künftigen Kronzeugen wird vor allem eines verlangt: neue Fakten und mit ihnen neue Beweise. Jetzt bietet Schmid den Staatsanwälten mit seiner „Offenbarung“ Aussagen und Beweise für drei neue Komplexe an.

Die „Offenbarung“ ist in drei Kapitel gegliedert. Kapitel 1 trägt den Titel „Faktum René BENKO“, Kapitel 3 heißt „Faktum Helmuth FELLNER/ÖBAG“. Als erste Anwälte im Herbst 2022 Akteneinsicht in Ordnungsnummer 3047a und damit in die Beschuldigtenvernehmung von Thomas Schmid erhalten, sehen sie auch die „Offenbarung“ – und stellen fest, dass die sieben Seiten des Kapitels 2 vollständig geschwärzt sind. ZackZack liegt auch dieses Kapitel vor. Es trägt den Titel „2. Faktum Stiftung“.

Ein Gesetz für Stifter

Laut Unterlagen soll sich das so zugetragen haben: Im März 2017 wünscht sich eine Gruppe Industrieller ein neues Stiftungsrecht. „Investor“ Michael Tojner, Andritz-Chef Wolfgang Leitner und KTM-Eigentümer Stefan Pierer haben sich offenbar zusammengetan, weil sie mehr Flexibilität, weniger Transparenz und günstigere Steuern bei der Auflösung der Stiftung wollen. Die Stiftungen, mit denen zu Zeiten der Erbschaftssteuer viel Geld gespart werden konnte, sind nach Ansicht der Stifterfamilien inzwischen goldene Käfige, in denen Milliarden liegen, auf die die Stifter selbst nicht leicht Zugriff haben. Das erschwert auch die feindliche Übernahme etwa der B&C-Stiftung mit Betrieben wie Semperit, Lenzing AG und AMAG, die Tojner bislang vergeblich ins Visier genommen hat.

Das journalistische Schwergewicht der Stifterfreunde ist „Heute“-Herausgeberin Eva Dichand. Sie führt die Geschäfte der Gratis-Tageszeitung, an der sie 24,5 Prozent der Anteile hält. Ab 2015 hat Eva Dichand versucht, bei Finanzministern von Hans Jörg Schelling bis Hartwig Löger und bei deren Generalsekretär Thomas Schmid für die Stifter zu intervenieren. Jetzt sieht sie mit Kurz und Schmid eine neue Chance.

In dieser Zeit plant Sebastian Kurz seinen Griff nach der Kanzlerschaft. Generalsekretär Thomas Schmid ist sein Vertrauter im Finanzministerium. Schmid beschreibt in seiner WKStA-Einvernahme am 21. Juni 2022, dass ihn Kurz auch brauchte, „als er etwa Kontakt zu den Dichands, zu Fellner, Nowak oder anderen Medienvertretern benötigte, um sein persönliches Fortkommen und den Aufbau seiner Person zum ÖVP-Parteiobmann und in weiterer Folge Bundeskanzler und Spitzenkandidaten medial zu unterstützen.“ Kurz braucht Schmid, weil Schmid die Richtigen kennt. Schmid erinnert sich: „Meine Aufgabe war es, vor allem die Kontakte herzustellen.“

„Keine bösen Anschläge“

Am 16. März 2017 schreibt Schmid an „Heute“-Herausgeberin Eva Dichand: 

„Haben nächste Woche Termin zu Stiftungen mit bmj. Keine bösen Anschläge im BMF geplant.“ Schmid präsentiert Eva Dichand seinen Plan: „Habe mir heute alle hergeholt. Noch einmal klargestellt. KPMG hat Termin mit mir und Krammer Staribacher auch. Danach Runde mit HBM.  Bussi Thomas“. Eva Dichand antwortet sofort: „Na gut, dass alles durchgegangen ist. Stiftungen: ok-Danke!!!“ 

Damit scheint die Grundaufstellung klar. Schmid als Generalsekretär des Finanzministers zieht die Fäden. Das „bmj“ – das Bundesministerium für Justiz – ist ebenso eng eingebunden wie der „HBM“, der „Herr Bundesminister“ Hans Jörg Schelling. Mit KPMG ist einer der weltweit führenden Berater in Steuerfragen an Bord.

Michael Krammer sitzt im Kabinett des Finanzministers bei Thomas Schmid. Schon im Frühjahr 2017 bereitet er für mögliche Regierungsverhandlungen nach einer Nationalratswahl die Reform des Stiftungsrechts vor. Krammer soll für Schmid aus den Wünschen der Stifter ein Gesetz machen. Eva Dichand liefert dazu Rechtsmeinungen und Experten, die Schmid an Krammer weiterleitet.

Fünf Jahre später kann sich Schmid erinnern, dass er in dieser Sache auf Wunsch von Eva Dichand an Justizminister Wolfgang Brandstetter herantrat. Zwischen Justizministerium und Finanzministerium wird 2017 eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Kurz, Schmid und seine Beamten im Finanzministerium stehen für die Dichand-Wünsche bereit. Aber zuerst muss Kurz an die Macht.

„Beide stehen hinter dir!“

Eva Dichand will offenbar Vorteile für Stifter und mehr Regierungsinserate für ihre Gratis-Tageszeitung „Heute“. Sebastian Kurz will von „Heute“ bis „Österreich“ die Unterstützung des Boulevards für seinen Angriff auf das Kanzleramt. Am 22. März 2017 meldet Schmid dem Außenminister und künftigen Kanzler Sebastian Kurz: „Hatte sehr langes und gutes Gespräch mit Eva Dichand und in der Folge mit Helmut Fellner! Hier ist wirklich etwas gelungen! Beide stehen voll hinter dir! In dieser Form gab es das bei einem ÖVP-Kandidaten sicherlich noch nie!“ Ein halbes Jahr vor seiner Machtübernahme scheinen „Heute“ und „oe24“ für die Kurz-Propaganda gesichert.

Schmid macht Kurz klar, dass Eva Dichand und Helmuth Fellner für ihre Unterstützung angeblich Gegenleistungen verlangen: „Einige Punkte müssen aber verstärkt beachtet werden: Stiftungen, Presseförderung, RTR uws. Vielleicht hast du einmal kurz Zeit darüber zu reden. Liebe Grüße Thomas.“

„RTR“ ist die Telekom-Regulierungsbehörde in der Wiener Mariahilferstraße, die dem Bundeskanzler untersteht und über Presseförderungen entscheidet. Kurz und Schmid wissen, dass sie mit dem Kanzleramt auch die Macht über die Förderungen übernehmen werden. Aber jetzt, im Frühjahr 2017, geht es um Stiftungen und Regierungsinserate.

„Hoffe, sehr negativ“

Im Juni 2017 können die Stifter einen ersten Erfolg feiern. Der Versuch, neue Veröffentlichungspflichten für Stifter und damit mehr Transparenz einzuführen, wird mit Schmids Hilfe abgewehrt. Am 17. Juli 2017 meldet Schmid den Erfolg: „Liebe Eva, wir geben morgen unsere negative Stellungnahme zum Stiftungsgesetz des BMF ab.“ Die „Heute“-Herausgeberin ist zufrieden: „Ok. Melde mich nachher. Danke für Hilfe. Hoffe, sehr negativ.“ Schmid bekräftigt: „Wir sagen, dass wir Paket und kein Stückwerk wollen und das daher ablehnen.“

Die Interventionen haben sich scheinbar gelohnt. Die Stifterfreundlichkeit der geplanten Novelle überrascht sogar Insider wie die Spezialisten der Wirtschaftskanzlei SCWP der europäischen Schindhelm-Gruppe: „Der neue Gesetzesentwurf kommt nicht nur zeitlich überraschend. Auch inhaltlich enthält er einige wesentliche und vor allem tiefgreifende Neuerungen, die in diesem Ausmaß womöglich nicht erwartet wurden. Neben den gesetzlichen Klarstellungen ist jedenfalls positiv, dass der Einfluss der Stifterfamilie (…) erheblich verstärkt wurde.“

„Alles erledigt“

Thomas Schmid weiß auch, wie die Inseratenwünsche seines politischen Chefs zu befolgen sind. Bei seiner Einvernahme bei der WKStA berichtet Schmid am 21. Juni 2022, wie das mit „Österreich“ funktioniert haben soll: „Im Wissen, dass Inserate des BMF nicht zu Wahlkampfzwecken der ÖVP geschaltet oder bezahlt werden dürfen, hat das BMF rund um den Wahlkampf 2017 Inserate in allen Medien geschaltet. FLEISCHMANN sagte, dass die Inserate des BMF auf „KURZ zu buchen“ sind. Damit meinte er, dass KURZ vorgeben konnte, welche Themen und welche mediale Berichterstattung als Gegenleistung dafür in der Mediengruppe ÖSTERREICH platziert würde.“

Der Unterschied zwischen der „Österreich“-Gruppe und Heute/Krone zieht sich durch die Schmid-Geständnisse. Schon bei seiner ersten Einvernahme stellt Schmid klar: „Ich möchte aber zwei Dinge differenzieren, einerseits den Kontakt zu den DICHANDS, den ich jedenfalls hatte. Zu den FELLNERS war es so wie ich gestern dargestellt habe, dass der Kontakt, nachdem ich mit KARMASIN bei FELLNER war, ein ganz anderer war, und zwar ein viel intensiverer.“ Bei „Heute“ und „Kronen Zeitung“ geht es um den Wunsch, gemessen an der Auflage endlich ebenso viele Inserate wie die „Österreich“-Gruppe zu bekommen. Bei „Österreich“ und „oe24“ geht es um Beinschab-Tool und mehr.

Schmid beginnt mit der Umsetzung. Dafür braucht er Johannes Pasquali, den Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit im Finanzministerium. Am 6. September 2017 ist es soweit. Schmid meldet sich bei Eva Dichand mit einem Termin für die „GF“, die Geschäftsführer: „Habe alles erledigt wie besprochen – die GF sollen sich bei Pasquali melden.“ Sechs Tage später, am 12. September, informiert Schmid Eva Dichand über den Erfolg: „Wurde gerade informiert, dass beides erledigt wurde wie besprochen.“

Aber was ist „beides“? „Kronenzeitung“ und „Heute“, wie manche vermuten? Oder „Regierungsinserate“ und „Stiftung“, wie es Eva Dichand wünscht? Schmid beschreibt das in seiner Vernehmung bei der WKStA wieder am Beispiel der Mediengruppe „Österreich“: „Ich informierte Pasquali darüber, dass bei Fellners von nun an Inserate zu schalten sind.“ Schmid geht ins Detail: „Wo, wann und wie das BMF in welchen Medien schaltete, wurde mit Mag. Helmuth Fellner besprochen. Ich habe ihn gebeten, dass er das mit Mag. Pasquali direkt bespricht, der dafür zuständig war.“

„Sie sind happy!“

Am 15. Juni 2018 sind auch Details geklärt. Pasquali meldet Schmid: „Hatte heute einen sehr guten Termin mit dem Geschäftsführer der Krone, alles sehr freundschaftlich besprochen und geklärt.“

Am 9. Jänner 2019 erhält Schmid von Pasquali die Vollzugsmeldung: „Krone ist erledigt – sie hatte 30 Prozent mehr als Österreich – sie sind Happy – ich bin es nicht, denn leider hat die Belohnung nicht geklappt LG Johannes.“ Im weiteren Chatverlauf wird klar, welche Belohnung Johannes Pasquali vermisst: einen weiteren Posten als Staatskommissär des Finanzministeriums. Am 27. Februar 2019 ist auch das erledigt.

Kurz küsst

Der Dank für die Regierungsinserate lässt nicht auf sich warten. Die „Österreich/oe24“-Gruppe der Gebrüder Fellner setzt auf „Beinschab-Tool“, mutmaßlich manipulierte Umfragen und offene Kurz-Propaganda. 

„Heute“ fällt im Nationalratswahlkampf 2017 nicht durch exzessive Kurz-Propaganda auf. „Die Redaktion hat gewusst, was von ihr gewollt wird. Aber wir haben nicht mitgemacht“, erzählt ein „Heute“-Insider. Dafür gibt „Heute“ dem „privaten“ Kurz eine Bühne. Rund um den kommenden ÖVP-Chef weiß man, dass „weiche“ Geschichten entscheidende Sympathie-Vorteile schaffen. Am 19 Juni 2017 geht es um das „Haar-Geheimnis von Minister Kurz“: „Event-Manager Clemens Trischler traf den Politiker beim Coiffeur, dem die Stars vertrauen. ‚Er ist sehr nahbar und freundlich – und hat natürlich die Haare schön‘, freute sich der It-Boy.“ Bei den Kurz-Haaren ist noch nicht Schluss. Kaum ist das Wahlergebnis am Linzer ÖVP-Parteitag verkündet, berichtet „Heute“ am 2. Juli 2017, was der neue ÖVP-Chef kann: „So zärtlich küsst neuer ÖVP-Chef Sebastian Kurz.“

Mit Unterstützung des Boulevards gewinnt Sebastian Kurz jedenfalls drei Monate später am 15. Oktober 2017 die Nationalratswahl und wird Bundeskanzler. Wie weitere Chats und Dokumente belegen, beginnt für den Boulevard mit millionenschweren Regierungsinseraten quasi die Zeit der Ernte. 

„Heute“-Chefredakteur Christian Nusser hält auf Twitter fest, dass er im Detail nichts zur Hausdurchsuchung sagen könne: „Ich weiß davon zu wenig, sie hat die Redaktion nicht betroffen.“ Er bestreitet vehement, Interventionen zugelassen zu haben und betont, diese stets abzuwehren. Die Geschäftsführung von „Heute“ befindet sich ein paar Zimmer weiter. Auch Eva Dichand meldet sich per Twitter zu Wort und dementiert alle Vorwürfe.

Titelbild: APA / Hans Punz / picturedesk.com

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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