Donnerstag, Dezember 5, 2024

Karmasin-Prozess gestartet: “Sie wollte immer mehr”

Unter regem medialen Interesse hat am Dienstag am Wiener Landesgericht der Prozess gegen Ex-Ministerin Sophie Karmasin (ÖVP) und einen mitangeklagten Abteilungsleiter im Sportministerium begonnen.

Wien | “Sie wollte immer mehr, hatte nie genug, und zahlen sollten es die anderen”, meinte Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic in Richtung der Schöffen. “Es geht hier um Sozialleistungsbetrug der für Sozialleistungen zuständigen Ministerin”, fasste er die Anklage zusammen.

Immer wenn im Großen Schwurgerichtssaal im Wiener Straflandesgericht ein ehemaliger Minister oder eine ehemalige Ministerin auf der Anklagebank Platz nehmen müsse, sei das eine “Bewährungsprobe für den Rechtsstaat”, sagte Adamovic. Dann stelle sich nämlich eine Frage: “Stimmt das, was in der Verfassung steht, dass vor Gericht alle gleich sind? Oder haben jene Recht, die meinen, dass es eine Zwei-Klassen-Justiz gebe, und die da oben es sich immer richten können?” Sollte im konkreten Fall rechtswidriges Verhalten festgestellt werden, wovon er als Ankläger überzeugt sei, so müsse auch die Strafe eine hohe sein.

“Eine große Farce”

Was die inkriminierten Studien für das Sportministerium betrifft, sei Karmasin mit diesen jeweils in einem “Scheinvergabeverfahren” beauftragt worden, sagte Adamovic. Der mitangeklagte Abteilungsleiter im Ministerium sei daran “nicht als der große Rädelsführer”, aber doch beteiligt gewesen sei: “Eine große Farce.” Karmasins Praxis, sich mit unrechtmäßigen Absprachen ein Geld zu verdienen, “wäre bis heute so weitergegangen. Ihr jähes Ende hat sie (die Praxis, Anm.) nur gefunden, als wir vor ihrer Tür gestanden sind”, meinte Adamovic unter Anspielung auf 21 gleichzeitig durchgeführte Hausdurchsuchungen, die am 6. Oktober 2021 im Rahmen der ÖVP-Umfragenaffäre stattfanden, darunter auch bei Karmasin.

“Suppe so dick, Löffel bleibt stecken”

Zur Beweislage bemerkte der Vertreter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) grundsätzlich, die Suppe sei schon zu Beginn der Ermittlungen “nicht dünn, sondern ziemlich cremig” gewesen. Jetzt sei “die Suppe so dick, wenn man den Löffel auslässt, bleibt er stehen”, bemerkte Adamovic. Die Anklagebehörde habe die Rechte Karmasins im Ermittlungsverfahren im Übrigen nicht verletzt, betonte er: “Im Gegenteil, wir achten darauf, dass alles penibel eingehalten wird.” Dessen ungeachtet stelle sich Karmasin als Opfer dar. “Ich wünsche Ihnen, dass Sie den Mut finden, Ihre Opferrolle aufzugeben und für Ihre Straftaten einzustehen”, appellierte Adamovic an die Angeklagte.

“Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat den Sachverhalt großteils richtig ermittelt. Rechtlich ist die WKStA aber großteils falsch abgebogen”, hielt dem Karmasins Erstverteidiger Norbert Wess entgegen. Hinsichtlich der Studien für das Sportministerium seien die Aufträge an Karmasin längst offiziell vergeben gewesen, seine Mandantin habe sich vom Ministerium aber dazu überreden lassen, nachträglich eine Dokumentation anzulegen und “Vergleichsangebote von zwei vertrauenswürdigen Personen” – darunter ihre ehemalige Mitarbeiterin Sabine Beinschab – vorgelegt. “Vergleichsangebote sind zu einem absurden Formalismus mutiert”, sagte Wess. Da sei Karmasin “naiv” gewesen und habe “im Nachhinein definitiv einen Fehler gemacht”, meinte Wess. Aber strafbar habe sie sich damit nicht gemacht. “Preisangemessenheit” sei bei den Studien gegeben, vergaberechtlich alles in Ordnung gewesen. Auch bezüglich der Entgeltfortzahlung sei die WKStA “rechtlich falsch abgebogen”.

Verteidiger verlangt Freispruch

Der Vorwurf, dass Karmasin den Auftraggeber getäuscht habe, “geht sich hinten und vorne nicht aus”, betonte Wess. Von vornherein sei festgestanden, dass Karmasin den Auftrag bekomme. “Wo kein Wettbewerb geführt wird, kann auch kein Wettbewerb beschränkt werden.”

Der Verteidiger verlangte für seine Mandantin einen Freispruch. “Ich werde meine Mandantin nicht in einen Schuldspruch jagen, wenn ich überzeugt bin, dass in beiden Anklagepunkten der Tatbestand nicht erfüllt ist.”

Die Rolle Karmasins in der ÖVP-Umfragenaffäre ist zwar nicht direkt Gegenstand dieser Verhandlung, wurde von Oberstaatsanwalt Adamovic dessen ungeachtet aber doch erwähnt. Karmasin habe von Dezember 2017 bis Mai 2018 beim sogenannten “Beinschab-Österreich-Tool” ordentlich mitgeschnitten, indem sie Sabine Beinschab für deren Tätigkeiten in der ÖVP-Umfrage-Affäre pro Auftrag jeweils 20 Prozent an Provision und für vorgebliche Beratung in Rechnung stellte, betonte Adamovic: “Insgesamt hat sie in dieser Zeit rund 55.000 Euro verdient, also mehr als 11.000 Euro im Monat.” Trotzdem habe sie sich in dieser Zeit “sogar als Millionärin” ihre Bezüge fortzahlen lassen. “Sie sind kein Justizopfer. Sie sind auch kein Opfer der Medien”, erklärte Adamovic: “Die Opfer sind alle Steuerzahler, die Ihre Überbrückungshilfe bezahlt haben.”

“Der Rechtsstaat muss klarstellen, dass rechtswidriges Verhalten bei Ministern nicht toleriert wird”, hatte zuvor der Vertreter der Anklage betont. Wer sich vom Bundespräsidenten angeloben lasse, beteuere, sich in den Dienst des Volkes zu stellen, erläuterte der Oberstaatsanwalt: “Verglichen mit diesen Beteuerungen war die Realität wie Tag und Nacht. Das Gemeinwohl stand für Karmasin nicht im Vordergrund. Alle hier angeklagten Taten gingen auf Kosten der Allgemeinheit.”

WKStA: Delikte des Betrugs begannen direkt nach Amtszeit

Am 17. Dezember 2017 war Karmasin als Ministerin ausgeschieden. “Unmittelbar danach beginnen die Delikte des Betrugs”, sagte Adamovic. Karmasin soll sich nach ihrem Ausscheiden aus der Politik widerrechtlich Bezugsfortzahlungen erschlichen haben, indem sie Bediensteten des Bundeskanzleramts verschwieg, dass sie ihre selbstständige Tätigkeit nach ihrer Amtszeit als Familienministerin nahtlos fortgesetzt hatte. Inkriminiert sind 78.589,95 Euro, die Karmasin vom 19. Dezember 2017 bis zum 22. Mai 2018 zu Unrecht bezogen haben soll. Der zweite Anklagekomplex betrifft drei Studien für das Sportministerium, für die Karmasin nach ihrem Ausscheiden aus der Politik den Zuschlag erhielt, indem sie laut Anklage zwei Mitbewerberinnen – darunter ihre frühere Mitarbeiterin Sabine Beinschab – dazu brachte, “von ihr inhaltlich vorgegebene und mit ihr vorab inhaltlich abgesprochene Angebote an die Auftraggeber zu übermitteln, um sicherzustellen, dass die ihr zuzurechnende Karmasin Research & Identity GmbH die Aufträge bekommen würde” (Anklageschrift).

Grundsätzlich steht jedem ehemaligen Mitglied der Bundesregierung eine Bezugsfortzahlung zu, da man während der Amtszeit einem Berufsverbot unterliegt. Sophie Karmasin habe diese Sozialleistung jedoch nicht nötig gehabt, betonte Adamovic. “Während der Zeit ihrer Bezugsfortzahlung hat sie sich eine Luxusvilla gebaut. Ist jemand mit so einem Vermögen bedürftig? Nein. Braucht so jemand Überbrückungshilfe? Nein. Hatte sie Anspruch darauf?” Das könne man ganz einfach mit “Sicher nicht” beantworten.

Keine “tätige Reue”

Karmasin habe letztlich rund 62.000 Euro der etwa 78.000 zurückgezahlt. Eine “tätige Reue”, die ihr Straffreiheit sicherstelle, liege dadurch nicht vor. “Karmasin hat auch erst zurückgezahlt, nachdem die Zeit im Bild darüber berichtet hatte”, obwohl sie seit 2018 vier Jahre Zeit gehabt hätte.

“Sie handelte mit vollem Wissen und der Absicht sich zu bereichern”, war sich der Oberstaatsanwalt sicher. Als Belege dafür brachte er Emails von zahlreichen Nachfragen Karmasins bei einem zuständigen Beamten ein, ob sie etwas verdienen dürfe oder nicht. Dieser habe ihr mehrmals klar gesagt, dass sie in der Zeit der Bezugsfortzahlung nichts verdienen dürfe. Auch eine Nachricht von Karmasin an Sabine Beinschab, in der Karmasin klarstellte “Ich darf nichts verdienen” und daher eine Rechnung erst zu späterem Zeitpunkt abrechnen wolle, sei Beleg dafür.

Mit Karmasin steht eine erste Person aus dem politischen Umfeld von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz vor Gericht, Ermittlungen gegen weitere Ex-ÖVP-Funktionäre von Kurz abwärts sind anhängig. Der Prozess wegen schweren Betrugs und wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Vergabeverfahren ist auf drei Tage anberaumt und hat noch nichts mit der Rolle Karmasins in der ÖVP-Umfrageaffäre zu tun, in die sie wesentlich eingebunden gewesen sein soll. Diesbezüglich sind die Erhebungen noch nicht abgeschlossen. Vorerst geht es um Bezugsfortzahlungen sowie wettbewerbsbeschränkende Absprachen.

Im Falle einer Verurteilung drohen Karmasin und dem mitangeklagten, nach Einbringen der Anklage außer Dienst gestellten Ministerialbeamten bis zu drei Jahre Haft. Für beide gilt die Unschuldsvermutung. Bei einem Schuldspruch wäre Karmasin die in der U-Haft verbrachte Zeit auf ihre Strafe anzurechnen. Die Ex-Ministerin war am 2. März 2022 fest- und zwei Tage später wegen Tatbegehungsgefahr in U-Haft genommen worden. Erst am 28. März gab das Oberlandesgericht (OLG) Wien einer Haftbeschwerde ihrer Anwälte Norbert Wess und Philipp Wolm Folge – Karmasin musste somit immerhin 26 Tage in einer Zelle verbringen.

Titelbild: GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com

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